Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Eine Wüste hat schöne Farben, eine Nachrichtenwüste hat nicht einmal die. Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Noch sei es nicht so weit, aber von einer „Steppe“ könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von „Wüstenradar“, einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von „Nachrichtenwüsten“.

„Wüstenradar“ erfasst systematisch die Zahl der wirtschaftlich unabhängigen gedruckten lokalen Tageszeitungen auf Kreisebene. Und sie stellte fest: Die Zahl der Einzeitungskreise in Deutschland hat zwischen 1992 und 2023 deutlich zugenommen. Das heißt und ist auf einer interaktiven Karte eindrucksvoll dargestellt: In fast jedem zweiten Landkreis gibt es aktuell nur noch eine einzige eigenständige Tageszeitung. Von Medienvielfalt kann da schon jetzt nicht mehr die Rede sein. Es gibt nicht nur keinen Wettbewerb mehr, was die Qualität der Produkte deutlich beeinflussen dürfte. Auch der zu rasche oder nicht begleitete Umstieg auf Onlineformate führt dazu, dass Menschen, die es gewohnt sind, gedruckte Zeitungen zu beziehen und zu lesen, von der Informationsversorgung abgeschnitten sind, weil sie den Wechsel nicht mitgehen. Regionen ohne täglich erscheinende Lokalpresse und auch ohne adäquate Formate sind in naher Zukunft nicht unwahrscheinlich, wenn es keine rasche Trendumkehr gibt.

Medienvielfalt erhält Demokratie

Was diese Entwicklungen für Demokratie und Mitbestimmung bedeuten, ist einer von vielen inzwischen debattierten Aspekten. Die Autor*innen der Studie warnen davor, Entwicklungen wie in anderen Ländern zu unterschätzen. „Aus der internationalen Forschung wissen wir sehr genau, welche Auswirkungen fehlender Lokaljournalismus auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie und das Gemeinwesen haben kann: abnehmende politische Partizipation, mehr Polarisierung und eine höhere Wahrscheinlichkeit für Fehlverhalten in Wirtschaft und Politik“, sagt dazu Christian Wellbrock.

Vor dem Hintergrund internationaler Erkenntnisse schlägt die Studie daher politische und zivilgesellschaftliche Maßnahmen vor, um der Entstehung von Zeitungswüsten entgegenzuwirken. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Journalismus, Innovationsförderungen und Anreize zur Beschäftigung von Journalist*innen zu schaffen sind nur einige.

„Lokaljournalismus gehört zur demokratischen Daseinsvorsorge“, sagt dazu Stefanie Reuter, geschäftsführende Vorständin der Rudolf Augstein Stiftung, die das Projekt unterstützt hat. Es brauche jetzt den sektorübergreifenden Schulterschluss, um zu verhindern, dass auch in Deutschland Nachrichtenwüsten entstehen – und „mutige politische Weichenstellungen“. Es sei noch nicht zu spät.

Fallstudien als Lichtblick und Mahnung

Ein weiterer Bestandteil der Studie sind journalistische Fallstudien aus Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg, die zeigen, wie lokale Medienmärkte neue Modelle erproben. „Das macht auf der einen Seite Mut, weil dort neue Modelle wie der gemeinnützige Journalismus ausprobiert werden“, meint Thomas Schnedler, Co-Geschäftsführer vom ebenfalls am Projekt beteiligten Netzwerk Recherche. Auf der anderen Seite zeigten die Fallstudien aber auch, wie schwer es die investigative Recherche vor Ort hat. Zu oft fehlten dafür Zeit und Geld, dabei müsse gerade die „Wächterfunktion des Lokaljournalismus“ gestärkt werden, zum Beispiel durch Recherche-​Stipendien, Beratungen, Fortbildungen und Vernetzung.

Die Initiatoren der Studie sind sich einig: Deutschland befindet sich in einer Situation, in der demokratiegefährdende Entwicklungen in einzelnen Regionen noch verhindert werden können – vorausgesetzt, Politik, Medienpraxis und Zivilgesellschaft handeln gemeinsam und entschlossen. Auch Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda sieht das so. „Ohne eine fundierte journalistische Berichterstattung vor Ort bricht auch eine wichtige Säule der Demokratie weg. Das ist eine dringende Warnung an die Medienpolitik und ein Auftrag, die Bedingungen des Journalismus vor Ort zu verbessern. Dies ist aber auch eine Mahnung für uns alle, dass uns der lokale Journalismus etwas wert sein muss“, sagte er bei der Vorstellung von „Wüstenradar“.

Die Studie wurde von Forschenden der Hamburg Media School durchgeführt, unterstützt durch Netzwerk Recherche, der Rudolf Augstein Stiftung und Transparency International Deutschland.

Weitere aktuelle Beiträge

Reich durch Medien wird nicht nur Musk

Jeden Tag drei neue Trump-Videos, zwei neue Musk-Gesten, ein neues Zuckerberg-T-Shirt: Die newsgetriebene Medienwelt wartet auf jedes Zucken im neuen autoritären Zirkus jenseits des Atlantiks. Ohne diesen zu relativieren zu wollen: Wer nimmt die Medienmilliardäre oder von Superreichen gepäppelten Portale diesseits des großen Wassers unter die Lupe?
mehr »

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

RBB will Fehler analysieren

Der RBB räumte bereits schwerwiegende Fehler bei der Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ein. In einer internen Sondersitzung soll nun ein weiteres Vorgehen geklärt werden. Um den Aufklärungsprozess „konstruktiv zu begleiten“, habe der rbb-Programmausschuss für kommenden Montag eine Sondersitzung einberufen, so der Sender. Darin soll es offenbar um die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Beratungsfirma Deloitte gehen.
mehr »

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »