Beerdigung journalistischer Ansprüche

Fettnäpfchen und Schlaglöcher bei der Funke Mediengruppe

Die Leidensfähigkeit der Redakteurinnen und Redakteure der vier Zeitungstitel der WAZ in Nordrhein-Westfalen wurde in der Vergangenheit schon gehörig auf die Probe gestellt. Mit einem Interview in der Zeitschrift MedienWirtschaft hat es der Geschäftsführer Manfred Braun nun endgültig geschafft, seine Angestellten in den Redaktionen gegen sich aufzubringen.

Flashmob vor der WAZ-Lokalredaktion Vest in Recklinghausen Foto: DJV-NRW / Bertold Fernkorn

In diesem Gespräch, das nach der Bekanntgabe der Schließung der Redaktion der Westfälischen Rundschau zum 1. Februar und vor der Ankündigung eines weiteren Abbaus von 200 Stellen im Konzern gab, wirft er den WAZ-Journalisten vor, ein falsches journalistisches Berufsverständnis zu haben. Leider produzierten viele Zeitungsredakteure „immer noch für sich und die Journalistenkollegen, vergessen dabei vollkommen den Leser“, formuliert Braun. Und erklärt im 65. Erscheinungsjahr der WAZ gleich noch offenherzig: „Nicht mehr die Verwirklichung journalistischer Ansprüche ist entscheidend, sondern die Fokussierung auf den Leser.“ Das neue Modell, die Westfälische Rundschau (WR) im Großraum Dortmund ausgerechnet mit dem Lokalteil der Konkurrenz, der Ruhrnachrichten, erscheinen zu lassen, begründet er mit einer Erfolgsorientierung: „Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Ruhrnachrichten sehr lesernah und den Leserbedürfnissen entsprechend berichten. Dies zeigt ja auch ihr Erfolg.“
Dieses Interview, in dem Braun zudem die Wirtschaftlichkeit über die journalistische Qualität stellt, hat, so sagt ein WAZ-Redakteur, der namentlich nicht genannt werden will, „die Leute in den Redaktionen richtig auf die Palme gebracht.“ Professor Frank Lobigs von der TU Dortmund bezeichnete im WDR diese und ähnlich gelagerte Äußerungen auch von WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus als „Schlag ins Gesicht der ehemaligen Redakteurinnen und Redakteure“ der Westfälischen Rundschau, „das ist empörend für diese Leute“.
Der Unmut über diese Aussagen wird noch nicht öffentlich formuliert, da dies arbeitsrechtliche Konsequenzen haben könnte. Schon 2008/09 hatte der damalige WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach Betriebsräten und Beschäftigten vorgehalten, sie würden mit ihrer internen Kritik am geplanten radikalen Personalschnitt (300 von 860 Stellen mussten abgebaut werden) „ihr eigenes Produkt beschädigen. Das ist Geschäftsschädigung“. Ehemalige Mitarbeiter wie der langjährige WR-Redakteur und Betriebsrat Martin Krehl nehmen da kaum noch ein Blatt vor den Mund. „Die staatlich lizensierten Hüter des Kulturgutes Qualitätsjournalismus steuern inzwischen auf Weisung der Eigner einen Kurs, der unübersehbar mittelfristig den Abschied aus dem seriösen Teil der deutschen Medienbranche bedeutet“, sagt Krehl.

Billige Bildjournalisten

Was genau Braun mit der stereotyp wiederholten Orientierung der Berichterstattung an diffusen Leserbedürfnissen meint, die er gezielt gegen die journalistische Qualität ausspielt, lässt er offen. Vielleicht den vermehrten Einsatz von Leserreportern à la Bild, wie das bei den WAZ-Anzeigenblättern schon länger praktiziert wird? Jedenfalls wurde im April eine Initiative gestartet um die Leser, die im Besitz eines Smartphones sind, stärker als billige Bildlieferanten in die Zeitungsproduktion einzubinden. Der WAZ-New Media Geschäftsführer Oliver Multhaupt gab eine Kooperation mit dem Crowdsourcing-Service für Fotos und Videos scoopshot bekannt, auf dem zukünftig mit einer speziellen App für das Smartphone „Hobby- und Profifotografen“ ihre Bilder für die Gruppe hochladen sollen. An das so entstehende weitverzeigte Korrespondentennetz der Scoopshooter will die Redaktion zukünftig gezielt Aufträge vergeben. Diese Billigkonkurrenz macht den professionellen festen und freien Fotografen des WAZ-Fotopools zunehmend Sorge. Multhaupt ist von dem „neuen Format“, das in Skandinavien schon ein Erfolgsmodell sei, überzeugt. Die Lebenswirklichkeit der Region könne so noch besser abgebildet werden. Zum Start wurden die nervigsten Schlaglöcher der Region gesucht. (WAZ vom 2.4.2013)
Die Betriebsräte der ehemaligen WAZ-Mediegruppe, die sich nach ihrem konservativen Gründer Jakob Funke in Funke Mediengruppe umbenannt hat, warten derweil auf konkrete Informationen, wie der neuerliche Abbau von 200 Stellen sozialverträglich umgesetzt werden soll. Klar ist zurzeit, dass im Anzeigenblattverlag WVW 20 Mitarbeiterkapazitäten, so nennt sich die verlagsinterne Maßeinheit für den Personalabbau, eingespart werden sollen. Im Verlag NRW werden nach Betriebsratsinformationen 40 Stellen wegfallen.
Weiteres, etwa wie die neue Organisation für den Essener Content Desk, für die Branding-Redaktionen WAZ / Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung (NRZ) in Duisburg, Essen, Oberhausen und Mülheim und für die NRZ-Redaktion in Düsseldorf konkret aussehen soll, ist noch nicht bekannt. Genauso wenig gibt es derzeit ein dem Betriebsrat bekanntes Konzept für „Die neue WAZ im Vest“ im Kreis Recklinghausen. Nur soviel: Die Vest-Lokalausgabe soll ähnlich wie die Lokalteile der Westfälischen Rundschau mit Redaktionsmaterial aus dem konkurrierenden Zeitungshaus Bauer (Recklinghäuser Zeitung) gefüllt werden. Ab 1. Mai soll das Material an den Essener Regiodesk geliefert werden, wo die Seiten gebaut werden.

Flashmob

Mit einem Flashmob haben am 13. April die Journalistengewerkschaften dju in ver.di NRW und der DJV NRW gegen die Schließung der WR-Redaktion und für den Erhalt der Pressevielfalt im bevölkerungsreichsten Landkreis Deutschlands demonstriert und die Bevölkerung in Recklinghausen mit Flugblättern über die anstehenden Veränderungen auf dem lokalen Zeitungsmarkt informiert.
In das konzeptionslose Bild, das die Funke-Mediengruppe derzeit abgibt, passt eine Personalie: Als neuer Interims-Pressesprecher der Gruppe wurde Gunther Fessen (53) eingestellt, ein Profi für Krisen-PR.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »