Vor einer Wende in der Medienwirtschaft –
Machtverschiebungen in den wichtigsten Sparten
Im Juli war Götterdämmerung für die Sunnyboys der neuen Medienwelt: Zuerst hat Jean-Marie Messier, Präsident von Vivendi-Universal, einen Tritt in den Hintern bekommen, ihm folgte Robert Pittman, „COO“ bei AOL / Time-Warner, und kurz nach ihm ist Thomas Middelhoff gegangen worden, weil man in Gütersloh den von ihm gewiesenen Weg nicht mehr mitgehen wollte.
In solchen spektakulären Führungswechseln (Gus Fischer bei Springer ist es im vorigen Jahr ähnlich ergangen) spiegeln sich Prozesse von erheblicher Tragweite. Die deutsche und internationale Medienwirtschaft befindet sich in einer Phase der Umstrukturierung und Neuorientierung. 2002 könnte in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem die Weichen umgestellt worden sind.
Bis zum Ende der Neunzigerjahre waren die Strukturen recht stabil. Eine Gruppe von sieben Konzernen (Bertelsmann, Kirch, Springer, Holtzbrinck, WAZ-Gruppe, Burda und Bauer) war in den meisten (Bertelsmann in allen) Sparten aktiv und hielt die übrigen in- und ausländischen Konkurrenten auf Abstand. Expandiert wurde vorwiegend im Ausland (besonders in Osteuropa) oder durch den Aufkauf kleinerer Verlage. Hin und wieder hat man zwar die Samthandschuhe ausgezogen und es ging mit Kampfpreisen zur Sache, ebenso oft aber hat man sich verbündet, um neue Märkte zu erschließen.
Auch die neuen Sparten Internet und Rechtehandel haben nur kurzfristig die Pfründe der Großen bedroht. So lange der Börsenhype anhielt, sah es so aus, als könnten sich Dotcoms und Goldgräber à la EM.TV und Kinowelt in die vordersten Reihen der Medienriesen schieben. Das Ergebnis ist bekannt: Entweder sind die Firmen aufgekauft worden (wie Pixelpark) oder sie sind pleite.
Die Welt der Bertelsmann & Co könnte wieder in Ordnung sein. Ist sie aber nicht. Spätestens der Zusammenbruch des Kirch-Imperiums hat deutlich gemacht, dass die Karten neu gemischt werden. Oberflächlich scheint sich noch nicht viel verändert zu haben: Kirchs Fernsehsender bleiben auf Sendung, selbst das Milliardengrab Premiere wirbt unverdrossen um Abonnenten, und über Fußballrechte verhandelt die insolvente KirchMedia, als sei nichts gewesen.
Aber bald gehören 40 Prozent des Springer-Konzerns womöglich nicht mehr Leo Kirch, sondern der Deutschen Bank. Die will die Papiere über die Börse verkaufen. Bis zum Herbst soll entschieden werden, wem die KirchMedia mit fünf Fernsehsendern, Europas größtem Vorrat an Filmen und Fernsehsendungen sowie zahlreichen Sportübertragungsrechten (darunter Formel 1 und Fußball-WM 2006) gehören werden.
Unklare Perspektiven
Dass Bertelsmann um Kirch mitbietet, verhindert das Kartellrecht. Aber die Nummer eins der Branche sorgt ebenfalls für Wirbel. Aus zwei zentralen Geschäftsfeldern (Tageszeitungen und Fachzeitschriften) will man aussteigen. Die Berliner Blätter gehen an Holtzbrinck, um den Rest wird noch geschachert. Holtzbrinck wiederum will seine Anteile am Fernsehsender n-tv und an 12 Radiostationen an die Bertelsmann’sche RTL-Group verkaufen. Werden diese Deals genehmigt (was wahrscheinlich ist) dann werden die Strukturen der Branche deutlich verschoben. Ähnliches gilt für den Fall, dass Springer seine „Überlegungen“ verwirklicht und aus dem Buchgeschäft aussteigt (derzeit ist der Konzern dort die Nummer drei).
Wenn Branchengrößen ganze Geschäftsfelder aufgeben, dann lässt das auf eine strategische Verunsicherung schließen. Dafür gibt es gute Gründe: Die bislang verfolgten Strategien erweisen sich als wenig erfolgreich und die Perspektiven sind unklarer denn je.
Mit Namen wie Messier, Middelhoff und Pittman (oder auch Kirch) war der Slogan vom „integrierten Medienkonzern“ verbunden. Der „Content“ sollte durch alle Glieder der „Verwertungskette“ genudelt werden. Ein Film etwa – so stellte man sich das vor – sollte im Konzernstudio produziert, über den eigenen Rechtehandel vermarktet, in der eigenen Fernseh-“Senderfamilie“ mehrfach verwertet, in den Printmedien gepusht, in konzerneigenen Internetseiten ausgewalzt, übers Mechandising begleitet – und als Soundtrack über die eigene Musikfirma vertrieben werden.
Der integrierte Medienkonzern ist nichts anderes als das Industriekonglomerat der Siebziger-/Achtzigerjahre. Dieses Modell ist damals gescheitert, weil die Kompetenz gefehlt hat, um in allen Sparten erfolgreich zu sein, und weil die Koordination der Sparten selten gelungen ist. Die gleichen Probleme haben sich bei AOL / TW, Vivendi-Universal oder Bertelsmann gezeigt. Augenblicklich wird zurück gerudert. Aber die Absage an eine Strategie ist noch keine neue, und wohin man sich entwickeln will, ist unklar. Vor diesem Dilemma stehen viele Verlage und Medienkonzerne, und das macht die künftige Entwicklung der gesamten Branche undurchsichtig.
