Warum die geltende Rechtslage unzulänglich ist

IG-Medien-Positionen zum Zeugnisverweigerungsrecht

Ein Positionspapier zum publizistischen Zeugnisverweigerungsrecht wird zur Zeit bei der IG Medien ausgearbeitet, in dem die Gewerkschaft nochmals ausführlich ihre Position darlegen und, so Wolfgang Schimmel von der Rechtsabteilung der IG Medien, „im Sinne der Journalistinnen und Journalisten Einfluß auf die Beratungen im Rechtsausschuß nehmen“ will.

Der Anlaß für das ausführliche Gutachten sind nicht allein die zunehmenden Übergriffe der Staatsorgane auf die Medien. Hierzu hatte die IG Medien schon vor über einem Jahr in ihrer Broschüre „Hände weg von den Medien“, sowie bei allen Fällen von Übergriffen ausführlich Stellung genommen und 1995 ihren „Journalistinnen- und Journalistentag“ veranstaltet (siehe u.a. „M“ 12/95).

Notwendig wurde die erneute, deutliche Stellungnahme, damit Druck erzeugt wird und endlich wahr wird, was einige Politikerinnen und Politiker in Bonn schon lange erwarten: Daß im Rechtsausschuß umgehend über zwei Gesetzesentwürfe zur Zeugnisverweigerung beraten wird. Dabei geht es um einen Entwurf des Bundesrats aus dem Jahre 1995 und einen zweiten von Bündnis 90/ Die Grünen, den die Partei im Sommer 1996 vorstellte.Beide fordern eine Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts und des entsprechenden Beschlagnahmeverbots auf selbst recherchiertes Material.

Vor allem der Unterschied zwischen den beiden Entwürfen macht es nötig, erneut klarzustellen, worauf es in der journalistischen Praxis ankommt. Während der Entwurf des Bundesrates – dessen Umsetzung auch der ARD-Vorsitzende und der ZDF-Intendant in einem gemeinsamen Positionspapier vom Februar anmahnten – durch den vorgesehenen Ausnahmekatalog als Gesetz praktisch keinen besseren Schutz bieten könnte, entspricht der Grünen-Entwurf weit eher den Vorstellungen der IG Medien. So stellt auch deren Vorsitzender, Detlef Hensche, fest: „Wir schließen uns der Bitte von ARD und ZDF an, die Beratungen über den längst vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr vordringlich aufzunehmen. Der Entwurf des Bundesrats ist dafür gewiß eine gute Vorlage, wenngleich die IG Medien eine deutlich bessere Ausgestaltung von Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot zugunsten der Medien wünscht. Es sei insoweit an den in Klarheit und Stringenz überzeugenden Entwurf der Fraktion der Grünen erinnert.“

Daß die geltende Rechtslage unzulänglich ist, ist zwischen Praktikern und Medienrechtlernunumstritten. Es scheint, als wolle allein die Bundesregierung an der Rechtslage festhalten, die – wie die Bremer Durchsuchungen vom Sommer gezeigt haben – der Willkür Tür und Tor öffnen. Die geltende Rechtslage ist nämlich dadurch geprägt, daß

  • der erwähnte Ausschluß des sogenannten selbstrecherchierten Materials vom Beschlagnahmeverbot zu erheblichen Unzuträglichkeiten führt;
  • die Rechtsprechung des Bun- desverfassungsgerichts, derzufolge jeweils im Einzelfall eine Güter- und Interessenabwägung zu erfolgen hat, in der Praxis so gut wie keinen Niederschlag findet;
  • immer öfter und immer mehr Medien wider Willen und notfalls zwangsweise – zu „freiberuflichen Hilfsbeamten“ der Staatsanwaltschaft werden;
  • vom Instrument der Hausdurchsuchung teilweise ein solch gravierender Fehlgebrauch gemacht wird, daß der Verdacht naheliegt, es würde eine Einschüchterung der Medienschaffenden und nicht eine Ermittlung beabsichtigt.

So gefährdet die Rechtslage den Schutz freier Medien, deren Funktionsfähigkeit laut Bundesverfassungsgericht „für ein demokratisches Gemeinwesen schlechthin konstituierend“ ist.

Das Positionspapier listet die Mängel ausführlich und mit Beispielen auf und plädiert vor allem politisch und historisch für eine notwendige Änderung der Zeugnisverweigerung. Betrachtet werden dabei die Entwicklungsgeschichte wie die verfassungsrechtlichen Aspek-te des Zeugnisverweigerungsrechts – und daraus werden schließlich die Anforderungen an ein entsprechendes Gesetz entwickelt.

Nicht ausgespart wird dabei ein Aspekt, der in der Öffentlichkeit zu selten problematisiert wird: Machen Durchsuchungen von Redaktionen überhaupt für die Ermittelnden einen Sinn, oder dienen sie letztlich allein der Einschüchterung?

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »

Verzögerung in Fretterode-Verfahren

Sieben Jahren verschleppt: Der brutale Angriff von zwei Rechtsradikalen auf Journalisten im Jahr 2018 kommt auch in der Berufung einfach nicht vor Gericht. Sven Adam, Anwalt der bei dem Überfall erheblich unter anderem mit Schraubenschlüssel, Messer und Baseballschläger verletzten Journalisten, kritisiert das erneute Justizversagen und erhebt wieder eine Verzögerungsrüge gegen das Gericht im thüringischen Mühlhausen.
mehr »

Rechtes Rauschen im Blätterwald

Ob Neuerscheinungen, Zusammenlegungen, Relaunches oder altgediente rechte Verlage: Was die Periodika der Neuen Rechten, ihrer Parteien, Organisationen oder auch einflussreicher kleinerer Kreise anbetrifft, lässt sich gerade angesichts des rechtspopulistischen Aufschwungs der letzten etwa 20 Jahre viel Bewegung ausmachen.
mehr »

VG Wort ändert Verteilungsplan

Die Mitgliederversammlung der VG Wort hat in ihrer Mai-Sitzung eine Reform des METIS-Systems mit der erforderlichen Mehrheit in allen Berufsgruppen beschlossen. Sie führt zu wichtigen Änderungen im Verteilungsplan der VG Wort. Vertreter der dju in ver.di haben das vorliegende Papier in Teilen kritisiert und versucht, es noch mit Änderungsanträgen zu beeinflussen – ohne Erfolg.
mehr »