Werbung mit redaktionellem Mäntelchen – drei markante Beispiele
Wer sich anschleicht, der hat in aller Regel etwas zu verbergen. So ist es auch mit der Schleichwerbung: Sie will als Werbung nicht erkannt werden und tarnt sich – als redaktioneller Artikel, als seriöse Information oder als neutraler Beitrag zur Verbraucheraufklärung. Doch in Wahrheit geht es nur um den schnöden Mammon. Verkauft werden sollen mit der Werbung auf Schleichpfaden aber nicht nur die bunten und teuren Produkte der Warenwelt, zum Verkauf steht auch der gute Ruf von Verlagen und Medienhäusern. Überraschend ist nicht, dass es auch in renommierten Publikationen zu Schleichwerbung kommt. Überraschend ist vielmehr die Dreistigkeit, mit der das geschieht. Immerhin geht es in den hier geschilderten Fällen um ein millionenfach verbreitetes TV-Supplement, ein international bekanntes Managermagazin und die Magazinbeilage einer renommierten überregionalen Tageszeitung!
Leser des TV-Heftchens rtv, das zum Wochenende in Millionenauflage über 200 deutschen Tageszeitungen beiliegt, können sich manchmal über bizarre „Gesundheitstipps“ wundern. Da wird auf das offenbar grassierende Problem von „Blasenentzündung im Spätsommer“ hingewiesen. Als Lösung bieten die Journalisten von rtv in ihrem Artikel genau ein einziges Produkt an, nämlich den Blasentee des Herstellers Sidroga. Sogar die Bezugsmöglichkeiten des Produkts werden genannt: „in der Apotheke erhältlich“. Dann wieder geht es um „Ballaststoffe für einen gesunden Darm“. In der nüchternen Gesundheitsprosa der rtv-Mitarbeiter: „Die Deutschen essen viel zu viel verarbeitete Lebensmittel und Fertiggerichte“. Auch hierfür weiß rtv exakt die eine richtige Lösung: den „Vivastar-Ballaststoffdrink“ (in Apotheken erhältlich). Schließlich wird auch noch Osteoporose thematisiert. Für geplagte Frauen in den Wechseljahren, die am Knochenschwund laborieren, hat rtv natürlich auch des Knochens Kern parat: ein 5-Minuten-Workout. Den Trainingsplan gibt es recht unverblümt von der Hamburger PR-Firma Rothenburg & Partner und direkt von der Website des Pharmaherstellers Schaper & Brümmer GmbH & Co. KG. Diese Seite klärt dann darüber auf, dass es mit dem Workout wohl doch nicht getan ist und ein Mittelchen aus dem eigenen Hause hilfreich wäre. Überschrift der Internetseite: „Wechseljahre meistern mit Remifemin plus“. Remi räumt die Knochen auf?
Die Grenze zwischen redaktioneller Arbeit und unzulässiger Schleichwerbung scheint hier schon auf den ersten Blick überschritten. Die Redaktion von rtv sitzt in Nürnberg. rtv-Chefredakteur Matthias Roth war auf Nachfrage nicht zu sprechen. Seine Mitarbeiterin Carina Pfaller allerdings gab zu, dass es wohl gerade mit dieser Rubrik immer mal wieder Ärger gebe: „Die Gesundheitstipps gehen immer über den Anwalt“. Problembewusstsein scheint also durchaus vorhanden. Nur Konsequenzen hat das offenbar nicht. Schleichwerbung kann grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten funktionieren. Im einen Fall zahlt der Auftraggeber direkt für die Veröffentlichung und liefert unter Umständen den Text frei Haus. Im anderen Fall revanchiert sich ein Verlagshaus bei treuen oder teuren Anzeigenkunden, indem ein Hersteller oder seine Produkte ohne Kennzeichnung auch im redaktionellen Teil auftauchen. Wie verhält es sich bei den Gesundheitstipps in der rtv? Wird in dem Magazin überhaupt noch journalistisch gearbeitet oder werden direkt und wortwörtlich fremde PR-Texte abgedruckt, also im Grunde Anzeigen veröffentlicht, ohne sie ordnungsgemäß als solche zu kennzeichnen? Die Autorin der rtv-Gesundheitstipps, Renate P., ist nur auf dem Handy erreichbar und gerade mit der Nürnberger U-Bahn zu einem anderen Job unterwegs. Neben ihrer Tätigkeit als freie Mitarbeiterin bei dem TV-Supplement arbeitet sie nämlich nach eigenem Bekunden noch als Stylistin. Sie beteuert, sie habe alle Texte „selbst verfasst“. Agenturen lieferten „Pressematerial, da entnehme ich zwei bis drei Sätze daraus. Das erleichtert mir die Arbeit“. Das sei eine „ganz, ganz übliche Verfahrensweise“.
