Analog war gestern, die Rundfunkdebatte ist es immer noch
Wir wissen nicht, was in Zukunft mit einem Handy noch alles gemacht wird, und wir wissen nicht genau, wann in Zukunft welche Menschen lieber den großen Bildschirm und wann sie das Bildschirmformat eines Notebooks benutzen werden. Wir lesen immer noch Zeitungen, wir schalten den Rechner an, während nebenan der Fernseher läuft, und in der Regel nehmen wir das Handy in die Hand, um zu telefonieren oder SMS zu schicken oder zu lesen.
Wir wissen aber: Die Integration der Inhalte und ihrer Formate ist schon weiter als die Integration derzeit noch üblicher Empfangstechnik. Und wir wissen, dass es vergleichsweise wenig Zeit braucht, bis flächendeckend Breitbandversorgung für alle möglich wird. Alles Weitere können wir vorerst nur erahnen – über dieses Weitere werden nämlich die Menschen entscheiden, die Nutzer und Kunden. Wenn sie es können und dürfen.
Damit sie es können und dürfen, sollten wir uns aber weiterhin drei Grundsätze merken, weil sie morgen und übermorgen noch wichtiger sein werden als heute: Erstens die Freiheit der Informationszugänge, zweitens die Vielfalt der Informationsangebote und drittens die Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht. Das Medienrecht in Deutschland geht davon aus, dass der reine Markt und dessen wettbewerbsrechtliche Regulierung diesen Grundsätzen von allein nicht genügen kann. Dem schließen sich mittlerweile auch Medienökonomen an. Medienrecht geht von Prävention aus, Wirtschaftspolitik von nachträglicher „Kompensation von Marktversagen“. Prävention setzt nicht voraus, dass man weiß, was alles geschehen wird. Aber dass man will, was nicht geschehen darf.
Was nicht geschehen darf: dass den Menschen morgen ihre Informationszugänge teuer und dann auch nur selektiert („paketiert“) verkauft werden. Es darf nicht geschehen, dass überall nur dasselbe, wenn auch in anderer Aufmachung angeboten wird. Und es darf nicht geschehen, dass Unterhaltung und Journalismus durch Kontrolle der Inhalte-Pakete in die Hand weniger Konzerne fällt. Die Alternative zur Macht der Googles besteht nicht in der Macht von Axel Springer, Mobile 3.0 oder einer Aldi-Entertainment inc. Was dagegen geschehen soll: dass beim Einschalten der „Home“-Medien die Vielfalt der Angebote stimmt; dass zudem der Verbraucherschutz funktioniert und dass man weiß, welches Angebot sich welchen Qualitätskriterien verpflichtet.
Unübersichtliche Materie
Über all das – und nicht weniger – wird derzeit verhandelt. Die Materie ist unübersichtlich, die Verfahren für die Normalbürger so gut wie undurchschaubar. Es geht um die Rundfunkänderungsstaatsverträge von Nummer 10 bis X. Ein Prozess ist in Gang gekommen, in dem eine gigantische Arbeit zu absolvieren ist: Rechtsbereiche, die bislang fein säuberlich voneinander getrennt waren und auch völlig unterschiedlich gestaltet wurden – Presserecht, Rundfunkrecht, Telemedienrecht, Telekommunikationsrecht – müssen aufeinander abgestimmt werden. Naturgemäß wird es jetzt sehr eng in der Lobby: Zu den klassischen Sparringpartnern – öffentlich-rechtliche Anstalten und privatwirtschaftlicher Rundfunk – kommen die Telekommunikationsunternehmen („Telcos“) hinzu und neuerdings, machtvoll ihre Bedeutung in der politischen Meinungsbildung ausnutzend, die Verlagsunternehmen.
Dem stehen gegenüber: die Chefs der Staatskanzleien der Länder, die Ministerpräsidenten – und wer noch? Letztlich nur diejenigen, die dazu eingeladen werden. Der Grundgedanke des Medienrechts – Prävention zugunsten der Öffentlichkeit für alle – wird pervertiert zur Handverlesung von Lobbyisten und jetzt schon vorherrschenden Meinungsmachern. Und dort, wo Gegenstimmern laut werden können und dürfen, in den Landtagen, haben die Parteien ihr kompetentes Personal im selben Maße auffällig verdünnt, wie es in der Medienwelt um die Substanz des Artikels 5 Grundgesetz geht.
Um diese Substanz geht es aber in den aktuellen Verhandlungen um ein Gesetzeswerk mit dem sperrigen Titel „12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag“. In dieser Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags muss beides erledigt werden: Die Zusagen, die die Bundesrepublik der EU-Kommission im Rundfunkgebühren-Beihilfeverfahren gemacht hat, müssen in Einklang gebracht werden mit den Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts (Karlsruher Rundfunkurteil vom September 2007). Worum es im Streit vor allem geht: Was dürfen und was sollen die Öffentlich-Rechtlichen tun und lassen in ihren Online-Angeboten? Einige Länder haben sich hervorgetan mit Restriktionen, die viel weiter gehen, als es der Kompromiss mit der EU-Kommission schon vorsieht. Der private Rundfunk darf demnach in der digitalen Welt alles, der öffentlich-rechtliche Rundfunk dagegen soll auf Nischenfunktionen reduziert werden.
Digitale Welt? Offenbar nicht, denn was da an Entwürfen vorgelegt wurde, war und ist analoge Welt pur: Der PC neben dem Fernsehgerät, das Handy neben der Spielkonsole, die Zeitung im Briefkasten. Schöne alte Welt, wohin maßgeblich die Verleger den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbannt sehen wollen, während sie (allein?) in die digitale Welt aufbrechen dürfen? Gern melden sich da auch die Kritikerinnen und Kritiker des Programms des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu Wort. Verleger, RTL und Parteien mahnen die Öffentlich-Rechtlichen, ihre „Kernkompetenzen“ wahrzunehmen. Ja, ja, möchte man zustimmen. Nur, wer nimmt am Ende das letzte nichtkommerzielle Vollangebot wahr, wenn die Zugangswege nicht am Ende, sondern direkt zu Anfang eng oder gar versperrt sind?