Trippelschritt der Türkei

Nach jahrelanger Kritik aus dem In- und Ausland hat das Parlament in Ankara den berüchtigten Türkentum-Paragrafen 301 des Strafgesetzbuches geändert. Ein Entwurf der Regierung wurde nach mehr als achtstündiger Debatte mit der Stimmenmehrheit der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan angenommen. In den vergangenen Jahren hatten nationalistische Staatsanwälte den Paragrafen immer wieder genutzt, um unliebsame Intellektuelle wie den Schriftsteller Orhan Pamuk vor Gericht zu bringen. Menschenrechtler und auch die Europäische Union hatten das Gesetz als Instrument zur Beschneidung der Meinungsfreiheit kritisiert und eine Änderung verlangt.
Nach dem Parlamentsbeschluss wird der vage Begriff des „Türkentums“ durch die konkretere Bezeichnung „türkische Nation“ ersetzt. Zudem dürfen Verfahren künftig nur mit Zustimmung des Justizministeriums eingeleitet werden. Damit sollen Alleingänge einzelner Staatsanwälte verhindert werden. Zudem sinkt die Höchststrafe von drei auf zwei Jahre. Das ermöglicht die Aussetzung von Haftstrafen zur Bewährung.
Die Europäische Kommission begrüßte die Änderung als Fortschritt. Allerdings müssten weitere Reformen folgen, hieß es in Brüssel. Der Grünen-Europaabgeordnete Cem Özdemir kritisierte, die Neuregelung gehe nicht weit genug. Zudem müsse abgewartet werden, ob die neuen Vorschriften tatsächlich so angewendet würden, dass eine Verbesserung der Meinungsfreiheit erreicht werde.

 
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »