Medien halten sich bis zuletzt ein Türchen für drastische Schritte offen
Die bundesdeutsche Politik hält Distanz zu Olympia. Weder Kanzlerin Angela Merkel noch Außenminister Frank-Walter Steinmeier wollen bei der Eröffnungsfeier am 8. August in Peking dabei sein. Boykott? Keineswegs, die Teilnahme sei ohnedies nicht geplant gewesen, heißt es aus dem Kanzleramt. Ganz so einfach haben es die Medien nicht.
Allen voran ARD und ZDF, die sich auf ein neuerliches 18-Tage-Live-Marathon vorbereiten. Doch angesichts der nicht abreißenden Demonstrationen gegen die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Gastgeber hält man sich immerhin ein Türchen für drastische Schritte offen.
Sollte die Freiheit der Berichterstattung eingeschränkt werden, so ARD-Vorsitzender Fritz Raff, werde geprüft, ob man den „rechtlichen Verpflichtungen auf Berichterstattung in vollem Umfang nachkommen“ könne. Auch WDR-Intendantin Monika Piel mochte gegenüber Focus einen Ausstieg der ARD nicht komplett ausschließen. Würden etwa die Arbeitsmöglichkeiten für ARD-Kamerateams eingeschränkt, „müssen wir über die Berichterstattung neu nachdenken“ Die Menschenrechtsverletzungen in Tibet nannte Piel einen „kulturellen Genozid“. Es sei allerdings klüger, die Entscheidung über einen Boykott „offen zu lassen“. Ähnlich äußerte sich auch RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel. Falls festgestellt werde, „dass Informationen aus China manipuliert sein könnten, werden wir unsere Berichterstattung über die Olympischen Spiele entsprechend ändern“, sagte der RTL-Anchorman. Mangels Live-Rechten dürften die Privaten das Thema Olympia ohnehin eher tief hängen. Aus der Senderfamilie ProSiebenSat.1 Media AG fahren laut Auskunft von Sat.1-Sportkommentator Erich Laaser lediglich drei Mitarbeiter der N24-Sportredaktion nach Peking – wenig Manpower für eine hintergründige Sportberichterstattung. Und das bei Spielen, die nicht nur unter Menschenrechtsaspekten jede Menge Probleme aufwerfen.
Nach Meinung vieler Experten könnten die Wettkämpfe von Peking als größte Pharma-Leistungsschau aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Als erfolgreichster Sportler werde vermutlich ein Chinese mit dem Namen „Do Ping“ abschneiden, witzelte unlängst bei den 19. Frankfurter Journalistentagen der stellvertretende Bild-Chefredakteur und Ex-Sport-Chef Alfred Draxler. Verbände, Sponsoren und Medien müssten sich überlegen, wie man das Thema Doping angehen solle. Einen radikalen Ausstieg, wie ihn ARD und ZDF vornahmen, als die vorjährige Tour de France im Doping-Sumpf versank, können sich allerdings die wenigsten vorstellen. Allenfalls einen Teilboykott einzelner, besonders belasteter Disziplinen. Etwa nach dem Vorbild der Berliner Zeitung, deren Sportredaktion im letzten Jahr auf eine klassische Tour-Berichterstattung verzichtete und stattdessen mit einer täglichen Doping-Kolumne aufwartete. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender mag sich erwartungsgemäß nicht festlegen. „Wenn wir feststellen, dass systematisches Doping die Spiele treibt und bestimmt, dann können wir nicht mehr dabei sein“, bekennt er immerhin. Einzelfälle dagegen müssten hingenommen werden – bei gleichzeitiger kritischer Berichterstattung.
Zwölf Stunden täglich live
An die 300 Stunden sendeten allein ARD und ZDF vor vier Jahren von den Spielen in Athen. Olympia-Junkies dürfen jubeln: In diesem Jahr wirft die ARD neben dem Ersten auch die beiden Digitalsender EinsPlus und EinsFestival an die Berichterstatterfront. Zwölf Stunden täglich Live-Berichte auf EinsFestival, weitere acht Stunden auf EinsPlus – das macht laut ARD bis zu 320 zusätzliche TV-Stunden. Die wollen erst mal gefüllt sein. Bleibt zu hoffen, dass nicht – wie schon beim Info-Overkill aus Athen 2004 – Masse dabei Klasse erschlägt. Ob nun eine deutsche Ruderin über die Olympia-Akkreditierung ihrer Plüschschildkröte berichtete, ob der damalige Bundessportminister Otto Schily die großartige Akropolis-Kulisse des ZDF-Dachterrassen-Studios pries, ob Verona Feldbusch in Anwesenheit der gequälten deutschen Schwimmerinnen über den Erwerb des Seepferdchens plapperte – der Banalitätenstadel feierte gelegentlich seltsame Triumphe.
Seinerzeit hatten IOC-Granden wie Thomas Bach und Jacques Rogge ARD und ZDF für ihre kompetente und umfangreiche Olympia-Berichterstattung gedankt. Spötter meinten damals, das Lob sei auch Ausdruck der Erleichterung Bachs über die schonungsvolle Art und Weise, mit der die Sender über den größten Doping-Skandal der Athener Spiele berichteten: die Affäre um die gefallenen griechischen Götter Kenteris und Thanou, bei der sich das IOC nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Wer gut recherchierte Hintergründe des Falles erfahren wollte, musste schon zur Süddeutschen Zeitung oder zur FAZ greifen. Manche Reporterleistungen verrieten mangelnde Olympiareife, ließen ein Mindestmaß an Fair Play vermissen. Die Manier, mit der etwa die unglücklichen deutschen Schwimmer unmittelbar nach den Rennen zur Rede gestellt wurden, grenzte häufig an Unverschämtheit. Umgekehrt ließen die notorischen Dampfplauderer der Sender keine Gelegenheit aus, sich im Glanz der Medaillengewinner zu sonnen. Wie heißt es in der WDR-Selbstverpflichtungserklärung: „Es geht uns nicht nur darum, über Sieger und Medaillengewinnerinnen zu berichten, sondern auch Formen der sporlichen Leistung ‚unterhalb der Siegertreppe’ abzubilden und wertzuschätzen.“ Wie ernst das gemeint ist, wird sich im August zeigen.