Meinungsfreiheit
Von Karin Wenk | Der erste „Internationale Tag für freie Meinungsäußerung im Internet“ am 13. März initiiert durch Reporter ohne Grenzen (ROG) war ein Erfolg. Etwa 100.000 Besucher zählte ROG auf ihrer Website. 21.843 Internetnutzer hatten sich an diesem Tag an der Online-Protestaktion gegen Internetzensur beteiligt. Sie entwickelten virtuelle Figuren mit Plakaten gegen Internetzensur und für die Freilassung inhaftierter Online-Dissidenten. So demonstrierten sie in Burma, China, Kuba, Ägypten, Eritrea, Nordkorea, Tunesien, Turkmenistan und Vietnam. Die Aktion läuft weiter, die Plattform unter www.rsf.org bleibt geöffnet. Dort ist auch die aktualisierte Version des „Handbuchs für Blogger und Internet-Dissidenten“ und die Liste der „Feinde des Internets“ zu finden. 62 Online-Dissidenten sitzen weltweit hinter Gittern. Allein im vergangenen Jahr wurden 2.600 Internetseiten, Blogs und Diskussionsforen abgeschaltet oder gesperrt.
Auch viele Journalisten sitzen im Gefängnis, starben oder sind vom Tode bedroht, weil sie Missstände aufdecken, wahrhaftig über die Politik in ihren Ländern berichten, unabhängig ihrer Arbeit nachgehen. Ihrer werden wir auch in diesem Jahr am 3. Mai, dem „Tag der Pressefreiheit“, gedenken. Dabei hat China, sein Umgang mit den Menschenrechten und der Pressefreiheit in diesem Jahr die besondere Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Für Journalistinnen und Journalisten eine Herausforderung, kritisch aber auch differenziert zu berichten. ROG und amnesty international bieten dafür eine Reihe von Informationen und auch Möglichkeiten zum Protest, gegen eine Gängelung der Berichterstattung unter der olympischen Flamme. Dennoch reicht es nicht den Focus auf China zu richten (Seite 28–30). Im nordafghanischen Mazar-i-Sharif wurde der 23jährige Journalistik-Student Sayed Perwiz Kambachsch zum Tode verurteilt. Sein Verbrechen: Ein Artikel über die Rolle der Frau im Koran, den er an der Universität verteilt hat. Der unabhängige Journalistenverband Afghanistans sieht in der Verurteilung eine Kampagne gegen den Bruder des Studenten. Sajed Ibrahimi, Journalist des Internationalen Instituts für Kriegs- und Friedensberichterstattung, hat 2007 kritische Artikel über afghanische Behörden verfasst. Auch anderthalb Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja, laufen die Drahtzieher des brutalen Anschlags frei herum und Moskau versucht, die Weltöffentlichkeit mit vermeintlichen unklaren Aufklärungshäppchen hinzuhalten. Und Simbabwe – ein Beispiel par excellence für die Behinderung freier Berichterstattung über angeblich freie Wahlen. Ausländischen Medien wie der BBC wurden Akkreditierungen verweigert, ständige Agenturkorrespondenten verwarnt und einheimische Journalisten kamen auf eine Liste missliebiger Personen.
Unbehagen
Von Günter Frech | Hoppla – auch Bundestagspräsident Norbert Lammert macht sich Sorgen um den Zustand der hiesigen Medien. „Wir haben einen gnadenlosen Medien-Wettbewerb, der für die Ernsthaftigkeit politischer Prozesse, freundlich formuliert, nicht besonders vorteilhaft ist“, so der CDU-Politiker in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Dass dieses Interview in diesem Blatt stattfand, ist insofern bemerkenswert, weil gerade diese Redaktion derzeit eine vorbildliche Auseinandersetzung um den Erhalt journalistischer Qualität, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit führt (siehe M 3/2008). Diese Essentials dürften nicht einem „verkaufsfreundlichen Anzeigenumfeldjournalismus“ zum Opfer fallen, meint Thomas Rogalla, Sprecher des Redaktionsausschusses der Berliner Zeitung. Im Kern geht es darum, das Renditeerwartungen von 18 bis 20 Prozent Unfug sind. Auch hier wird Lammert deutlich: „Es gibt einen generellen Trend, den ich mit Unbehagen registriere und der leider zunehmend auch die Medien erreicht. Das ist die wachsende Emanzipation der Kapitaleigner von den jeweiligen Produkten oder Dienstleistungen zugunsten reiner Renditeerwartungen.“ Gut gesagt, Herr Präsident! Vor gut zehn Jahren formulierte dies Holger Artus, Betriebsratschef der Hamburger Morgenpost, so: „Ein Verlag ist keine Schraubenfabrik.“
Dass diese Binse zehn Jahre später bei einem Spitzenpolitiker ankommt, ist einerseits erfreulich, andererseits aber auch ziemlich bigott. Dieses Land ist seit Mitte der Achtziger Jahre zum neoliberalen Laboratorium verkommen. Diese Entwicklung ist nicht wie ein Phantom über uns gekommen. Das geschah mit tatkräftiger Unterstützung der politischen Entscheidungsträger. Mit beinahe religiösen Zügen wurde der Markt, der alles regelt, gelobpreist. So war es nur logisch, dass sich auch Kulturgüter einer aberwitzigen Ökonomisierung ausgesetzt sahen. Wenn mit Schrauben nicht mehr genug Geld zu verdienen ist, wird es eben mit Zeitungen probiert – warum nicht? Nur: Diejenigen, die vor diesem fatalen Verfall der Sitten gewarnt haben, wurden geteert und gefedert und mit Schimpf und Schande sinnbildlich vom Hof gejagt.
Die Party des neuen – oder vielleicht doch ganz alten? – Kapitalismus ist längst vorbei. Der Kater kam mit Zeitverzögerung. Plötzlich werden Finanzinvestoren mit dem Bild „Heuschrecken, die alles kahlfressen“ versehen. Und es ist vom Turbo- und Karawanenkapitalismus die Rede. Unisono kommt das aus christ- und sozialdemokratischem Munde. Und so mancher neoliberale Lautsprecher in den Redaktionsstuben entdeckt die soziale Frage. Das ist gut so, muss aber in der Konsequenz zu Ende gedacht werden. Nur dann verschwinden die Geister, die einst gerufen wurden.