„taz“ verkauft sich an ihre Leser

Genossenschaftsmodell wird zehn Jahre / Ärzte, Lehrer und Anwälte investieren fünf Millionen Euro

Vor zehn Jahren verkaufte die „taz“ einmal fast ihre Seele. Die Redakteure erlebten eine grausame Finanzkrise und stimmten nach hitziger Debatte zu mehr als 90 Prozent dafür, die linksalternative Tageszeitung zu verkaufen. Am liebsten wäre ihnen ein Finanzinvestor gewesen, der kräftig Geld rein buttert und die Journalisten weiter schreiben lässt, was sie wollen. Doch sie machten ihre Rechnung ohne die „Freunde der alternativen Tageszeitung“, der mächtigen Mitarbeiterversammlung, die von einem Fremdinvestor nichts wissen und die Zeitung mit einem Genossenschaftsmodell retten wollte.

Einige der prominentesten „taz“-Journalisten wie Georgia Tornow oder Klaus Hartung verließen darauf das Blatt. Doch die Idee setzte sich durch: Für ein Minimum-Investment von tausend Mark sollten die eigenen Leser Anteile der Firma „taz“ erwerben. Das Geld, das auf diese Weise in die Kassen gespült wurde, rettete die Zeitung vor dem Bankrott. Weil die notorisch klamme „taz“ aber auch seither nie Gewinn abwirft, bekommen die Genossenschafter bis heute keine Ertragsausschüttung. Was den Investoren bleibt, ist der politische Profit: die Gewissheit, mit ihrem Geld eine Zeitung am Leben zu erhalten, die so unabhängig, unangepasst und unberechenbar ist, wie keine andere in Deutschland. Eine Zeitung, die die deutsche Presselandschaft zudem mehr verändert hat als all die anderen Neugründungen und die Uli Wickert mal „die beste Journalistenschule“ im Land nannte.

Am 1. Juni wurde das aus Investorensicht eigentlich widersinnige Modell der „taz“-Genossenschaft zehn Jahre alt. Mehr als 5000 Leserinnen und Leser entschlossen sich seit 1992, in die „taz“ zu investieren, es sind vor allem Ärzte, Lehrer und Rechtsanwälte, die Anteile zwischen 500 und 25.000 Euro zeichnen. Sie bescherten der „taz“ damit mehr als fünf Millionen Euro zusätzlichen Kapitals. Betreut werden die Genossinnen und Genossen von einem fünfköpfigen „taz“-Team, das in einem Glaskasten neben der Empfangstheke sitzt. An der Wand hängt das Schwarz-Weiß-Poster eines erschossenen jungen Mannes, der verdächtigt wurde, der „Bewegung Zweiter Juni“ anzugehören, auf den Kaffeetassen prangen Comics des hauseigenen Zeichners Tom.

Jeder Krise getrotzt

Redakteurin Konny Gellenbeck, 47, die zudem für die „Briefe aus dem Knast“ zuständig ist, sagt, dass eine Beteiligung an der „taz“ immer dann eine Alternative zur konventionellen Geldanlage ist, wenn einem ideeller Gewinn mehr bedeutet als materieller Profit. Die Anteilseigner der „taz“ würden genauso ernst genommen, wie Anteilseigner von Aktiengesellschaften, sagt Gellenbeck. Regelmäßig informiert der achtseitige „Geno-Newsletter“ die „lieben Genossinnen und Genossen“ über die finanzielle Lage der Zeitung. Im neuesten Brief berichtet „taz“-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch, dass der Umsatz im vergangenen Jahr auf 37 Millionen Mark stieg und der operative Verlust sich auf 422.000 Mark belaufe. Angesicht der vielen Millionen Mark, die die Großverlage Springer und Holtzbrinck in den Berliner Zeitungsmarkt knallen, sind die Verluste der „taz“ wirklich peanuts. Dennoch müssen auch die Redakteure im Rudi-Dutschke-Haus, dem Stammsitz der Zeitung, sparen, zumal die eh schon mickrigen Anzeigenerlöse seit Jahren weiter bröckeln: minus 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, im laufenden Jahr droht noch mal ein Rückgang um 26 Prozent.

Für die „taz“ sei die gegenwärtige Krise wieder mal „existenzbedrohend“, klagt Geschäftsführer Ruch. Deshalb streicht er in der zweiten Hälfte diesen Jahres den 200 „taz“-Mitarbeitern sogar die Essensmarken für den hauseigenen Italiener im Erdgeschoss – eine „Sparmaßnahme“, die in jedem anderen Verlag die Stimmung auf den Tiefpunkt katapultieren würde. Nicht so bei den stoisch jeder Krise trotzenden „taz“-Schreibern, die sich immer noch mit einem Gehalt zufrieden geben, für das bei anderen Blättern nicht mal eine Sekretärin den Computer anwirft. Chefredakteurin Bascha Mika verdient im Vergleich sensationelle 3500 Euro, andere taz’ler gehen mit weniger als 2000 Euro brutto nach Hause.

Das Geld der Genossenschaft hat der taz weit mehr als das Überleben gesichert: Unverzagt stemmte die kleinste der überregionalen deutschen Tageszeitungen in den vergangenen Jahren lauter mutige Projekte: 1996 schuf sie die Beilage „Le Monde Diplomatique“ und säte damit globalisierungskritische Gedanken, die bis dahin in Deutschland ziemlich unbekannt waren. 1997 erschien erstmals das Wochenend-Magazin „taz-mag“, 2000 wagte die „taz“ eine große Layout-Reform mit neuen, täglichen Schwerpunktseiten und gründete außerdem neben Bremen, Hamburg und Berlin weitere Lokalredaktionen im Ruhrgebiet, in Münster und in Köln.

Die „Haus-Macht“

All diese Projekte müssen jedes Jahr von den „taz“-Genossenschaftern abgesegnet werden. Etwa 300 Leute kommen dann nach Berlin und fordern Rechenschaft. Natürlich kommen da auch immer die gleichen kritischen Fragen, sagt Konny Gellenbeck: „Warum habt ihr nicht mehr Anzeigen?“ oder „Müssen diese Lokalredaktionen wirklich sein?“ Doch anders als früher haben mittlerweile die taz’ler selbst die Macht im Haus. Wenn die Mitarbeiter sich einig sind, können sie jeden Beschluss der Genossenschaft verhindern.


 

Markus Grill, 34, arbeitet für den „stern“ in Stuttgart. 1996 war er taz-Praktikant.

Info:
taz-Genossenschaft, Tel. 030-25902-213, E-Mail: geno@taz.de

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