Karges Dasein im Fernsehschatten

Lokalfunker in NRW diskutieren über ihre digitale Zukunft

Es war sicher kein Zufall, dass der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sie mit keinem Wort mehr erwähnte in seiner medienpolitischen Grundsatzrede auf dem Medienforum in Köln, die Bürgermedien in seinem Lande. Er vergaß damit all die Bürgerinnen und Bürger, die bei einer der 46 Lokalfunkstationen in NRW über Jahre engagiert Radio-Programme gemacht haben und die Menschen, die bei einem der neun offenen Kanäle in Bielefeld, Dortmund, Essen, Hamm, Marl, Münster und andernorts selbst gestaltete Fernsehbeiträge ausgestrahlt haben.

Eingebettet zwischen Soundcheck brandneu und Soundcheck de luxe führt der einst so hoffnungsvoll gestartete Bürgerfunk in NRW ein karges Dasein im Fernsehschatten. Die verkürzte Sendedauer (von zwei Stunden auf eine Stunde), die späte Sendezeit von 21 bis 22 Uhr werktags, das alles hat zu einer tiefen Frustration in der Bürgerfunker-Szene geführt. Das Bistum Münster gab daher die Schließung seiner Radiowerkstätten im Münsterland zum 30. Juni 2007 bekannt. Begründung: Die „demotivierende Sendezeitverschiebung“. Zudem wurde die finanzielle Förderung der Bürgerfunker gekappt. Als Grundlage für die Änderungen im Bürgerfunk diente der CDU/FDP-Regierung eine Studie, die „Qualitätsdefizite sowie strukturelle Mängel im Gesamtsystem“ gesehen haben will.
Neu gestaltet sollen entsprechend eines Beschlusses der Medienkommission der LfM auch die neun derzeit noch via Kabel sendenden Offenen Kanäle in NRW. Ab Januar 2009 beabsichtigt die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) eine Umstrukturierung der Organisation, Verbreitung und Förderung des Bürgerfernsehens. Im Rahmen eines dreijährigen Pilotprojektes für einen „Ausbildungs- und Erprobungskanal in NRW“ sollen Beiträge dann landesweit verbreitet werden, heißt in einer Mitteilung der LfM, die weitere Details noch bekannt geben will. Die derzeit noch aktiven Offenen Kanäle werden zwar nach bisherigem Muster noch für ein halbes Jahr, also bis Ende 2008 weiter gefördert, dennoch steht für Dr. Joachim Musholt, den Vorsitzenden des Landesverbandes der Offenen Kanäle in NRW ist, fest: „Wir sind in unserem Bestand gefährdet“, sagte er der Zeitschrift „Interaktiv“ (01/08).

Keine ausreichende Nachfrage

Wie beim Bürgerfunk hat die LfM auch für die Offenen Kanäle eine Studie in Auftrag gegeben, die zwar auch einige „Leuchttürme“ in der Offenen Kanal-Landschaft zum Beispiel in Münster ausmachte, insgesamt den Offenen Kanälen jedoch nur ein „schwaches Entwicklungspotential“ attestierte. Zudem gebe es keine ausreichende Nachfrage mehr, für das Modell des offenen Kanals in klassischer Prägung. Viele frühere Nutzer seien ins Internet abgewandert. Im Programm, so das Urteil der Studie, „sind zu wenige Produzenten mit schwachen Produktionen dominant“.
Nach Ansicht von Musholt geht es der LfM vor allem darum, „die Offenen Kanäle aus dem Kabel raus zu drängen hin zu einer landesweiten digitalen Plattform“, was einem Ende der lokalen Verbreitung gleich kommt. Musholt: Die „Offenen Kanäle werden de facto abgeschafft“. Widerstand hält er für zwecklos: „Es gibt nichts mehr zu diskutieren. Wir wollen jetzt die Änderung der Förderung umsetzen“. Er wird sich zukünftig einen Ausbildungspartner suchen müssen, um eine Lehr/Lernredaktion einzurichten.
Nutznießer des Niedergangs der lokalen Bürgermedien in NRW sind die Zeitungsverleger. Die sind als wirtschaftlich sehr erfolgreiche Betreiber der Lokalfunksender den Bürgerfunk aus den Hauptsendezeiten in ihrem Programm los. Und sie haben einige Konkurrenten weniger, im lokalen Fernsehgeschäft, in dem sie sich zukünftig betätigen wollen. Die entsprechenden Lizenzen sind dafür bei der LfM schon beantragt und zum Teil bewilligt worden. Das wird ganz im Sinne von Rüttgers sein, der auf dem Medienforum forderte: „Das verlegerische Engagement darf nicht länger an gesetzliche Grenzen stoßen“. Und im gleichen Atemzug eine entsprechende Reform des Landesmediengesetzes ankündigte.
Unabhängig von der Medienpolitik wird der Lokalfunk in NRW möglicherweise in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten eine erste große Reform erleben. Zwar sind die Pläne wieder vom Tisch, das UKW-Netz zu einem fixen Termin abzuschalten. Dennoch muss auch der Lokalfunk über seine digitale Zukunft nachdenken. Wie diese aussehen könnte, darüber diskutierten auf Einladung von dju NRW und DJV NRW Chefredakteure, Redakteure und Gewerkschafter auf der Lokalfunk-Konferenz NRW Ende Mai in Düsseldorf. Für den inhaltlichen Input sorgte Dr. Jürgen Brautmeier, stellvertretender Direktor der LfM. Er konnte die Befürchtungen der Lokalfunker nur zum Teil ausräumen. Denn die hatten alle schon gehört, dass in einem digitalisierten Lokalfunk in NRW allenfalls noch für 15 nicht jedoch für alle 46 Lokalfunkstationen ein Platz bleiben würde. Diese Entwicklung schürt natürlich konkrete Ängste in Bezug auf Arbeitsplätze und die lokale Vielfalt. Mehr als 1.000 Menschen arbeiten inzwischen im Lokalfunk NRW. Gleichwohl riet Brautmeier dazu, sich nicht der digitalen Zukunft zu verschließen. Denn digitalen Rundfunk gäbe es in NRW ab 2010 in den Ballungsräumen sowieso, da sich schon zwanzig Interessenten für ein bundesweites digitales Radio angemeldet hätten. „NRW ist für viele ein hochinteressanter Markt. Wer bei der regionalen Frequenzvergabe dabei sein will, muss jetzt schon über einen Call of Interest nachdenken“, so Brautmeier.

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