Stimmt das? Anruf bei der Firma Emser, die auch den Sidroga Blasentee herstellt. Dort erklärt Tanja Storz aus der Marketingabteilung: „Wir schalten in der Programmzeitschrift rtv keinerlei Anzeigen und es bestehen auch sonst keine geschäftlichen Verbindungen zu dem Heft bzw. dem Verlag“. Das Thema „Blasenbeschwerden“ sei in Form von serviceorientierten Pressematerialien für Gesundheits-Redaktionen zum kostenfreien Abdruck über eine PR-Agentur und weitere journalistische Rechercheportale abrufbar. Eigenartig nur: Auch in der rtv-Ausgabe Nr.16 vom April 2012 finden sich wieder ominöse „Gesundheitstipps“, und auch dieses Mal wird ein Produkt von Emser empfohlen. Es handelt sich um eine Nasendusche und es riecht sehr streng nach Schleichwerbung.
Bei der Firma J. Rettenmaier & Söhne GmbH & Co. KG aus dem schwäbischen Rosenberg spricht man die Dinge freier aus. Hier wird der Vivastar Ballaststoffdrink vertrieben. Marketingfrau Monika Wagner gibt unumwunden zu, in der rtv auch Anzeigen zu schalten. Was den konkreten Inhalt der „Gesundheitstipps“ angeht, wird auf die PR-Agentur H+P Public Relations in Frankfurt/Main verwiesen. Deren Gründerin Brigitte Hübner sagt frank und frei: „Der Beitrag stammt von uns, da wurde eine Pressemitteilung verarbeitet“. Frau Hübner betont allerdings, für „diese“ Veröffentlichung sei kein Geld geflossen. Auch Verena Rigtering, Fachanwältin für Medienrecht aus Köln, hält die „Gesundheitstipps“ in rtv für „versteckte Werbung“. Eine solche Rubrik sei „grundsätzlich mit dem Wort ‚Anzeige’ zu kennzeichnen“.
Für Leserinnen und Leser handelt es sich bei der Schleichwerbung schlicht um eine Irreführung, und so wird sie beispielsweise im Rundfunkstaatsvertrag genannt. Auch die Richtlinien des Deutschen Presserats sehen im Journalismus die Grenze zur Schleichwerbung überschritten, wenn die Veröffentlichung „über ein begründetes öffentliches Interesse hinausgeht … oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird“. Der Deutsche PR-Rat dekretiert unmissverständlich: „Mit der Verschleierung des Absenders eines bezahlten Inhalts in den Medien geht regelmäßig der Versuch der Täuschung der Öffentlichkeit über die werblichen Absichten einer solchen Publikation einher. Dies stellt eine Manipulation der Allgemeinheit oder bestimmter Teilöffentlichkeiten dar und ist daher für eine demokratisch verfasste Informationsgesellschaft nicht akzeptabel“.
Nicht ausreichend gekennzeichnet
Das hindert allerdings Verlagshäuser und die werbetreibende Industrie nicht, weiterhin werbende Inhalte in ihrem redaktionellen Angebot zu platzieren, ohne dies ausreichend als „Werbung“ zu kennzeichnen. Besonders dreist tut dies die Reisepublikation Business Traveller. Das Geschäftsreisemagazin erscheint im Verlag Perry Publications mit Sitz in München. Titelthema von Heft 1/2012 ist „Brain Food“, das auf den Seiten 14–25 umfangreich dargestellt wird. In der gleichen Ausgabe findet sich auf Seite 47 eine Anzeige der Radisson-Hotelkette, die – welche Überraschung! – ihr eigenes „Brainfood“-Konzept bewirbt. Der Testimonial aus dem Artikel, Ernährungsberaterin Alexandra Hermann, ist auch das Werbegesicht der Radisson-Anzeige. Die Fotos, mit denen der redaktionelle Beitrag gestaltet ist, sind in ihrer ganzen Aufmachung mit dem Foto aus der Werbung nahezu identisch. In beiden Fällen ist Ernährungsberaterin Hermann mit gepunkteter Schürze bei der freudigen Verarbeitung von Lebensmitteln zu sehen. Der Chefredakteur des Business Traveller, Marc Tügel, findet das auch „unglücklich“: „Das ist uns so durchgerutscht“. Schuld an der Doublette sei aber nicht die Redaktion. Die Anzeigenkunden seines Heftes erhielten die aktuelle Themenplanung und es stünde ihnen frei, die Motive passend zu gestalten.
Was Marc Tügel vom Business Traveller aber für einen Einzelfall hält, hat doch Methode: Ein anderer Artikel behandelt die Frage, wie die Hotellerie sich auf die wachsende Gruppe reisender Geschäftsfrauen einstellt. Überschrift: „Das perfekte Frauenzimmer“. Einige Seiten weiter vorne im gleichen Heft findet sich aber eine Annonce der Leonardo-Hotels. Überschrift: „Women-friendly rooms“. Das große Foto dieser Anzeige ist mit dem Themenbild des Artikels nahezu identisch. Viel Mühe gibt man sich beim Business Traveller nicht, um den Eindruck zu kaschieren, dass auch große Teile des angeblich redaktionellen Inhalts nicht viel anderes darstellen als eine Fortsetzung der Werbung mit anderen Mitteln.Von den sechzig- bis achtzigtausend Exemplaren geht ein Großteil an Geschäftskunden und Hotellerie, die nur einen Bruchteil des Einzelverkaufspreises zahlen. Da muss das Geld eben anders rangeschafft werden.
Nicht nur randständige Hervorbringungen des Journalismus wie die TV-Gazette oder das Geschäftsreisemagazin machen mit Schleichwerbung zusätzlich Kasse. Auch der sogenannte Qualitätsjournalismus scheut sich nicht, Werbung nach Schmidtchen-Schleicher-Art im eigenen Blatt zu lancieren. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung widmet sich im ganzen Heft 10 vom 9. März 2012 ausschließlich dem Thema „Jahrhundert der Frauen“. Im ganzen Heft? Nein, ein unbeugsamer illustrierter Teil des Hefts beschäftigt sich unter der Überschrift „Seid ihr noch ganz dicht?“ mit einem durch und durch Männer-affinen Thema, nämlich wasserdichten Luxusuhren. In diesem Beitrag geht es unter anderem um Modelle der Hersteller Rolex, Wempe und Nomos Glashütte. Was für ein Zufall: In der gleichen Ausgabe des Süddeutsche Zeitung Magazins finden sich ganzseitige Inserate von Rolex, Wempe und Nomos Glashütte. Ist so viel Zufall möglich? Ja, meint, Tim Klotzek, Chefredakteur des SZ Magazins. Er teilt mit: „Zu den Anzeigenbuchungen, die sie benennen und für die ich nicht verantwortlich bin, besteht kein redaktioneller Zusammenhang“.
Dass Schleichwerbung System haben kann, belegt wiederum das TV-Supplement rtv. Denn die „Gesundheitstipps“ des Blättchens, das sich selbst als „Deutschlands größtes TV-Magazin“ bezeichnet und mit 13 Millionen Lesern wirbt, erregen nicht zum ersten Mal unangenehmes Aufsehen. Bereits im Jahr 2009 hatte der Deutsche Presserat mit diesen „Tipps“ die Grenze zur Schleichwerbung überschritten gesehen und das Magazin öffentlich gerügt. Der rtv-Chefredakteur teilte damals mit, sein Verlag zähle nicht zu den Unterzeichnern des Pressekodex, deswegen sei der Presserat gar nicht zuständig. Vielleicht steht rtv ja aber wenigstens auf dem Boden des Gesetzes. Denn auch der Bundesgerichtshof hat unmissverständlich klargemacht, dass Werbung für den Leser deutlich als solche erkennbar sein müsse, da der Leser redaktionellen Beiträgen ungleich mehr Aufmerksamkeit entgegenbringe als bezahlten Anzeigen. Man könnte den Schleichwerbern in der deutschen Presse auch mit den SZ-Machern entgegnen: „Seid ihr noch ganz dicht?“
Rügen für Schleichwerbung
Der Deutsche Presserat bekommt häufig Beschwerden über Schleichwerbung auf den Tisch. In seiner Juni-Sitzung erteilte er wegen der Verletzung des Grundsatzes der klaren Trennung von Redaktion und Werbung (Ziffer 7 Pressekodex) vier Rügen. Sie gingen an die Zeitschriften „Condition“, „Laufzeit“ und „Running“, die auf ihren Titelseiten jeweils das PR-Foto eines großen Sportartikelherstellers veröffentlichten.
In der Fachzeitschrift „Kanzlei life!“ wurde auf Produkte eines einzelnen Softwareentwicklers hingewiesen. In einem Sondernewsletter wird der Eindruck erweckt, dass die Publikation von der Firma herausgegeben wird.