„Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam“ von Peter Lilienthal
Am Anfang stand ein heilsamer Schock: Camilo Mejia hatte gerade seinen ersten Einsatz im Irak, da unterwies ihn ein Kommandant im Foltern von Gefangenen: „Hunde verstehen, wenn man laut genug schreit; schalten einige dennoch auf stur, nimmst du eine 9-Millimeter-Pistole, hältst sie ihnen an den Kopf und entsicherst die Waffe, damit sie glauben, sie werden exekutiert“. Eigentlich hatte sich Camilo rekrutieren lassen im naiven Glauben, den Irakern helfen zu können.
Nun wurde ihm klar, dass er nicht länger Soldat sein wollte. Er desertierte, suchte sich Rechtsbeistand und stellte sich freiwillig dem Prozess mit der Militärpolizei. Danach wurde er zu acht Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Gleichwohl fühlte sich der Migrant aus Nicaragua, der mit seinem Gewissen ins Reine kommen wollte und heute die Iraker um Verzeihung bittet, wie befreit, auch wenn verdrängte Traumata wie eine Zeitbombe weiterticken. Dass er zum Komplizen von Grausamkeiten wurde, lässt ihn noch heute glauben, sich von der Gewalt nicht ganz getrennt zu haben. Diese Wut in eine pazifistische Mission umzulenken, ist das Anliegen von Peter Lilienthal, der in seiner aufrüttelnden Dokumentation noch einen weiteren engagierten Kriegsgegner vor die Kamera holt: den Mexikaner Fernando Suarez del Solar, Vater eines der ersten toten US-Soldaten im Irak. Lilienthal begleitet ihn an den Ort, an dem sein Sohn starb, der sich wie viele Migranten seiner neuen Heimat anpassen und seiner wirtschaftlich desolaten Situation entfliehen wollte. Fernando erzählt, wie schnell sich Ernüchterung einstellte. Als Jesús nur einmal bei einer Parade seine Mutter grüßte, wurde er von seinem Vorgesetzten als „mexikanisches Weichei“ gedemütigt und angeherrscht, seine Familie künftig zu ignorieren. Kurz darauf kam er ums Leben. Als Fernando den Deckel des Sarges öffnete, bot sich ihm der schreckliche Anblick eines verstümmelten Körpers. Jetzt will er dem Sohn noch einmal nahe sein, sucht er nach Spuren und Einzelheiten der Todesumstände. Sein unendlicher Schmerz ist ergreifend, aber er hat den Trauernden auch stark gemacht, der auf die Iraker zugeht, an ihrem Leiden Anteil nimmt und in Schulen zieht, um Kinder, die Angst und Unsicherheit in ihrem Land ausgesetzt sind, zu retten und davor zu warnen, Soldaten zu werden.
„Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam“ zeigt die zynischen Verbindungen eines Systems auf, in der Latinos nur dann in den USA willkommen sind, wenn sie sich als Kanonenfutter auf die Schlachtfelder der Welt schicken lassen. Im Gegensatz zu anderen Filmen, die den Irakkrieg und die aggressive Rekrutierung in den USA kritisch ins Visier nehmen wie etwa Michael Moores „Fahrenheit 9/11“, Sam Mendes’ „Jarhead“ oder Robert Redfords „Von Löwen und Lämmern“ sind es hier die Protagonisten selbst, die wichtige Aufklärungsarbeit leisten und dank ihrer starken Persönlichkeit vorbildlich wirken.