KI sitzt am Redaktionstisch

Foto: Gerd Altmannn/pixabay

Erst vor wenigen Jahren hat ein Großteil der Menschen überhaupt erfahren, was Künstliche Intelligenz (KI) in der Praxis bedeutet. Genauer gesagt: Viele Menschen haben mit ChatGPT einen ersten Eindruck davon bekommen, wie Maschinen Texte formulieren, Prüfungsaufgaben in Sekundenbruchteilen lösen oder umfangreiche Artikel in wenigen Sekunden auf wesentliche Inhalte zusammenfassen. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zieht die generative KI seitdem ein.

ChatGPT ist das prominente Zugpferd, wenn es um KI und deren Möglichkeiten geht. Dabei gibt es längst viel spezialisiertere KI-Modelle, die bereits heute verschiedenste Aufgaben zügig erledigen, für die früher Menschen sehr viel Zeit einplanen mussten.

Mit dem Aufkommen der verschiedenen KI-Modelle, tauchen auch verstärkt die Schattenseiten dieser Systeme auf. Wer sich schon einmal mit solchen KI-Tools beschäftigt hat, weiß inzwischen: Die KI schreibt auch manchmal gewaltigen Unsinn. Die Fachleute sprechen dann von Halluzinationen, also Inhalten, die plausibel klingen, allerdings von der KI frei erfunden worden sind.

Ähnlich negative Phänomene haben sich schon länger und weit vor dem Aufkommen von ChatGPT im Bereich der visuellen Medien verbreitet. Gefälschte Fotos oder Videos kursieren inzwischen in unzähliger Zahl im Word Wide Web und verbreiten sich über Social Media. Stichwort: Deepfake-Videos. Eines der bekanntesten Deepfakes zeigt den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der angeblich in die Kamera sagt: „Donald Trump ist ein Volldepp.“ Problem: Die Fälschung lässt sich mit bloßem Auge nicht mehr erkennen.

KI im ÖRR

Sämtliche Medien weltweit haben damals über das gefälschte Obama-Video und die KI-Technik dahinter berichtet. Seitdem fragen sich viele Menschen mehr denn je: „Was kann ich eigentlich noch glauben?“

Die Wahrheit steht nicht erst seit der verstärkten medialen Präsenz von KI auf dem Prüfstand. Social Media und die Empörung in den Kommentarspalten haben ARD und ZDF schon vorher mächtig zugesetzt. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten scheinen allerdings ihre Lehren aus den negativen Erfahrungen mit den sozialen Medien gezogen zu haben.

Denn beide großen Senderfamilien haben auf das KI-Thema sehr schnell reagiert und Einsatzregeln im Netz nachlesbar veröffentlicht. Ein wichtiges öffentliches Bekenntnis. Selbstverständlich fallen sämtliche mit KI erstellte Inhalte unter die journalistischen Grundsätze und Qualitätsrichtlinien der ARD, heißt es gleich zu Beginn in den sendereigenen KI-Grundsätzen.

Die journalistische Sorgfaltspflicht steht beim Einsatz von KI bei beiden Sendern selbstverständlich im Vordergrund. Sehr häufig tauchen Begriffe wie ‚transparent‘ und ‚unterstützend‘ auf. KI diene vor allem dazu, interne und externe Prozesse zu unterstützen. Dadurch bekommen die für das Programm zuständigen Menschen bei ARD und ZDF mehr Zeit, um sich noch intensiver um Recherche oder inhaltliche Verbesserungen zu kümmern, teilten uns beide Sender-Pressestellen auf Nachfrage mit.

Unterstützen, nicht ersetzen

Die KI sitzt also bereits unterstützend mit am Redaktionstisch. Denn es ist unbestritten: Viele Aufgaben kann eine Maschine viel effizienter als ein Mensch erledigen, wenn die entsprechende KI dahinter gut trainiert ist. Beim ZDF erkennt eine KI beispielsweise Personen in Videos. Außerdem werten ARD und ZDF mittels KI die Nutzungsdaten der Mediatheken aus. Auf diese Weise kann die Qualität der Empfehlungen für die Zuschauer*innen  verbessert werden.

