Zeitung crossmedial

Deutschlands Zeitungsverlage haben in den vergangenen zehn Jahren fast ein Fünftel ihrer verkauften Auflage verloren. Vor allem viele jüngere Nutzer ersetzen aktuelle Printmedien durch das Internet. Deshalb suchen die Zeitungshäuser im World Wide Web nach neuen Geschäftsfeldern. Sie entwickeln sich zu diversifizierten Medienunternehmen und verbreiten digitalisierte Multimedia-Inhalte über möglichst viele Plattformen.


Ja, es gibt sie bereits: deutsche Zeitungen, die im Internet mehr Leser erreichen als mit der gedruckten Ausgabe. So liegt etwa die Online-Reichweite von Springers Die Welt (welt.de) etwa fünf Mal höher als die der Papierausgabe für Abonnenten oder Einzelverkauf. Auch die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, so rechnete unlängst OC&C Strategy Consultants vor, haben im World Wide Web eine größere Reichweite als auf Papier.
Marktführer bei den Online-Auftritten der Zeitungen ist Bild.de. Für den Internet-Ableger von Europas größtem Zeitungshaus weist die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) mehr als 4,4 Millionen Nutzer (Unique User pro Monat) aus. Allmählich entwickelt sich der Online-Bereich für viele Zeitungshäuser zur wichtigen Einnahmequelle. So erwirtschaftete etwa der Springer Verlag im ersten Halbjahr 2008 etwa 85 Prozent seines Umsatzplus im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum mit Online-Angeboten. Jeder achte Euro des Verlagshauses wird inzwischen mit Internet-Aktivitäten erlöst. Dabei handelt es sich vor allem um Werbeeinnahmen.
„Online ist der Freund, nicht der Feind der Zeitung“, sagte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bei der Vorlage der Halbjahreszahlen am 13. August in Berlin. Der Verlag setzt auch deshalb auf die Devise „Online first“, weil der Umsatz der Print-Titel zuletzt um etwa zwei Prozent sank. Bereits im vergangenen Jahr übernahm Springer für etwa 130 Millionen Euro die Mehrheit am Online-Marketingunternehmen Zanox und stockte seinen Anteil am Frauenportal Aufeminin auf fast achtzig Prozent auf. „Aufeminin.com ist der profitabelste Bereich im ganzen Konzern“, schwärmte Döpfner im Juni über das Portal, das eine Kombination aus Web-2.0-Elementen (Community) und redaktionellen Inhalten bietet.
Auch wenn die Online-Rendite der Axel Springer AG im ersten Halbjahr mit einem operativen Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereffekten (Ebitda) von etwa sechs Millionen Euro noch bescheiden war, zeigt sich der Vorstandsvorsitzende optimistisch. Sieben der zehn größten Online-Beteiligungen seien schon profitabel.

Integrierter Newsroom

Der Axel Springer Verlag setzt bereits seit zwei Jahren konsequent auf das Internet. Die Angebotspalette reicht von Online-Ablegern der Bild-Printtitel über Internet-Rubrikenmärkte (immonet.de, stepstone.de) und virtuelle Marktplätze (buecher.de, idealo.de, myby.de) bis zu zielgruppenspezifischen Internet-Portalen (transfermarkt.de, aufeminin.com, gamigo.de, motor-talk.de, onmeda.de). Künftig will der Verlag seine Online-Präsenz auch in den Bereichen Jugend und Regionales ausbauen.
Schritt für Schritt treibt Springer die „crossmediale Verknüpfung“ voran: Seit die Redaktionen von Bild und Bild am Sonntag von Hamburg nach Berlin umgezogen sind, verfügt der Verlag über einen integrierten Newsroom für die Print-, Online- und Bewegtbild-Medien der Bild-Gruppe. Auch die Anzeigenvermarktung von Bild-Titeln, Zeitschriften und digitalen Formaten wurde medienübergreifend gebündelt und im Bereich Axel Springer Media Impact zusammengefasst.
Ähnlich wie der Springer Verlag bauen auch andere Zeitungen mit Hilfe von modernen Newsroom-Konzepten ihre Multimediaplattformen aus. Egal ob Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt, Main-Post, WAZ Mediengruppe, Ippen-Gruppe, Rheinische Post, Kölner Stadt-Anzeiger oder Saarbrücker Zeitung: Überall werden Zeitungs-Inhalte ins Internet gestellt und dort mit Video-Dateien, Podcasts oder Blogs angereichert. Längst lassen sich News auch auf Handys übertragen. Der Dortmunder Medienforscher Horst Röper urteilt, dass inzwischen fast alle deutschen Zeitungshäuser crossmediale Verbundstrukturen aufgebaut haben, „so dass der Begriff Verlag für die meisten Zeitungsunternehmen längst anachronistisch geworden ist“.

Digitale Wertschöpfungsketten

Die Idee, Zeitungsinhalte modifiziert mehrfach zu nutzen, ist nicht neu. So entstanden zum Beispiel in den 70-er Jahren Anzeigenblätter, in denen Texte, Bilder und Anzeigen auftauchten, die mit denen der Lokalzeitungen größtenteils identisch waren. Das Internet beschert der Branche jetzt aber ganz neue Distributionskanäle, Synergieeffekte und eine Verlängerung der Wertschöpfungskette.
In den USA wird die neue Form des journalistischen Arbeitens für mehrere Medienplattformen als Convergence Journalism bezeichnet. Mit der Konfektionierung der Inhalte für unterschiedliche (Online-)Angebote kommen auf die Redaktionen große Herausforderungen zu. Bei Springers Tageszeitung Die Welt arbeiten im größten deutschen Newsroom (ca. 400 Quadratmeter) zurzeit mehr als fünfzig Journalisten für die Print- und Online-Angebote der Titel Die Welt, Welt kompakt, Berliner Morgenpost und Welt am Sonntag (siehe Artikel „Schaltzentrale fast rund um die Uhr“ in M 12/07). Etwa siebzig Prozent von ihnen recherchieren und schreiben nach Verlagsangaben ausschließlich für ein Medium, dreißig Prozent für mehrere Medien der Welt-Gruppe.
„Ich erwarte nicht, dass jeder Redakteur alles kann – ich will keine eierlegenden Wollmilchsäue“, sagte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann im Interview mit dem Branchendienst Kress. „Aber die Redaktion insgesamt muss alle Plattformen bedienen können. Schließlich sind wir keine Papierhändler, sondern wir liefern Inhalte – egal, auf welche Oberfläche.“
Zeitungen bieten Web-TV

Um neue Märkte zu erschließen, setzen die meisten Verlage im Internet inzwischen auch Bewegtbilder ein. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) boten im Juni 2008 bereits 125 deutsche Online-Zeitungsportale Nachrichtenvideos. Beim so genannten Web-TV arbeiten etwa siebzig Prozent aller Verlage mit dem niederländischen Unternehmen Zoom.in zusammen, das Nachrichten-Videos kostenlos zur Verfügung stellt und sich allein über Werbung finanziert. Die Rheinische Post (rp-online.de) kooperiert beim Web-TV mit RTL. Das regionale Online-Portal der WAZ Mediengruppe (derwesten.de) darf gegen Entgelt täglich bis zu neun regionale TV-Beiträge vom WDR Fernsehen übernehmen, beschränkt sich aber meist auf einen.
Mittlerweile, so recherchierte der BDZV, präsentieren etwa sechzig Zeitungsverlage auch selbst produzierte Video-Inhalte auf ihren Websites. Dabei handelt es sich meist um Bewegtbilder zu lokalen oder regionalen Ereignissen. Die Palette dieser Eigenproduktionen reicht von News-Magazinen über Talk-Formate bis zur Live-Berichterstattung. Pioniere bei dieser Entwicklung waren die Ippen-Gruppe (Münchner Merkur, Hessisch/Niedersächsische Allgemeine), der Kölner Stadt-Anzeiger und der Südkurier. Bei Videoportalen wie tventy.de (Hamburger Morgenpost), watchberlin.de (Verlagsgruppe Holtzbrinck) oder sol.de (Saarbrücker Zeitung) können Online-Nutzer mittlerweile auch selbst Beiträge ins Netz stellen.

Engagement im Web 2.0

Wie sich mit den sozialen Netzwerken (Communities) des Web 2.0 Geld verdienen lässt, testen in Deutschland vor allem große Zeitungshäuser wie Holtzbrinck (StudiVZ, SchülerVZ etc.), Springer, Madsack, DuMont, Ippen sowie die Verlagsgruppe der Rheinischen Post, aber auch einige kleinere Verlage. Beispiele für lokale oder regionale Communities von Zeitungsunternehmen sind stadtmenschen. de (Kölner Stadt-Anzeiger), suma.de (Saarbrücker Zeitung), fudder.de (Badische Zeitung, Freiburg) oder stayblue.de (Neue Osnabrücker Zeitung).
Die Verlagsgruppe Madsack erwarb im April Gesellschafteranteile am Anbieter Gogol Medien GmbH & Co. KG, der das Portal myheimat.de betreibt, bei dem Nutzer „sublokale“ Informationen als User Generated Content online veröffentlichen können. Inhaltlich handelt es sich dabei vor allem um eine Art semiprofessionellen Nachbarschaftsjournalismus für kleinräumige Einheiten, dessen Ergebnisse teilweise (z.B. in Schwaben und im Raum Hannover) als Printversion erscheinen. Ein ähnliches Beispiel: Auch die Leser-Beiträge des Angebotes opinio.de der RP Online GmbH werden teilweise in der Rheinischen Post abgedruckt.
Die Ippen-Gruppe betreibt regionale Communities (come-on.de, westfalenplaza.de) in Kooperation mit dem deutsch-amerikanischen Start-up-Unternehmen miaplaza und initiierte das Regio-Wiki Kassel-Lexikon. Mit dem Projekt gießener-zeitung.de gründete Madsack „Hessens erste Mitmachzeitung“, die jeweils mittwochs und samstags mit vier Lokalausgaben als kostenlose Druckausgabe in den etwa 125.000 Haushalten des Stadt- und Landkreises Gießen verteilt wird. Die Inhalte stammen großenteils von Bürgern, die online eigene Artikel und Fotos, Kommentare und Veranstaltungstipps beisteuern.

Multimediale Markenfamilien

Einige Verlage haben sich inzwischen auch an kommunalen Angeboten beteiligt. So arbeitet etwa der Deutsche Zeitungsverlag (Mecom Group: Berliner Zeitung, Berliner Kurier u.a.) mit den kommunalen Portalen berlin.de und Berlin online zusammen. In Hamburg übernahm der Axel Springer Verlag im März 51 Prozent der Gesellschafteranteile am städtischen Portal hamburg.de und will die Website nun zur zentralen Informations- und Interaktionsplattform für Hamburg und Hamburg-Interessierte ausbauen.
Die Verlagsgruppe Holtzbrinck hat sich mit 47 Prozent am Internet-Angebot meinestadt.de beteiligt, das inzwischen für fast alle Kreise und kreisfreien Städte lokale Informationen und Werbung anbietet. Bestandteile des Portals sind Wetterberichte, Besucher- und Verkehrsinformationen, Veranstaltungstipps sowie Links zu aktuellen Artikeln von Lokalzeitungen und Anzeigen. Zum Portfolio der Holtzbrinck Ventures GmbH zählen inzwischen etwa fünfzig Beteiligungen an Online-Unternehmen. Die Palette reicht von Social Communities über Online-Auktionen bis zur Plattform für vermietbare Güter und Dienstleistungen.
Multimediale Markenfamilien und Kooperationen sowie crossmediale Publikationsstrategien sollen mit zusätzlichen Online- und Mobile-Media-Angeboten die Leser-Blatt-Bindung stärken und vor allem die jungen Zielgruppen besser ansprechen als die Papierausgaben der Zeitungen. Darüber hinaus können im Internet auch Einbußen bei den Werbeerlösen im Stammgeschäft der Zeitungsverlage kompensiert werden. Schließlich gingen die meisten Anzeigen-Umfänge der Print-Ausgaben im ersten Halbjahr 2008 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum erneut deutlich zurück, vor allem bei Immobilienanzeigen (–13,1 Prozent), Veranstaltungshinweisen (–5,6 Prozent), Kfz- (–5,0 Prozent) und touristischen Anzeigen (–7,9 Prozent).

Rubrikenmärkte im Internet

Um die Verluste durch die ins Internet abgewanderten Rubrikenanzeigen wettzumachen, haben die Verlage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (fazjob.net) und der Bild-Zeitung (stepstone.de) eigene Online-Angebote für Stellenanzeigen gestartet. Der Springer Verlag unterhält die Immobilienportale Immonet und Wohnfinder.de. Bereits 2003 gründeten die Verlagsgruppen Holtzbrinck, Ippen und WAZ die Online-Anzeigenholding ISA (Immobilien, Stellen- und Autoanzeigen), um Kleinanzeigen von mehr als hundert Tageszeitungen ins Internet zu stellen. Das Anzeigennetzwerk wurde im Mai 2008 in markt.gruppe umbenannt und besitzt die Mehrheit der Gesellschafteranteile an den Internet-Angeboten markt.de, immowelt.de, stellenanzeigen.de, autoanzeigen.de, motoso.de (Kfz-Ersatzteile) und trauer.de (Todesanzeigen).
Die Palette der Online-Aktivitäten deutscher Zeitungshäuser ist längst vielfältiger als die Presselandschaft selbst. Während die meisten Zeitungsverlage den Online-Bereich noch komplementär zum Stammgeschäft einsetzen, könnte künftig umgekehrt die gedruckte Ausgabe nur noch als Ergänzung von digitalen Angeboten dienen. Dann werden vom Newsdesk aus Aktivitäten für die unterschiedlichen Nutzungskanäle koordiniert und an Spezialisten für die Bereiche Print, Audio, Video und Online delegiert. Immer häufiger planen Redaktionen deshalb ihre Themen Plattform- und Ressort-übergreifend, strukturieren klassische Arbeitsprozesse neu und müssen sich in der Online-Welt allmählich vom klassischen Zeitungsgeschäft verabschieden.
Mit den redaktionellen Veränderungen gehen Umstrukturierungen im Verlagsgeschäft einher, das in der multimedialen Welt weit mehr ist als nur Vertrieb, Vermarktung und Anzeigenverkauf für Zeitungen und Zeitschriften. Aus Verlagshäusern werden Handelshäuser – vornehmlich für E-Commerce. Als Klassiker haben sich Editionen von Büchern, Filmen (DVD) und Musik (CD oder Online-Download) etabliert, für die mit dem Logo bekannter Medienmarken – von der Süddeutschen Zeitung über den Spiegel bis zur Zeit – geworben wird. Erschlossen früher Burdas Schnittmuster, die Brigitte-Diät oder Bastel-Bausätze von Yps neue Märkte jenseits des Kerngeschäftes, bietet Bild inzwischen eine ganze Reihe so genannter „Volks-Produkte“: vom PC über den Laufschuh bis zum Auto.

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