Typisierung der Fachzeitschriften lichtet den Dschungel
Der Fachpressemarkt präsentiert sich insgesamt unübersichtlich. Selbst die Gesamtzahl der von Verlagen in Deutschland herausgegebenen Titel – 3.753 laut Deutsche Fachpresse – ist nur geschätzt. Und nicht jeder Titel, der als Fachzeitschrift auftritt, ist es auch. So bezeichnen sich etliche Special-Interest-Titel der Publikumspresse als Fachzeitschrift. Bei der IVW melden alle Modellbahn-Zeitschriften ihre Auflagen unter „Fachpresse“. Hinzu kommt: Die Fachpresse wird in ihren Titeln und Verlagen immer internationaler. Viele wissenschaftliche Titel erscheinen auf englisch. Viele Verlage in Deutschland sind Töchter von Auslandskonzernen. Höchste Zeit also, den Dschungel etwas zu lichten.
Den deutschen Gesamtmarkt bilden alle Fachzeitschriften und Fachzeitungen, die in Deutschland von einem Verlagsunternehmen herausgegeben werden. Nur 104 Titel erscheinen 14-tägig oder öfter, darunter 5 Titel öfter als wöchentlich. Einzig die „Ärzte-Zeitung“ wird als werktägliche Fach-Tageszeitung herausgegeben. Zumeist erscheinen die Titel also monatlich oder seltener. Eigentlich müsste man die Fachpresse nach ihren Bezugsformen unterteilen:
Streng wissenschaftliche Periodika
Zum ersten Typus gehören die streng wissenschaftlichen Periodika. Sie finanzieren sich nahezu ausschließlich aus Vertriebserlösen, haben eher geringe Auflagen von geschätzt durchschnittlich 1.900 Beziehern und entsprechend hohe Abonnementspreise. Weil sie werbefrei sind, werden sie nicht in den Verzeichnissen der Mediawirtschaft aufgeführt. So war im Jahr 2006 von 284 Titeln des Verlages Springer Science + Business Media nur ein einziger IVW-gemeldet. Zur Titelzahl der wissenschaftlichen Fachpresse gibt es daher heute nicht einmal schlüssige Schätzungen. Die letzte amtliche Zahl stammt aus dem Jahr 1994. Damals wurden 1.752 Zeitschriften notiert.
Zum vollen Preis gekauft
Der zweite Typus umfasst Hefte, die überwiegend zum vollen Preis gekauft werden: Sei es als reguläres Abonnement, sei es als Einzelhefte. Den vollen Abopreis zu zahlen, ist bei der Fachpresse keine Selbstverständlichkeit. Nur bei jeder fünften IVW-gemeldeten Zeitschrift (228 Titel) werden mehr als die Hälfte der Auflage auf diese Weise abgesetzt. Zwei landwirtschaftliche Blätter liegen hier mit Abstand vorn: „Top Agrar“ hat monatlich knapp 104.000 Vollabos bei 124.000 verbreiteten Heften. Und das „Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt“ erreicht seit 1811 seine Leser, heute wöchentlich 101.000 voll zahlende Abonnenten bei 106.000 verbreiteten Stücken. Bei allen anderen Titeln unterschreiten die Vollabos die Marke von 60.000 Heften deutlich.
Der Presseeinzelhandel ist für die Fachpresse kaum relevant. Nur 20 Zeitschriften erreichen hier zweistellige Verbreitungsanteile. Dabei meldet das Magazin „Fernfahrer“ den einsamen Spitzenwert von 73 Prozent Kioskverkauf – die Gründe sind naheliegend.
Mitgliederzeitschriften
Die Hefte des dritten Typus werden ganz oder überwiegend im Rahmen einer Mitgliedschaft zugesandt, z.B. das wöchentliche „Deutsche Ärzteblatt“ (Rang 1 nach Bruttowerbeumsatz laut „Horizont“). Für die berufsorientierte Publizistik macht eine methodische Abtrennung der Mitgliedschaftstitel keinen Sinn, daher zählen auch diese Periodika zur Fachpresse.12 Prozent aller IVW-gemeldeten Fachtitel (127) verteilen über 50 Prozent ihrer Auflage an Mitglieder einer beruflichen Organisation.
Sammelabos
Den vierten Typus bilden Periodika welche hauptsächlich über Sammelabos oder sonstige Verkäufe verbreitet werden. Den ausgewiesenen regulären Heftpreis bezahlt also nur eine Minderheit der Bezieher. Rund 50 Zeitschriften praktizieren diese Vertriebsformen mit mindestens jedem zweiten Exemplar.
Die höchsten Auflagen haben in diesem Bereich zwei ähnliche Titel: „Arbeit und Gesundheit“ verbreitet monatlich 393.000 Hefte, davon gehen 315.000 an die Versicherten der gewerblichen Berufsgenossenschaften. „Faktor Arbeitsschutz“ wird vom Bundesverband der Unfallkassen zweimonatlich herausgegeben. Fast alle 64.000 Hefte sind unter dem sonstigen Verkauf erfasst.
Kostenlose Fachpresse
Die Hefte des fünften Typus werden in ihrer Mehrzahl kostenlos abgegeben. Sie bilden mit 600 Titeln nicht nur die größte Gruppe, sondern sind auch die Mehrzahl der IVW-gemeldeten Fachpresse-Titel. Häufig wird hierbei der Wechselversand praktiziert: Das heißt, ein Teil der Freistücke wird an wechselnde Empfänger adressiert. Die stärksten 25 Titel dieser Gruppe erreichen verbreitete Auflagen zwischen 50.000 und 100.000 Exemplaren. Hierbei fällt auf: Über die Hälfte dieser Zeitschriften richten sich an Ärzte oder Zahnärzte.