Beispiel Fernsehen: Der Zusammenbruch der Kirch-Gruppe wird eine Machtverschiebung bringen. Ihre Sender werden entweder an deutsche Medienkonzerne (Springer, Bauer, Spiegel) gehen, oder an ausländische. Letztere Möglichkeit scheint – sofern nicht Murdoch und Berlusconi das Sagen bekommen – die weniger problematische zu sein, denn dass der größte Zeitungsverlag („Bild“), der größte Zeitschriftenverlag und das einflussreichste Nachrichtenmagazin gemeinsam die größte private Fernsehgruppe kontrollieren könnten, macht gruseln.
Digitalfernsehen
Eine besondere Rolle spielt das Abonnentenfernsehen Premiere. Obwohl hier schon mehr als vier Milliarden Euro verpulvert worden sind, haben die Banken im Juli hundert Millionen nachgeschoben, damit der Sender weitermachen kann. Wie soll man sich das erklären? Premiere ist die einzige ernsthafte Plattform für Bezahlfernsehen in Deutschland. Würde sie wegfallen, fehlte ein wichtiges Glied in der Filmverwertungskette, was weltweit bestens funktioniert.
Zusätzliche Bewegung in den Fernsehmarkt bringt auch die Digitalisierung. Bis 2010 könnte komplett von analog auf digital umgestellt werden, strebt zumindest die Initiative Digitaler Rundfunk (DR) unter Führung der Bundesregierung an. Daran hängen profitträchtige Erwartungen – nicht nur der Industrie für Unterhaltungselektronik, sondern auch der Medienkonzerne. Mit der Digitalisierung würden die Übertragungskapazitäten je Kanal verzehnfacht; die Zahl der möglichen Programme wäre fast unbegrenzt. Die Zuschauer könnten sich z.B. Filme auf Abruf auf den Bildschirm holen, die herkömmlichen Vollprogramme (teuer und lästig) würden an Bedeutung verlieren – und damit endlich auch die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Digitalfernsehen wird die Medienlandschaft genauso stark verändern wie die Einführung des Privatfernsehens vor zwanzig Jahren.
Das heißt aber noch lange nicht, dass Digital-TV das Fernsehen der Zukunft sein wird. Das könnte auch das Internet-Fernsehen werden. Mit dem Unterschied, dass dann ganz neue Betreiber zum Zug kämen. Ob es so kommt und was das dann bedeuten würde, weiß niemand. Auch für andere Mediensparten bringt das Internet Unwägbarkeiten. Die Verleger von Fachzeitschriften beobachten, dass wissenschaftliche Einrichtungen in wachsendem Umfang Abonnements kündigen und sich die Inhalte aus dem Web holen. Medienanalysen zeigen, dass bei jüngeren Menschen das Internet als Informationsquelle wichtiger als die Zeitung geworden ist. Die Musikindustrie (Bertelsmann ist die Nummer drei weltweit) stöhnt über die Internet-Musiktauschbörsen, von denen die Hits illegal, aber kostenlos heruntergeladen werden. Ein Schicksal, das den Filmstudios und den DVD-Verkäufern in gleicher Weise droht. Eine erfolgversprechende Gegenstrategie gibt es nicht.
Übertriebene Klagerufe
Dazu kommt in Deutschland eine drohende Zentralisationswelle bei den Zeitungen. Viele mittlere und kleine Verlage suchen neue Eigner – entweder weil die Verleger die Altersgrenze erreichen und die Kinder keine Lust zum weitermachen haben oder weil schlicht die Reserven zum Überleben in der derzeitigen Werbekrise fehlen. In diesem Jahr sind schon zwei Zeitungen eingestellt und eine aufgekauft worden. Den Einstieg der Großverlage verhindert bisher das Kartellrecht; ob es nach der Wahl dabei bleibt, wird sich zeigen.
Die Verunsicherung der Medienbranche wirkt tief und erfasst alle Sparten. Die aktuelle Werbekrise verstärkt das noch. Zwar dürfte vieles von den Klagerufen der Verlage übertrieben sein, aber dass die Werbeeinnahmen seit Anfang 2001 erheblich gesunken sind, ist unbestreitbar. In den zwei Jahren vorher waren sie allerdings stark gestiegen. Derzeit ist das Niveau von Anfang 1999 wieder erreicht. Viele Konzerne hatten sich an den warmen Regen gewöhnt und haben investiert, als müsste es ewig so bleiben. Ob es sich um eine konjunkturelle oder um eine Strukturkrise handelt, wird sich erst zeigen, wenn die Wirtschaftskonjunktur wieder in Gang kommt. Einiges spricht dafür, dass die künftig zu backenden Brötchen kleiner sein werden.
Das Jahr 2002 ist noch lange nicht zu Ende, aber schon jetzt hat es Machtverschiebungen in allen wichtigen Mediensparten gebracht oder eingeleitet: Zeitungen, Zeitschriften, Buchmarkt, Hörfunk, Fernsehen – Internet sowieso. Anfang des kommenden Jahres wird die deutsche Medienwirtschaft anders aussehen als zwölf Monate vorher. Positiv wird das Ergebnis wahrscheinlich nicht sein, weder für die Arbeitnehmer in der Branche noch für die Kunden.