Fortschritt in Bosnien-Herzegowina kommt nur im Schneckentempo voran
In einigen Balkan-Ländern sind in jüngster Zeit Internet-Initiativen entstanden, die der etablierten und politisch abhängigen Medienwelt Konkurrenz machen. Neue, interaktive Medienformate sollen die festgefahrenen Debatten und das Kartell der Parteien aufbrechen, so die Hoffnung der Initiatoren.
Foto: Hubert Beyerle
Das Klischee vom Balkan-Temperament täuscht. „Das große Problem hier in Bosnien-Herzegowina und in anderen Ländern auf dem Balkan ist die Passivität der Menschen. Sie glauben, an der politischen Situation ohnehin nichts ändern zu können. Sie ziehen die Politiker darum nicht zur Verantwortung, wenn sie unzufrieden sind.“ Darko Brkan wäre keinen Artikel wert, hätte er einfach nur diese Meinung. Denn lamentiert wird auf dem Balkan viel. Aber er belässt es nicht beim Lamento. Vor gut zehn Jahren hat er mit seinem Bruder Boris die Initiative „Zasto ne?“ gegründet – oder „Warum nicht?“ Der Name steht für das Denken in Alternativen. „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der der Bürger mehr Verantwortung übernehmen kann.“ Bislang mangelt es ihm dafür an verlässlichen Informationen. In Zeitungen und Fernsehen herrscht eine Kultur der Sprücheklopfer, die mehr verwirrt und aufheizt als klärt. An kritischer Analyse fehlt es vollkommen.
Faktencheck
Darko und sein Bruder Boris sind Informatiker. Sie glauben an die neuen Möglichkeiten, die das Internet für die Pressefreiheit bietet. Brkan hat sich vorgenommen, der alten politischen Garde in den Parteien das Leben schwer zu machen, zum Beispiel mit „Istinomjer“. Das Projekt ist ein Faktencheck von Behauptungen von Politikern und ihren Versprechungen. Wörtlich bedeutet es „Wahrheitsmesser“. Ein 10-köpfiges Team von politischen Analysten und Journalisten prüft den Wahrheitsgehalt von Statements und checkt, ob die Parteien sich an ihre Versprechen halten. In dem Balkan-Land eine revolutionäre Sache: Denn bislang kam niemand ernsthaft auf die Idee, dass man Politiker beim Wort nehmen sollte.
Auf dem Balkan ist es auch ein Jahrzehnt nach dem letzten Krieg um die Pressefreiheit schlecht bestellt. Die Gefahren gehen heute allerdings nicht mehr von Kriegspropagandisten und Alleinherrschern aus. Das Problem ist heute eher die allgemeine Radikalisierung aufgrund von Armut und Perspektivlosigkeit. Während die Nachbarländer Kroatien und Serbien auf dem Weg in die Europäische Union sind, ist der Fortschritt in Bosnien-Herzegowina eine Schnecke. Die oft traumatischen Kriegserlebnisse und die Angst vor der Zukunft erzeugen bei vielen Menschen einen fatalen Zwang zur Loyalität zur eigenen Volksgruppe. Das schwächt jede ernsthafte Opposition. Eine kritische Öffentlichkeit gibt es kaum.
Von den klassischen Medien haben die regierenden politischen Parteien wenig zu befürchten. Es herrscht eine permanente große Koalition der fast ausschließlich ethnisch definierten Parteien. Die Medien haben schon vor und während der Kriege der 90er Jahre eine unheilvolle Rolle gespielt und viele tun es bis heute. Die Zeitungen lassen sich in Bosnien-Herzegowina klar Parteien zuordnen. Die wichtigste Zeitung des Landes gehört etwa dem Polit-Unternehmer Fahrudin Radoncic, dessen eigentliche Absicht es ist, mit Hilfe der Zeitung und seiner Partei, der muslimisch-bosniakischen SBB, einer der Präsidenten des Landes zu werden.
Mehr Verantwortung
Die Proteste gegen das regierende Parteienkartell sind bislang gering. „Unser Ziel, ist, dass sich der gesellschaftliche Diskurs in Bosnien-Herzegowina verändert“, sagt Darko Brkan. Weg vom endlosen und sinnlosen Streit, wer schuld am Krieg ist und wie es mit dem Land weiter geht, hin zu politischen Sachfragen: „Wir möchten den Bürgern des Landes helfen, Verantwortung zu übernehmen und kritischer gegenüber ihren Politikern zu werden.“
Das ist keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem es so gut wie keine eigenständige Zivilgesellschaft gibt. Außer den religiösen Organisationen bestimmen die Parteien und die staatlichen Institutionen die öffentliche Debatte. „Wichtig ist für uns, dass wir unparteiisch sind und bleiben. Ansonsten würden wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren“, sagt Brkan. „Das heißt: Wir bewerten nicht die Ziele der Parteien. Wir prüfen, ob sie ihre Ziele erreichen. Ob die Ziele gut oder schlecht sind, muss jeder für sich beurteilen.“ Die Ergebnisse sind ernüchternd: Eine der letzten Untersuchungen von „istinomjer“ hat ergeben, dass die Parteien gerade einmal fünf Prozent ihrer Versprechen eingehalten haben. Trotzdem ist Brkan kein Zyniker, wie sonst so viele im Land. „Wenn man genauer hinsieht, sieht man auch Positives: Es gibt in Bosnien-Herzegowina auch Politiker und Beamte, die kompetent sind und ihr Bestes geben.“
Mit einem anderen Projekt hat Brkan versucht, etwas über die politische Meinung der Bosnier zu erfahren. Der „glasometar“ ist ein Wahlomat, wie es ihn auch in Deutschland gibt. Nur, dass in Bosnien viele Menschen gar nicht wissen, ob sie „rechts“ oder „links“ sind, und viele gar nicht wissen, was das ist. „Der glasometar ist daher auch eher als Denkanstoß gedacht. Die Menschen sollen angeregt werden, darüber nachzudenken, welche politische Überzeugung sie eigentlich haben.“ Viele müssen sie erst noch finden.
Infokasten:
Wahrheitsmesser
Initiativen, die die Behauptungen und Versprechungen von Politikern prüfen, gibt es in ähnlicher Form in Bosnien-Herzegowina, in Serbien, in Montenegro und Mazedonien. Sie arbeiten eng zusammen und tauschen ihre Erfahrungen aus. Die Initiativen werden vor allem von Stiftungen und Organisationen aus Amerika und Westeuropa finanziert.