„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
Zum Auftakt erklärte Sirkka Möller, langjährige Festivalarbeiterin und eine der Aktiven der AG Festivalarbeit in ver.di, die wichtigsten Anliegen des Fair Festival Awards und die Vorgehensweise bei der Ermittlung des fairsten Festivals aus Sicht der Beschäftigten: „In einer ersten Runde läuft die Umfrage unter allen festen und freien Mitarbeiter*innen deutscher Filmfestivals. Die zweite Runde folgt ab Ende des Jahres mit allen festen und freien Mitarbeiter*innen der Festivals, die in der ersten Runde am besten bewertet wurden. So soll eine möglichst valide Gesamtbewertung zustande kommen.“ Die Umfrage ist ab jetzt aktiv und die ver.di-Aktiven hoffen auf eine große Beteiligung.
Im anschließenden Podium hatte eine internationale Runde Platz genommen: Christin Schulz, Festivalmanagerin bei DOK Leipzig, die mit nur kurzer Vorlaufzeit ein internationales Menschengemisch aus ca. 150 Mitarbeiter*innen und 170 Volunteers zu einem gut funktionierenden Team machen muss. Michelle Carey wohnt zwar in Berlin, arbeitet aber als Programmerin u.a. für Festivals in Paris, New York und Rotterdam. Susana Fernandez sammelte Erfahrungen bei den Filmfestivals Montreal und Cannes und ist beim Europäischen Filmfestival Sevilla als Film Industry Programmer tätig. Afsun Moshiry, war u.a. für Festivals in Mannheim und Kassel tätig, arbeitete später im Iran und stieg nach ihrer Rückkehr beim Berlinale Forum & Interforum Script Pitch ein. Die Moderation übernommen hatte Andrea Kuhn, Festivaldirektorin des Nürnberg Human Rights Film Festivals und aktives Mitglied der ver.di-AG.
Festivalarbeit international: Ähnliche Probleme allerorts
Schon in der Vorstellungsrunde wurde klar, dass sich Festivalarbeit international kaum unterscheidet: Oft ist sie von ungleichen Machtverhältnissen geprägt und die Begeisterung für das Kino und die Sache führt oft zu Selbstausbeutung. Sinkende Etats bei gleichzeitiger Inflation verschärfen die Probleme noch. Die meist nur kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnisse rund um die Festivaltermine führen bei den Festivalarbeiter*innen zu großer Prekarität: „Gibt es nächstes Jahr wieder einen Vertrag oder nicht?“ ist eine der zentralen Fragen. Afsun Moshiry machte es konkret: „Wie soll man – zum Beispiel bei einer sechsmonatigen Beschäftigung – das andere halbe Jahr überstehen?“, Susana Fernandez gab zu bedenken, dass derartig kurze Beschäftigungszeiten wenig Kontinuität im Festivalbetrieb ermöglichen: „Das kann eigentlich nicht der Sinn der Sache sein, dass immer wieder neue Leute sich einarbeiten und nach dem Festival wieder ausgespuckt werden.“ Als gutes Beispiel führte Fernandez Montreal an: „Hier gelten die Verträge in der Regel für zwei Jahre. Das wirkt absolut positiv auf die Motivation und die Stabilität der Zusammenarbeit. Und wenn Mitarbeiter*innen das Festival verlassen, werden die freiwerdenden Stellen zuerst intern ausgeschrieben.“ Das sei eine win-win-Situation, von der sowohl die Mitarbeitenden als auch das Festival profitierten. Christin Schulz erwähnte, dass bei DOK Leipzig wenigstens einige Jobs – so u.a. ihrer oder der für Gästemanagement und Akkreditierung – mit einer Festanstellung für das ganze Jahr ausgestattet sind. In den Niederlanden, so Carey, gab es immerhin Gespräche mit den wichtigsten Filmfestivals zu fairer Arbeit und Bezahlung der Festivalbeschäftigten und erste Umsetzungsideen. Der Austausch über Ländergrenzen hinweg sei immens wichtig, betonte Andrea Kuhn: „Wir müssen uns noch besser vernetzten und voneinander lernen.“
Festival und Familie – noch immer fast überall ein No-Go
Ein weiteres großes Problem für Festivalarbeiter*innen sind Kinder und Familie: „Wie soll die fast rund-um-die-Uhr-Arbeit während eines Festivals funktionieren, wenn man die Familie nebenbei managen muss?“, so Michelle Carey. Deshalb beteiligte sie sich beim Filmfestival Cannes an einer Initiative für Festivalarbeiter*innen – und es gelang: „Zwar kann die Kinderbetreuung nicht alle Probleme abfangen, aber es hilft ungemein“, berichtete sie. Afsun konnte berichten, dass man auch bei der Berlinale diese Problematik erkannt habe und eine Kinderbetreuung anbiete. Für Gäste gibt es bei einigen Filmfestivals solche Services – zum Beispiel beim European Filmfestival in Sevilla – für die Beschäftigten allerdings nicht“, sagte Susana Fernandez. Alle waren sich einig, dass andere Festivals nachziehen sollten, um die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten zu verbessern. Aber auch das fordert finanzielle Ressourcen, die Festivals in der Regel nicht haben.
Gesellschaftliche Diskussion über den Stellenwert von Kultur nötig
Für Sabine Gebetsroither, die sich aus dem Publikum meldete, gibt es nur eine gangbare Reaktion auf die allgemeine Finanzknappheit von Festivals: „Schrumpfen. Wir müssen zumindest darüber nachdenken“, sagte die Co-Festival-Direktorin beim Crossing Europe Filmfestival Linz. Das Streben nach mehr Filmen, mehr Publikum usw. könne nicht die Lösung sein. Susana Fernandez pflichtete ihr bei: „Wir brauchen eine Landschaft von großen und kleinen Festivals, die unterschiedliche Funktionen haben.“
Insgesamt, so waren sich alle einig, müsse ein Umdenken stattfinden: Der gesellschaftliche Wert von Kultur allgemein gehört in die öffentliche Debatte – und den Ergebnissen müsse eine finanzielle Ausstattung folgen.
Die in der spannenden Runde angesprochenen Aspekte spielen auch im Rahmen der Befragung(en) zum Fair Festival Award eine Rolle, denn sie beeinflussen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten immens. Bitte beteiligt euch an der ersten Runde der anonymen Umfrage zum Fair Festival Award, teilt sie mit euren Festivalkolleg*innen und nutzt dabei die Hashtags #FairFestivalAward und #FairOderPrekär. Je mehr Teilnehmer*innen, desto zielgenauer die Einschätzungen der verschiedenen Festivals.
Blick hinter (finstere) Kölner Festival-Kulissen
Was das Feature Grauzone – Machtmissbrauch im Kulturbetrieb im Deutschlandfunk Anfang Oktober über die Zustände beim Film Festival Cologne aufgedeckt hat, macht zugleich wütend und traurig. Wer vor oder nach dem Anhören des 44minütigen Radiofeatures etwas mehr erfahren möchte, kann in diesem Artikel weitere Hintergründe nachlesen – es gibt auch eine Solidaritätserklärung von Filmschaffenden.

