Schlimmer als bei Mecom

Berliner Verlag: Kündigungsdrohungen und Ungewissheit

Im Berliner Verlag seit dem Verkauf der Frankfurter Rundschau: Von strategischem unternehmerischen Handeln keine Spur. Stattdessen Streichen, Sparen, Auslagern. Die Berliner Zeitung steht vor der größten Kündigungswelle seit Jahren. Über den Berliner Kurier ist die Woge schon hinweg. Gerüchte über weitere Umstrukturierungen im Verlag wabern. Webshop und Leserreisen wurden in die DuMont Shop GmbH nach Köln ausgelagert. Ob auch Anzeigenabteilung und Dokumentation outgesourct werden, ist bislang unklar. Anscheinend steht alles auf dem Prüfstand.

2011: Streikaktion für gute Arbeitsbedingungen Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de
2011: Streikaktion für gute
Arbeitsbedingungen
Foto: Ch. v. Polentz /
transitfoto.de

Die Beschäftigten bei Berliner Zeitung und der Redaktionsgemeinschaft mit der FR (ReGe) leben seit Wochen unter dem Damoklesschwert, dass fast jeder Dritte gehen muss – 46 Stellen sollen abgebaut werden, 32 von aktuell 128 aus der bisherigen Mantelredaktion für Berliner und FR und bis zu 14 in der 29-köpfigen Autoren-ReGe. Die genauen Planungen waren lange geheim, selbst die Betriebsräte wurden zum Stillschweigen verpflichtet. Doch die Redaktion „möchte mitreden“, hat man den Entscheidungsträgern mitgeteilt. Dass bislang nie diskutiert wurde, „wie das Niveau der Print- und der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung unter solchen Bedingungen erhalten bzw. verbessert“ werden könne, kritisierte der gewählte Redaktionsausschuss und lieferte einen Forderungs- und Vorschlagskatalog, der nach einer Befragung entstand. Bislang folgenlos.
Gleichzeitig sollten sich die Redakteure/innen für oder gegen ein freiwilliges Abfindungsmodell entscheiden, das mal ausgesprochen, beendet, wieder verlängert und erneut geschlossen wurde. Katze-im-Sack-Kaufen ist nichts dagegen. Der Druck erhöhte sich, als die Geschäftsführung ankündigte, „im Zuge des anstehenden Personalabbaus“ nach Altersgruppen und zwischen denen proportional kündigen zu wollen. Eine solche Sozialauswahl solle sichern, dass nach dem Kahlschlag eine „ausgewogene“ Altersstruktur erhalten bleibe. Das sei rechtlich zulässig. Aber auch ohne Mitsprache des Betriebsrates? Der hält das Vorgehen für einen juristischen Irrweg. Der Konflikt ist programmiert. Immerhin konnten die Interessenvertreter beim Berliner Kurier sichern, dass nur zehn statt der geplanten 13 Stellen abgebaut wurden. Die Verbleibenden erhalten eine Beschäftigungsgarantie bis 31. März 2014.
Am 9. April hat dieDuMont Digitale Redaktion Insolvenz angemeldet. In der GmbH mit Sitz in Frankfurt/Main wurden die überregionalen Online-Auftritte und Apps für Berliner Zeitung und FR produziert. Da der FR-Auftrag passé ist, wollten die Beschäftigten – davon arbeiten drei Festangestellte und zehn feste Freie in Berlin – Klarheit und wurden monatelang hingehalten. In einem Offenem Brief machten sie darauf aufmerksam, dass nicht nur das insolvente Druck- und Verlagshaus Frankfurt, sondern zu 20 Prozent auch der DuMont-Konzern und zu 40 Prozent der Berliner Verlag Gesellschafter dieser Redaktionsgesellschaft sind. Wie die angekündigte stärkere Verzahnung von Print und Online künftig aussehen soll, steht in den Sternen.
Der Betriebsrat des Berliner Verlages beginnt mit der Geschäftsführung nun Verhandlungen über den Stellenabbau. „Wir wollen einen Sozialplan abschließen“, versichert Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch, unabhängig davon, dass in unserem Sozialtarifvertrag bereits Abfindungsregelungen vereinbart sind. „Für die Betroffenen gilt dann die günstigere Regelung. Außerdem geht es um Transfermaßnahmen und Schulungen für langjährige Beschäftigte.“ Insgesamt sieht die Betriebsratvorsitzende die aktuelle Lage „schlimmer als seinerzeit unter der Heuschrecke Mecom. Alle Maßnahmen führen zur Zerschlagung des Berliner Verlages in kleine Teile und zur Unterlaufung des Haustarifvertrages.“

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Mit Recht und Technik gegen Fake News

Als „vielleicht größte Gefahr“ in der digitalen Welt sieht die Landesanstalt für Medien NRW (LFM) die Verbreitung von Desinformationen. Insbesondere gilt das für die Demokratische Willensbildung. Daher wird die Aufsichtsbehörde ihren Scherpunkt im kommenden Jahr genau auf dieses Thema richten. Aber wie kann man der Flut an Fake News und Deep Fakes Herr werden?
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »