Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt inszeniert sich seit zwei Jahren auf der Krawall-Plattform „Nius“ als Kämpfer gegen alles vermeintlich oder tatsächlich Linke, Woke, gegen „verlogene Eliten“ und als Gegenpol gegen den verhassten Berliner Hauptstadt-Journalismus.
Im rechten Milieu fühlt sich „Nius“, die Webseite des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt, heimisch. Diffamierungskampagnen sind seine Spezialität. Die Seite inszeniert sich seit Anfang Juli 2023 als „Stimme der Mehrheit“ und betreibt rechtspopulistische und reaktionäre Meinungsmache.
Finanzier von Nius ist Frank Gotthardt, Gründer und Verwaltungsratsvorsitzender des Software-Unternehmens CompuGroup Medical SE & Co KGaA, zugleich Mehrheitsgesellschafter der Vius Management SE. bei der Reichelt als geschäftsführender Direktor fungiert. Gotthardt ist auch parteiloser Ehrenvorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz des CDU-Wirtschaftsrats. Die Nähe zur CDU spiegelt sich in einer vergleichsweise hohen Präsenz von christdemokratischen Politiker*innen im Nius-Programm. Zu Gast waren etwa CDU-Generalsekretäre Casten Linnemann, NRW-Innenminister Herbert Reul und Gitta Connemann. Auch Hans-Georg Maaßen, Vorsitzender der Werte-Union, gab sich die Ehre. Als einziger SPD-Politiker durfte Ralf Stegner auf Nius verkünden, dass er Russland militärisch nicht für schlagbar hält.
Senden auf allen Kanälen
Über die Zahl der Abonnent*innen schweigen die Betreiber sich aus. Auf der Seite befinden sich seit dem Start Sendungen wie „Achtung Reichelt!“, „Schuler! Fragen was ist“ (mit Ralf Schuler, Ex-Leiter der „Bild“-Parlamentsredaktion). „Gio unzensiert“ (mit Giovanna Winterfeldt, ebenfalls eine frühere Mitarbeiterin Reichelts).
Die Formate werden unter der Marke Nius gebündelt, die Inhalte auf dem Portal sowohl als Text, Video als auch als Webradio verbreitet. Die tägliche „Nachrichten“-Sendung „Nius Live“ – de facto eher ein Mix wüster Meinungsbeiträge, erreichte im Umfeld der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen im September 2024 erstmals mehr als eine Million Zuschauer*innen in einer Woche. Zeitgleich erhielt die Betreibergesellschaft Vius SE von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) die Zulassung für ein bundesweites Fernseh- und Radioprogramm. „Nius – Das Radio“ ist derzeit als Webangebot zu hören und strebt eine Verbreitung per DAB+ an. (Update: Im Saarland, in Niedersachsen und in Teilen Hamburgs ist „Nius“ seit Juli über Digitalradio (DAB+) zu empfangen. Für den Großraum Berlin ist der Sendestart für Anfang November geplant. Laut Landesmedienanstalten hat sich „Nius“ auch in Thüringen für einen Sendeplatz beworben.)
Der Fall Brosius-Gersdorf
Im Fall der geplanten Berufung der Juristin Brosius-Gersdorf an das Bundesverfassungsgericht läuft Nius zu impertinenter Hochform auf. Allein zwischen dem 2. und 17 Juli, so zählte das österreichische Medienwatchblog “Kobuk“ nach, veröffentlichte die Plattform 33 durchweg negative Beiträge. Trauriger Höhepunkt: ein Kommentar von Nius-Chef Reichelt höchstselbst, in dem er der Juristin unterstellt, sie würde in „wertes und unwertes Leben“ aufteilen und argumentiere auf eine Weise, „die jedem rechten Juristen innerhalb von Sekunden Vergleiche (von Links) mit dem Nationalsozialismus einhandeln würde“. Solches Gedankengut, so Reichelts Verdikt, „führt immer in die Hölle des Totalitarismus“.
Andere zogen nach. Der österreichische „eXXpress“, laut Eigendarstellung das Nachrichtenportal „für Selberdenker“, druckte Reichelts üble Suada komplett ab. Das Ganze schon in der Headline geframed als „linkes Justiz-Komplott“. Zufällig geschieht das nicht: Seit Mitte November 2024 befindet sich „eXXpress“ zu 50 Prozent im Besitz von Vius & Co., der Betreiberin von Nius. Der enge Austausch zwischen den politisch ähnlich gepolten Medienhäusern werde für beide Seiten von großem Vorteil sein, hatte Nius-Chef Reichelt seinerzeit frohlockt.
