In der „Nahaufnahme“ dokumentiert Reporter ohne Grenzen (RSF) jedes Jahr Attacken auf Pressevertreter*innen. Für 2024 sind jetzt die Zahlen erschienen. RSF fordert angesichts der Verdopplung von Übergriffen auf Medienschaffende und Medienhäuser von der neuen Bundesregierung entschiedene Unterstützung für die Pressefreiheit.
Sie wurden geschlagen, getreten und mit Flaschen beworfen: Im Jahr 2024 hat Reporter ohne Grenzen (RSF) 89 Attacken auf Medienschaffende und Medienhäuser dokumentiert. Insgesamt 75 der 89 Angriffe umfassten körperliche Gewalttaten, wie die jetzt veröffentlichte Nahaufnahme 2025: RSF-Report zur Pressefreiheit in Deutschland zeigt.
Medienschaffende als Feinde
„Viele Bürgerinnen und Bürger betrachten Medienschaffende mittlerweile als Feinde. Es ist die Aufgabe von Medienhäusern und Politik, das Vertrauen in die ‘vierte Gewalt’ wiederherzustellen. Die neue Regierung muss wichtige medienpolitische Vorhaben so schnell wie möglich umsetzen, um Journalistinnen und Journalisten besser vor populistischen Angriffen zu schützen und sich Desinformation und Propaganda entgegenzustemmen“, sagt Katharina Viktoria Weiß, RSF-Referentin für Deutschland und Co-Autorin der Nahaufnahme anlässlich der Veröffentlichung.
Gewalttaten gegen Reporter*innen im Jahr 2024
Mit 89 Attacken haben sich die Angriffe, die RSF verifizieren konnte, im Jahr 2024 verdoppelt. 2023 waren es 41. Eine Auffälligkeit in der Statistik: Gewalt gegenüber Journalist*innen war im Jahr 2024 vor allem im Brennpunkt Berlin ein Thema, wo sich 49 der bundesweit dokumentierten Fälle ereigneten. Die meisten Übergriffe zählte RSF am Rande von Nahost-Demonstrationen. 29 dieser Attacken richteten sich gegen zwei Reporter, die immer wieder angegriffen wurden. Im Rest Deutschlands geraten Medienschaffende weiterhin zumeist bei der Berichterstattung von rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Versammlungen in Gefahr. Dort wurden 2024 insgesamt 21 Übergriffe gezählt. RSF geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
„Diese Angriffe sind eine direkte Attacke auf die Pressefreiheit“, erklärt Danica Bensmail, dju-Bundesgeschäftsführerin. „Journalist*innen müssen ohne Angst vor Gewalt arbeiten können. Medien, Sicherheitsbehörden und Politik sind in der Pflicht, unverzüglich verlässliche Schutzmaßnahmen zu gewährleisten.“
Nahost-Berichterstattung vertieft Konflikte
Auch innerhalb der Redaktionen gab es 2024 Konflikte. Dies betrifft vor allem die Arbeit zu Israel und Palästina nach dem 7. Oktober 2023. Unter anderem schilderten Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten demnach äußerst langwierige Kontroll- und Aushandlungsprozesse zu Begriffen, mit denen die israelische Kriegsführung kritisiert wird. Aussagen palästinensischer Quellen und von Menschenrechtsorganisationen oder den Vereinten Nationen würden grundsätzlich in Frage gestellt – anders als solche des israelischen Militärs. Viele Journalist*innen äußern zudem Angst vor Bloßstellung in anderen Medien und auf Social Media.
Medienvielfalt in Deutschland unter Druck
Weiterhin richtet die „Nahaufnahme“ ihren Blick auf die Entwicklung der Medienvielfalt. Grundsätzlich auf einem international hohen Niveau, bleibt der Trend zu Monopolisierung bestehen. Während öffentlich-rechtliche und private Sender weiterhin ein großes Angebot haben, nimmt die Zahl unabhängiger Lokalzeitungen stetig ab. Seit 1992 stieg der Anteil der Landkreise, in denen es nur noch eine Lokalzeitung gibt, von 33,5 auf 46,75 Prozent. Um der weiter abnehmenden Medienvielfalt entgegenzuwirken, fordert RSF die eindeutige steuerliche Anerkennung von gemeinnützigem Journalismus im Gemeinnützigkeitsrecht – eine Forderung, die bisher politisch nur mit wenig Ambitionen verfolgt wurde. Um eine nachhaltige und weiterhin freie Pressearbeit auch im digitalen Zeitalter zu garantieren, muss eine plattformunabhängige Journalismusförderung mit einem Fokus auf den Beitrag einer Publikation zur publizistischen Vielfalt umgesetzt werden, wobei die Mittel wesentlich der redaktionellen Arbeit zugutekommen müssen, so RSF.
Gesetzesvorhaben umsetzen
Auch medienpolitische Vorhaben wie der European Media Freedom Act (EMFA), der Digital Services Act (DSA) und die Anti-Slapp-Richtlinie müssten konsequent und demokratisch angewandt werden. Die neue Regierung muss das Gesetzesvorhaben gegen Digitale Gewalt wieder aufnehmen, das die Ampel-Regierung nicht mehr umgesetzt hat, fordert RSF. Ebenso dränge eine strukturelle Förderung von Exiljournalismus und dem verbesserten Schutz von Exil-Journalist*innen vor Übergriffen aus ihren Heimatländern.
Die Nahaufnahme enthält auch ein Plädoyer für ein bundesweites Transparenzgesetz. Vorhaben wie die IP-Vorratsdatenspeicherung, die Ausweitung von Staatstrojanern, der Einsatz biometrischer Identifikationsverfahren und Datenbanken oder das Brechen von Verschlüsselung gefährden die vertrauliche Kommunikation zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen. Quellenschutz und Schutz vor Überwachung müssten gewährleistet sein. Gleichzeitig dürften journalistische Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Recherche nicht beschnitten werden.