Cutterin Barbara Hennings in Köln für ihr Lebenswerk ausgezeichnet
„Wenn ich das Filmmaterial zum ersten Mal sehe, denke ich: Das schaffe ich nicht.“ Barbara Hennings lächelt ein bisschen über sich selber. „Aber aus dieser Unsicherheit schöpfe ich meine Kreativität.“ Drei bis vier Tage könne es dauern, bis sie „kapiert“ habe, was Kameramann und Filmregisseur gemeint haben, bis „die Bilder mit ihr sprechen“ – erst dann kann sie aus dem vorliegenden Material die „richtigen“ Bilder zusammenschneiden. Das macht die Cutterin so gut und so unverwechselbar, dass sie dafür und für ihr Verbandsengagement Ende November beim Kölner Festival „Film+“ für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde. „Besser jetzt, als wenn ich tattrig bin“, sagt sie dazu. Denn die Auszeichnung bedeute „nicht das Arbeitsende, sondern sei Ansporn für die weitere Arbeit“.
Eigentlich wollte die 65-Jährige Fotografin werden. Aber nicht in einem Porträtstudio, sondern lieber Fotoreporterin. Doch bei vier Geschwistern und der alleinerziehenden Mutter – der Vater starb, als Barbara drei war – war das Geld knapp. An eine Fotoausrüstung und eine Ausbildung war nicht zu denken. Eher durch Zufall wurde sie Cutterin, eine Nachbarin hatte ihr die Lehrstelle vermittelt. „Heute ist das mein Traumberuf.“ 1962 begann sie ihre Ausbildung, arbeitete anschließend vor allem beim NDR, schnitt Tagesschauberichte, Reportagen, TV-Filme, arbeitete nebenbei als Tonfrau und Regieassistentin, führte selber Regie bei Dokumentarfilmen. Michael Verhoeven holte sie mit „Die weiße Rose“ zum Kino. Filmen von Sigi Rothemund, Joseph Vilsmaier, Peter Timm, Georg Dressler, Max Färberböck oder Hermine Huntgeburth gab sie „das entscheidende Gesicht“. Es sei ein „tolles Gefühl, der erste Zuschauer eines Films zu sein“. Dass bisweilen ein Regisseur in tiefe Depression verfällt, wenn er ihren ersten Schnitt sieht, nimmt sie gelassen. Dann muss eben diskutiert werden. Und immerhin sei mancher froh, wenn sie ihn auf fehlende Szenen aufmerksam mache, die dann noch nachgedreht werden können.
Hat sie ihren eigenen Stil? Das komme immer auf den Regisseur an, sagt sie, aber grundsätzlich mag sie es eher nicht, wenn eine Szene mit einer Totalen eingeleitet wird. Außerdem liebe sie Blicke, damit könne man am besten Emotionen „rüberbringen“, Freude, Zorn, Schmerz. Und die springen auf sie über. „Wenn ein Schauspieler in seiner Rolle Aggressionen spielt, kann ich ihn hassen. Aber das muss sein, damit ich nicht abstumpfe.“ Gibt es neue „Schnitttrends“? Hennings nennt die hektische Bildfolge, wie sie etwa durch Musikclips geprägt wurde. „Ich bin überrascht, was die Jugend alles in den kurzen Momenten sieht“, sagt sie. „Aber ich bin keine Action-Cutterin. Ich brauche Zeit und Ruhe.“
Dabei schaute sie immer über den Tellerrand hinaus. Barbara Hennings ist ein politischer Mensch. Das zeigt nicht nur „Schade, dass Beton nicht brennt“ über die Berliner Hausbesetzer-Szene, bei dem ihr Name 1981 auch unter Drehbuch und Regie auftaucht. Ob Filme etwas bewirken können, da ist sie eher skeptisch: „Wenn sie auf ein sensibles Thema aufmerksam machen und das Bewusstsein schärfen, dann ist schon viel erreicht.“ Als Beispiele nennt sie „Einer flog übers Kuckucksnest“ („Den hätte ich gern geschnitten“), „Der Baader-Meinhof-Komplex“ („ein respektabler Versuch“) und natürlich „Die weiße Rose“ und „Die Mutprobe“.
Ihr Engagement zeigt auch ihre Verbandsarbeit. Sie zählt zu den Gründungsmitgliedern des „Bundesverbandes Filmschnitt Editor e.V.“, dessen geschäftsführender Vorstand sie zwölf Jahre war. Heute ist sie dessen Ehrenvorsitzende. Zu ihren Erfolgen zählt sie, dass für Cutter ein Mit-Urheberrecht durchgesetzt werden konnte. Und Cutter in die Künstlersozialkasse aufgenommen werden. Dass dazu eine neue Berufsbezeichnung nötig war, mutet heute wie ein Witz an – doch das aus dem Angloamerikanischen übernommene „Editor“ spiegelt eben die Bedeutung wider, die man etwa in Hollywood dem Schnitt als künstlerische Arbeit schon lange zumisst: Dort wird seit 1935 ein Oscar in der Sparte „Schnitt“ verliehen. Privat nutzt Hennings auch weiter lieber das Wort Cutter. Auch gegen Schnittmeister hat sie nichts: „Das war in der DDR eine gute handwerkliche Ausbildung an der Hochschule für Film und Fernsehen, für die es am Ende tatsächlich einen Meisterbrief gab.“ In der Bundesrepublik dagegen war es lange nur ein Anlernberuf.
Dass man Editor jetzt auch an der Internationalen Filmschule Köln (ifs) mit dem Ziel Bachelor studieren kann, ist auch Barbara Hennigs zu verdanken – und dem technischen Fortschritt. Denn mit der Einführung digitaler Schnitttechnik wurde fast überall die Stelle des Assistenten-„Anlernlings“ eingespart, der seinen Chefcutter nicht nur bei Organisation und Technik entlastete, sondern auch als „eine wichtige Kontrollinstanz“ vor „Betriebsblindheit“ schützte. Der ifs fühlte sich die Hamburgerin nach langen Dozentenjahren bis heute verbunden, als „Patin Filmmontage“ für einzelne Studenten.
Barbara Hennings ist auch eine überzeugte Gewerkschafterin, natürlich bei ver.di. „Neben unserem Berufsverband brauchen wir auch eine politische Vertretung, die den gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel hat. Mit seinen vielen Berufen ist ver.di da ideal.“ Dann kommt eine kleine Einschränkung: „Zwischen den vielen Berufen gehen wir Filmschaffenden allerdings etwas unter. Aber Connexx hat da schon einiges geschafft“, schiebt sie sofort ein Lob nach. Schließlich noch ein Wort zum aktuellen Arbeitsmarkt: „Heute meint jeder, der einmal an seinem PC einen Film geschnitten hat, er sei ein Cutter. Das drückt die Preise. Ein Cutter-Streik wäre eine gute Idee!“