Meinung
Vor etwas mehr als einem Jahr belegte die damalige Innenministerin Nancy Faeser die herausgebende Compact-GmbH mit einem Vereinsverbot nach Artikel 9 Grundgesetz. Kurze Zeit später legte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot auf Eis. Die Compact-GmbH produzierte indes weiter. Elsässer freute sich diebisch.
Vereinsverbote gehören neben dem Parteiverbot nach Artikel 21 und dem Entzug von Grundrechten nach Artikel 18 zu den Mitteln der sogenannten „wehrhaften Demokratie“. Diese erlauben es unter bestimmten strengen Voraussetzungen Grundrechte einzuschränken, wenn diese für den Kampf gegen die liberale Demokratie missbraucht werden.
Die Praxis mit Verboten gegen antidemokratische Kräfte vorzugehen, entwickelte sich bereits in der Zwischenkriegszeit und wurde recht erfolgreich gegen die damals in ganz Europa virulenten faschistischen Bewegungen eingesetzt – durchaus mit zeitweiligem Erfolg und entgegen dem Märchen von der angeblich wehrlosen Weimarer Republik. Denn im damaligen Deutschland war die NSDAP, nebst einer ganzen Reihe weiterer rechtsextremer Parteien, zeitweise verboten.
Vereinsverbote nicht unüblich
Anders als Parteiverbote, von denen in der Bundesrepublik nur zwei in den 50er Jahren vollzogen wurden, werden Vereinsverbote in Deutschland, wenn auch letztlich sparsam, dann doch ungleich häufiger eingesetzt – in der Regel gegen harte Neonazis oder Islamist*innen. Dass solche Verbote erfolgreich vor Gericht angefochten und aufgehoben werden, kommt nur äußerst selten vor.
Das Verbot gegen Compact wies im Grunde zwei Besonderheiten auf: Es richtete sich gegen ein Medium bzw. gegen Medien, das Compact-Magazin und den online Video-Kanal Compact TV. Und es richtete sich statt gegen klassische Neonazis gegen eine Organisation aus dem nächsten Um- und Vorfeld der AfD.
Was AfD und Compact verbindet ist mitunter die gemeinsame Bezugnahme auf den vom umtriebigen Aktivisten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, geprägten Begriff der „Remigration“ – die Vorstellung Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte abzuschieben oder ihnen das Leben so schwer zu machen, dass sie es aus eigenem Antrieb verlassen. Als Parteivorsitzende hat Alice Weidel ganz bewusst bei dem während des Bundestagswahlkampfs abgehaltenen Parteitag in Riesa den Begriff angeeignet und unter schallendem Beifall zur Position der Partei erklärt.
Aber genau über Sellners „Remigrations“-Pläne befindet der Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht Ingo Kraft nun, dass dieses Vorhaben aus Sicht des Gerichts verfassungswidrig sei und ein Verbot durchaus rechtfertigen würde. Nur sei diese Position neben vielen anderen Positionen im Blatt keineswegs „prägend“ und das Verbot daher unverhältnismäßig. Auf das Kriterium der Verhältnismäßigkeit käme es bei Parteiverbotsverfahren aber nicht an. Über ein solches hätte auch nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu entscheiden.
Dämpfer für Parteiverbotsverfahren gegen die AfD
Dennoch, und auch hier scheinen sich die verschiedensten Beobachter*innen einig, dürfte das Urteil einen Dämpfer in Richtung eines möglichen Parteiverbotsverfahren gegen die AfD bewirken. Ähnlich wie bereits 2017 das abschlägige Urteil des Bundesverfassungsgericht Verbotsverfahren gegen die NPD vermittelt auch das Compact-Urteil einen unterschwelligen Unwillen, Organisationsverbote, als das „scharfes Schwert der wehrhaften Demokratie“, als welches sie oft bezeichnet werden, auch umzusetzen. Damals argumentierte Karlsruhe, die NPD verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, ihr fehle aber die nötige „Potenzialität“ diese auch umzusetzen. Ganz ähnlich konstatiert nun auch das Bundesverwaltungsgericht den verfassungsfeindlichen Charakter von Compact, sagt aber zugleich, die „Prägung“ sei eben noch nicht ausreichend.
Es gehört zu den großen Missverständnissen unserer Zeit, allein das Vorhandensein wehrhaft demokratischer Mittel in der Verfassungsstruktur seinen ausreichend, um die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Die Frage ist auch, ob die entsprechenden Entscheider am Ende bereit sind, diese umzusetzen.
Der Autor ist Politologe und forscht im Projekt „Zur Wirkung von Verboten gegen rechtsextreme Vereinigungen“.