Staatliche Gelder für rechte Medien
Bemerkenswert: „eXXpress“ partizipiert an einem Topf für „Qualitätsjournalismusförderung“, die die schwarz-grüne Regierung Österreichs Anfang 2023 auf den Weg gebracht hat. Die gesetzlichen Kriterien sind offenbar so unscharf formuliert, dass selbst ein rechtes Krawallmedium wie „eXXpress“ 2025 mehr als 41.000 Euro überwiesen bekommt. Ein Ausschluss von dieser Förderung, so der liberale „Standard“, sei „nur bei gröbstem Fehlverhalten wie Hetze oder dem Aufruf zur Gewalt vorgesehen“.
Zuverlässig funktionierte auch eine andere austro-deutsche Connection: Am Vorabend der für die Richterwahl vorgesehenen Bundestagssitzung meldete sich der österreichische „Plagiatsjäger“ Stefan Weber mit dem Hinweis auf „Textparallelen“ zwischen der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus Gersdorf.
Populistischer Plagiats-Pro
Sogar die Süddeutsche Zeitung titelte zunächst: „Plagiatsverdacht: Was wird Juristin Brosius-Gersdorf vorgeworfen?“ Das Blatt hätte es besser wissen können. Schließlich war die SZ selbst Anfang 2024 Opfer einer gezielten Attacke Webers auf die Glaubwürdigkeit ihrer stellvertretenden Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid geworden. Die Parallele ist frappierend: Auch damals ging es um Plagiatsvorwürfe gegen die Dissertation der renommierten Journalistin. Auch damals wurde per Kampagne ein vermeintlicher Skandal losgetreten, der keiner war. Besonders perfide: Reichelts NIus hatte seinerzeit die „Plagiatsprüfung“ sogar in Auftrag gegeben und bezahlt.
Sollte es gelingen, Brosius-Gersdorf zur Aufgabe ihrer Kandidatur zu nötigen, wird von Nius und den anderen Akteuren der rechten Blase schon mal der Kampagne zweiter Teil angedroht – gegen die ebenfalls von der SPD nominierte Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold. Überschrift: „Warnung! Wenn die CDU Frau Kaufhold zur Richterin wählt, kommt Enteignung!“
Der Fall zeige anschaulich, „wie die Akteur*innen dieses Netzwerks in der Lage sind, Narrative innerhalb kürzester Zeit in große Reichweiten zu überführen und dabei professionell mit Desinformation und Skandalisierung zu arbeiten“ diagnostiziert Patrick Gensing in den Belltower News, der Plattform der gemeinnützigen Amadeu Antonio Stiftung, die sich „gegen Hass und Hetze im Netz“ engagiert.
Zu Zeiten der Ampel-Regierung galten vor allem die Grünen dem rechten Eiferer Reichelt als Hauptgegner. Entsprechend strengte Nius sich an, die woken Medien der „Klimalüge“ zu überführen und die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Gutachten in Frage zu stellen. In der Migrationsfrage sattelte man auf Räuberpistolen wie die des CDU-Vorsitzenden Merz auf, wonach Asylbewerber*innen zulasten deutscher Patienten übermäßige Zahnarztbehandlungen in Anspruch nähmen. Unter links-grün- versiffte Ideologie fällt bei Reichelt im Prinzip alles, was auch nur entfernt nach gesellschafts- oder wirtschaftspolitischer Reform riecht: Atomausstieg, offene Grenzen, Umverteilung, Verbrennerverbot, Selbstbestimmungsgesetz, etc.
Feindbild offene Gesellschaft
Ein Dorn im Auge sind Nius Initiativen aus der Zivilgesellschaft. Seit kurzem wird auf der Plattform die Publikation „Der NGO-Komplex. Wie die Politik unser Steuergeld verprasst“ gehypt. Autor ist Björn Harms, Chef vom Dienst bei Nius. Der Begriff „Komplex“ verweise auf die dahintersteckende Absicht, urteilt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Es gehe nicht um Aufklärung, sondern um „Dämonisierung – gemeint ist eine angeblich staatsnahe Zivilgesellschaft, die sich in Wahrheit schlicht für eine demokratische, offene Gesellschaft einsetzt“. Eine Art publizistische Verlängerung der 551 Fragen, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im vergangenen Wahlkampf im Rahmen ihrer sogenannten „Kleinen Anfrage“ stellte.
Reichweite
Das Portal schaffte es im September 2025 nicht in die Liste der Top 100 Onlinemedien. Es erreichte mit 5,69 Mio. Visits lediglich Rang 115.
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