Springer Verlag trieb entscheidenden Sargnagel in das Lebenswerk des Medienmoguls
Als am 8. April beim Amtsgericht München der Insolvenzantrag der KirchMedia eintraf, ging eine Ära der bundesdeutschen Mediengeschichte zu Ende. Nach jahrelangem Pokern um sein Lebenswerk hatte Leo Kirch zuletzt dem Druck der Gläubigerbanken nichts mehr entgegenzusetzen. Mit einem Gesamtschuldenstand von rund 6,5 Milliarden Euro verkörpert der Kirch-Konkurs die größte Unternehmenspleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Seitdem sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange. Die Zukunft des Kirch-Kerngeschäfts liegt in den Händen der Insolvenz-Spezialisten Wolfgang van Betteray und Hans-Joachim Ziems. Als neue Geschäftsführer der KirchMedia führen sie gemeinsam mit den weiterhin amtierenden bisherigen Geschäftsführern die Tagesgeschäfte – allerdings nur bis zu einer Größenordnung von zwei Millionen Euro. Für alle dickeren Brocken sind sie auf die Zustimmung von Insolvenzverwalter Michael Jaffé angewiesen.
Ein schlüssiges Sanierungskonzept für das zahlungsunfähige Unternehmen lag bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor. Doch der Job des Konkursmanagertrios liegt auf der Hand: Es geht darum, Geld und Neuinvestoren aufzutreiben und Schulden abzubauen. Dabei handelt es sich nicht allein um KirchMedia, sondern um sämtliche eng miteinander verflochtenen Sparten des Konzerns.
Die Kirch-Gruppe fußt auf den drei Säulen KirchMedia, KirchPayTV und KirchBeteiligungen. Wirtschaftlich am bedeutendsten ist mit einem Jahresumsatz von gut 3,3 Milliarden Euro KirchMedia, an der die Konzernholding mit knapp 73 Prozent beteiligt ist. Zu den weiteren Anteilseignern zählen die Medienkonzerne von Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch, die Handelskette Rewe sowie der saudische Prinz Al Walid. In diesem Unternehmenszweig sind die Bereiche Filmrechtehandel, Produktion und die frei empfangbaren TV-Sender gebündelt. Diese Bereiche gelten prinzipiell als lukrativ und überlebensfähig.
Daher wollen die vier am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubigerbanken Bayerische Landesbank, Commerzbank, DZ-Bank und die Hypo-Vereinsbank das Unternehmen vor der Zerschlagung bewahren. Zur Fortführung der Geschäfte wären allerdings nach Schätzungen von Bankenvertretern Überbrückungskredite in Höhe von 800 Millionen bis einer Milliarde Euro notwendig.
Spartensender unrentabel
Wer sich an der angestrebten Auffanglösung beteiligt, war bis zuletzt unklar. Für den Gang zum Konkursrichter hatten die Banken die Weigerung der anderen Anteilseigner von KirchMedia, neues Kapital zuzuschießen, verantwortlich gemacht. Offenbar spekulieren Berlusconi und Murdoch darauf, unter dem Druck der Verhältnisse zum Schnäppchenpreis beherrschenden Einfluss bei ihrem früheren Konkurrenten Kirch zu gewinnen. Vor allem im Bereich des privaten Free TV könnte dies zu einer neuen Konstellation führen: Über kurz oder lang dürfte das bisherige Duopol Kirch-Bertelsmann durch einen oder mehrere internationale Player aufgemischt werden. Nationalegoistischer Protektionismus erscheint durch den Kapitalmangel möglicher deutscher Interessenten ausgeschlossen.
Wie immer man zu dieser Entwicklung stehen mag – ernsthafte Auswirkungen auf das Quartett der in der ProSiebenSat.1Media AG zusammengeschlossenen Sender sind unwahrscheinlich. Peter Christmann, Chef des Kirch-Vermarkters SevenOne Media, gab im Branchenmagazin „werben & verkaufen“ für Pro Sieben, Sat.1, Kabel 1 und N24 fast schon eine Existenzgarantie ab: „Im Zuge der Insolvenz wird es keine Beeinträchtigung des Sendebetriebs dieser vier Sendermarken geben.“ Zumindest beim Nachrichtenkanal N24 machen Branchenauguren ein Fragezeichen; er gilt im Vergleich zu seinem Hauptkonkurrenten n-tv als hochdefizitär.