Ein ARD-Sprecher betont dabei, die Algorithmen der Mediathek und Audiothek funktionieren dank KI anders als beispielsweise in den sozialen Medien. Der Einsatz der neuen Technik verhindere sogenannte Filterblasen-Effekte. Die KI bediene somit nicht nur aufgrund des Sehverhaltens abgeleitete Vorlieben, sondern erweitere ganz gezielt den Themen-Horizont.

Aufgrund der besonderen Struktur der ARD verteilen sich die Verantwortlichkeiten in Sachen KI auf verschiedene regionale Sender-Schultern. Erst im Sommer 2024 hat die ARD ein senderübergreifendes KI-Netzwerk vorgestellt. WDR und BR haben gemeinsam die kommissarische Leitung des neuen Verbunds übernommen.

KI kritisch hinterfragen und Mehrwerte bieten

Der Bayrische Rundfunk kümmert sich schon länger um wichtige KI-Themen im journalistischen Umfeld und speziell innerhalb der ARD. Das Team des sogenannten AI & Automation Lab dient innerhalb der ARD als Schnittstelle von Journalismus, Informatik und Produktentwicklung. In der Praxis sieht das so aus: Die Mitarbeiter*innen beschäftigen sich nicht nur mit den Chancen von KI. Das AI & Automation Lab möchte einen öffentlichen Diskurs anstoßen und KI an sich sowie deren Einsatz immer wieder kritisch hinterfragen.

In der kritischen Auseinandersetzung spielen insbesondere ethische Aspekte eine Rolle. Was darf KI und was auf gar keinen Fall? Damit möchten die öffentlich-rechtlichen Sender journalistische Fehltritte verhindern wie im Jahr 2023 bei „Die Aktuelle“. Die Zeitschrift, die für seichte Promiklatsch-Geschichten bekannt ist, hatte ein mit KI-erstelltes, frei erfundenes Interview mit dem Ex-Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher veröffentlicht. Das Blatt ist dabei ethisch weit über das Ziel hinausgeschossen. Denn Schumacher lebt seit einem schweren Skiunfall im Jahr 2013 zurückgezogen in der Schweiz.

ARD und ZDF setzen lieber auf KI-generierte Inhalte, die einen Mehrwert für das Publikum bieten. Beispielsweise hat die ARD nach dem Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine Kommentare der ARD-Online-Community mit Hilfe von KI ausgewertet. Ziel war es, herauszubekommen, was für Fragen die Menschen haben und welche Themen sie bewegen. Auf Basis dieser Informationen sind verschiedene Sendeformate entwickelt worden, um dieses vorhandene Wissensbedürfnis zu befriedigen.

Das ZDF berichtet über ein noch im Probestadium befindliches Projekt, bei dem KI dabei hilft, Videos in der sendereigenen Mediathek automatisch zu untertiteln. Spracherkennung spielt bei beiden öffentlich-rechtlichen Sendern eine zunehmende Rolle. Während früher Tonspuren zeitaufwendig per Hand in Text übertragen werden mussten, unterstützt dabei inzwischen zuverlässig eine KI-Software.

Journalistische Leistung für KI tabu

Die aufgeführten Beispiele machen deutlich: Die anfangs erwähnten KI-Grundsätze von ARD und ZDF sind schon heute sehr lebendig. Die selbst auferlegten Regeln scheinen mehr als reine Worthülsen zu sein, sondern real gelebte tägliche Praxis.

Dennoch stellt sich die Frage, ob KI nicht irgendwann doch menschliche Arbeit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten überflüssig macht. Auf konkrete Nachfrage antwortet das ZDF eindrücklich: „Generative KI-Tools können die Arbeit der Redaktionen unterstützen, aber nicht ersetzen. Wo es um schöpferische journalistische Leistung oder andere kreative Tätigkeiten geht, bleibt KI außen vor.“

Auch die ARD betont einmal mehr den unterstützenden Aspekt der KI: „Die umfassenden Kompetenzen und das Urteilsvermögen von Menschen, die für die ARD arbeiten, sind nicht ersetzbar.“ Und weiter heißt es: „Einzelne Menschen ersetzen wollen wir nicht, Arbeitserleichterungen nutzen und Aufgaben umverteilen dagegen schon.“

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