Anzeigenumsätze
In den vielfältigen Teilmärkten der Fachpresse finden sich alle fünf Typen gleichermaßen in Rein- als auch in Mischformen. Nur unter den jeweiligen Marktführern ist der zweite Typus der voll verkauften Fachzeitschrift stärker vertreten. Aus dem Geschilderten wird deutlich: In der Gattung Fachpresse dominieren bei den meisten Verlagen die Anzeigenumsätze. Mit einzelnen Titeln lassen sich nur selten zweistellige Millionenumsätze machen.
Nach einem Ranking der Zeitschrift „Horizont“ erreichen nur 15 Titel Bruttowerbeumsätze in zweistelliger Millionenhöhe. Allen voraus die wöchentlichen Titel „Deutsches Ärzteblatt“ mit 46,7 Mio. Euro, „Lebensmittel-Zeitung“ mit 38,8 Mio. Euro, „Textilwirtschaft“ mit 22,8 Mio. Euro sowie „Werben & Verkaufen“ und die tägliche „Ärzte-Zeitung“ mit knapp über 19 Mio. Euro Bruttowerbeumsatz in 2006.
Umsatzstärken
Aufgrund der Vielzahl der Titel gilt die Fachpresse als nur in geringem Maße konzentriert. Dies bestätigt auch das Horizont-Ranking 2006: Die umsatzstärksten 50 Titel werden von 28 eigenständigen Verlagen herausgegeben, die umsatzstärksten 100 Titel von 47 Verlagen. Darunter sind sieben Verlagsgruppen mit fünf und mehr Titeln vertreten: Deutscher Fachverlag, Süddeutsche Verlagsgruppe, Springer Science + Business Media, CMP-WEKA, Vogel Verlagsgruppe, Holtzbrinck Fachinformationen und Konradin. Diese sieben Verlagsgruppen gehören zu den TOP 15 Fachverlagen in Deutschland. Die Umsatzrankings geben zumeist nur Größenordnungen wieder. Denn die in vielen Geschäftsfeldern tätigen Verlagsgruppen weisen den Zweig „Fachpresse“ oder „Fachinformationen“ nur selten eigenständig aus.
Sieben Verlagsgruppen
Springer Science + Business Media steht auf Platz 1 mit laut w&v 836 Mio. Euro Umsatz in 2005. Sechs der 100 umsatzstärksten Titel gehören zur Gruppe, die im April 2003 von Bertelsmann an die britischen Finanzinvestoren Cinven und Candover verkauft wurde. Das Unternehmen ist weltweit tätig mit 70 Verlagen, 1.450 Zeitschriften, vielen weiteren Geschäftsfeldern der Fachinformation und insgesamt rund 5.000 Mitarbeitern in 20 Ländern.
Es folgen mit 668 Mio. Euro Umsatz die Georg von Holtzbrinck Fachinformationen. Die Gruppe kommt auf ebenfalls sechs unter den 100 umsatzstärksten Titeln. Sie hat zahlreiche Töchter und Beteiligungen, insbesondere die Verlagsgruppe Handelsblatt, die GENIOS-Datenbanken, und sie hält 45 Prozent am Deutschen Verkehrs Verlag. An dritter Stelle steht die WEKA-Firmengruppe. Acht der 100 Titel sind ihr zuzurechnen. Rund 1.400 Mitarbeiter erwirtschafteten laut w&v mit Fachinformationen rund 216 Mio. Euro Umsatz im Jahr 2005. Eigentümer der Gruppe mit rund 20 Unternehmen in Europa ist die Familie des Firmengründers Werner Mützel.
Die Fachinformationen der Süddeutschen Verlagsgruppe, Rang vier, platzieren neun Titel unter den anzeigenumsatzstärksten 100. Sie werden von den Verlagen Hüthig, Moderne Industrie, und Europa Fachpresse herausgegeben. Rund 210 Mio. Euro Jahresumsatz und 990 Mitarbeiter sind die Kennzahlen dieses Geschäftsbereiches.
Aus der Vogel-Medien Gruppe kommen sechs der TOP-100 Titel. Der Fachinformationszweig erreichte 2005 einen Umsatz von 122 Mio. Euro mit rund 750 Mitarbeitern. Das Unternehmen ist im Besitz der Nachfahren des Gründers.
Die Verlagsgruppe Deutscher Fachverlag nimmt die elfte Stelle im w&v-Fachverlagsranking ein. Sie gibt acht der 100 anzeigenumsatzstärksten Fachzeitschriften des Jahres 206 heraus. Eigner ist die Familie des Gründers, Wilhelm Lorch. Die Kennzahlen: 825 Mitarbeiter erwirtschafteten 2005 einen Umsatz von 124 Mio. Euro. Unter den größten 15 Fachverlagen ist schließlich auch die Konradin-Mediengruppe. Neun der TOP-100 Titel erscheinen hier. Der Umsatz von 110 Mio. Euro in 2005 wurde mit rund 800 Mitarbeitern erzielt. Dieser Verlag ist in Besitz der Familie Kohlhammer.
Die aufgeführten sieben Verlagsgruppen geben 52 der 100 nach dem Anzeigenumsatz größten deutschen Fachzeitschriften heraus. Und sie werden weiter wachsen.