Weniger rosig erscheint die Situation anderer Spartensender. Als unrentabel gelten vor allem das Deutsche Sport Fernsehen (DSF) und der erst im vergangenen Jahr als „Transaktionsfernsehen“ gestartete Mitmachsender Neun Live. Mit Sicherheit verkauft wird der 25prozentige Anteil am profitablen spanischen Sender Telecinco, voraussichtlich an Berlusconis Mediaset. Unklar ist dagegen, inwieweit die Sanierer auch den Produktionssektor zum künftigen Kerngeschäft rechnen. Davon hängt das Schicksal etwa der Töchter Taurus Produktion und Roxy Film ab, in der Firmen wie KirchMediaEntertainment, Janus oder die Neue Deutsche Filmgesellschaft gebündelt sind. „Wie viel wir sparen müssen, hängt davon ab, wer uns künftig Rechte abnimmt“, sagte Sanierer Hans-Joachim Ziems unlängst in der „Wirtschaftswoche“.
In schwerstem Fahrwasser trudelt Premiere World, das Kernstück von KirchPayTV, der zweiten Säule des maroden Kirch-Imperiums. Bislang hat das Abo-Fernsehen vier Milliarden Euro Verlust angehäuft. Allein für das laufende Jahr beträgt der Finanzbedarf noch „einige hundert Millionen Euro“, bekannte Mitte März der neue Geschäftsführer Georg Kofler. Angesichts der Weigerung der Banken, weitere Gelder in dieses Milliardengrab zu pumpen, wurde seit dem Insolvenzantrag für KirchMedia auch für Premiere World täglich mit der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit gerechnet. Auch Rupert Murdochs BSkyB, mit 22 Prozent gewichtiger Co-Gesellschafter bei KirchPayTV, zeigte zuletzt wenig Neigung, sich weiterhin finanziell zu engagieren.
Eher droht Murdoch, für einen Verkaufspreis von 1,76 Milliarden Euro im Oktober eine vertraglich vereinbarte Ausstiegs-Option geltend zu machen. Spätestens dann wäre das Abenteuer Pay-TV in Deutschland am Ende. Auch ohne dieses Katastrophen-Szenario sollen die liquiden Mittel von Premiere allenfalls noch bis zum Herbst reichen. Als Hauptursache für die Misere gelten die viel zu teuer eingekauften Lizenzrechte für Sport und Spielfilme. Sie bescheren Premiere bei einer nur langsam steigenden Abonnentenzahl von knapp 2,5 Millionen täglich neue Verluste in Höhe von zwei Millionen Euro. Ob ein kurzfristig aus dem Boden gestampftes Sanierungskonzept Koflers diesen Trend umkehrt, erscheint zweifelhaft. Er sieht 30 Prozent weniger Personal vor, eine jährliche Kostenverringerung um eine halbe Milliarde Euro sowie eine Verdoppelung der Abos bis 2005. Voraussetzung für ein Gelingen wäre wohl, dass – wie von der Premiere-Führung erhofft, „der erste große Internationalisierungsfall der deutschen Mediengeschichte“ eintritt. Also eine Art Joint Venture von Banken, Murdoch, den US Majors, bei denen Kirch noch mit 500 Millionen Euro in der Kreide steht und / oder anderen. Auch Bertelsmann hat neuerdings Interesse angemeldet, was aber kartellrechtliche Probleme aufwerfen dürfte.
Profifußball betroffen
Betroffen von einem möglichen Konkurs von KirchPayTV ist auch der deutsche Profifußball. Falls die satten Einnahmen aus dem Bezahlfernsehen künftig entfallen, müssen die Vereine ihre Etats drastisch nach unten korrigieren. Die zuletzt üblichen großzügigen Arbeitsverträge vieler Kicker dürften entsprechend nachverhandelt werden. Noch ist nicht klar, wie das Verhältnis zwischen KirchPayTV und KirchMedia künftig aussehen wird. Davon aber hängt ab, ob die Insolvenzverwalter den laufenden Lizenzvertrag über die Ausstrahlung der Bundesliga fortführen oder nicht. Die Zeit drängt. Spätestens nach der Fußball-WM muss KirchMedia Farbe bekennen oder ein neuer Geldgeber gefunden sein.
Erste Interessenten sollen auf der Matte stehen, darunter auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten und RTL. Allerdings will niemand zu den bisherigen Konditionen – 1,53 Milliarden Euro für vier Jahre – einsteigen.
Aus für TV.Berlin
Die dritte Säule des Kirch-Imperiums bildet die Kirch-Beteiligung GmbH & Co. KG, ein Konglomerat verschiedener Unternehmensbeteiligungen. Dickster Brocken ist der 40prozentige Anteil am Axel Springer Verlag. Seit Mitte Februar steht er zum Verkauf. Bereits vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens für KirchMedia hatte die Hypo-Vereinsbank 1,1 Milliarden Euro geboten, um deren Liquidität zu sichern. Nach wie vor gilt ein Verkauf des Aktienpakets an ein Banken-Konsortium als die wahrscheinlichste Lösung. Die Ironie der Mediengeschichte will es, dass ausgerechnet der Springer Verlag den entscheidenden Sargnagel in Kirchs Lebenswerk trieb. Als Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Ende Januar die umstrittene Put-Option für den 11,5prozentigen Anteil des Verlags an der ProSiebenSat.1Media AG ausübte, tat er dies im Wissen um Kirchs voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit. Und löste damit den Konkurs der KirchMedia aus. Jetzt sieht es so aus, als sei Springer selbst der zweite Gelackmeierte. Auf die Frage eines Journalisten, was denn aus der 767-Millionen-Euro-Forderung Springers gegen Kirch werden solle, antwortete der neue KirchMedia-Geschäftsführer van Betteray mit dem süffisanten Satz: „Das deutsche Insolvenzrecht kennt keinen Tausch wertloser Forderungen gegen werthaltige Beteiligungen.“ Umgekehrt herrschen auch bei Springer derzeit klamme Kassen. Dem Wunsch, die Kirch-Schwäche zum Ausbau des eigenen TV-Geschäfts zu nutzen – etwa durch den Erwerb eines relevanten Anteils an einer sanierten KirchMedia – sind somit Grenzen gesteckt.
Recht düster sieht es um die Zukunft der chronisch defizitären Ballungsraumsender aus. Erste Schließungsgerüchte bei tv.m und TV.Berlin wurden zunächst dementiert. Die Kirch-Gruppe habe bislang lediglich „strategisch entschieden, sich nicht an weiteren Metropolensendern zu beteiligen, da Ballungsraum-TV nicht funktioniert“.
So kam der Insolvenzantrag von TV.Berlin am 24. April nicht überraschend. Der Sendebetrieb wird aber fortgesetzt, hieß es. Der Sender, der zu hundert Prozent dem Kirch-Sohn Thomas gehört, werde weiter nach Investoren suchen. Geschäftsführer Georg Gafron hatte bereits zwei Tage zuvor sowohl seinen Posten bei TV.Berlin als auch bei Thomas Kirchs Radiosender Hundert,6 verlassen. Als offenes Geheimnis gilt die miserable wirtschaftliche Lage dieser Sender in Berlin, Hamburg (HH 1) und München. Branchendienste schätzen das jährlich anlaufende Minus auf 20 Millionen Euro.
Gleichgewicht gestört
Die Zerschlagung des Kirch-Konzerns und die Reduzierung der Aktivitäten auf ein zurechtgestutztes Kerngeschäft wird das historisch gewachsene Gleichgewicht auf dem deutschen Medienmarkt empfindlich beeinträchtigen. Ein prekäres Gleichgewicht, bei dem sich Kirch und sein einziger relevanter privater Wettbewerber Bertelsmann mit den öffentlich-rechtlichen Systemen ARD und ZDF gegenseitig in Schach hielten.
Das deutsche Medienrecht hatte sich der normativen Kraft des Faktischen trickreich, aber wenig überzeugend angepasst. Es vermutet bislang „vorherrschende Meinungsmacht“ dann, wenn die Programme eines Unternehmens zusammen einen jährlichen durchschnittlichen Zuschaueranteil von 30 Prozent überschreiten. Die Kirch-Gruppe kam im vergangenen Jahr mit ihren Programmen Sat.1, Pro 7, Kabel 1, DSF, Neun Live und Premiere World auf 25,8 Prozent, die RTL Group (Bertelsmann) auf 24,7 Prozent. Zur Beurteilung „vorherrschender Meinungsmacht“ sieht der Staatsvertrag auch die Beurteilung „medienrelevanter verwandter Märkte“ vor, also etwa der Märkte für Programm- und Sportrechte, Nachrichtenmaterial, Programmzeitschriften oder des Werbemarktes. In der Vergangenheit mochten die Wettbewerbshüter erstaunlicherweise auf keinem dieser Märkte eine dominierende Position der Kirch-Gruppe erkennen – „trotz konzentrativer Tendenzen“.