„Alles, bloß kein Dudelfunk!“

Neues Berliner Ausbildungsradio ist an den Start gegangen

Vom Reporter zum stellvertretenden Chefredakteur in einem halben Jahr – „radioMitte 92 sechs“ trainiert Radiopraxis

„Willkommen bei radioMitte 92 sechs, dem Radio mitten aus dem Leben!“ – voller Elan startet so jeden Freitag eine Stunde vor Mitternacht eine bunte Magazinsendung, ausgestrahlt über das Berliner Kabelnetz. Beiträge aus der Kulturszene, aus Sport und Politik sind hier im meist einstündigen Wechsel ebenso vertreten wie Veranstaltungstipps oder Informationen über die Berliner Wirtschaft. Jung klingen viele der Moderatoren und Moderatorinnen, und sie machen ihre Sache gut, fast perfekt – fast. Denn was hier jeweils bis zum Samstag Mittag übers Kabel läuft, ist kein „normaler“ Sender, sondern Berlins neues Ausbildungsradio.

Seit etwa zwei Monaten ist „radioMitte 92 sechs“ auf Sendung, einer der jüngsten Sprosse der Berliner Radiolandschaft also. Dennoch können die Macher auf knapp ein Dreivierteljahr guter Erfahrungen zurückblicken: Zu Beginn des Jahres startete ein Feldversuch unter der Leitung des Radiojournalisten und -dozenten Dieter Sirozynski. „Viele haben Interesse am Radiomachen“, so seine Erfahrung. „Aber die praktischen Angebote bei den Sendern werden immer weniger – es gibt kaum Möglichkeiten, das Handwerk zu lernen und sich auszuprobieren.“

Ende der Versuchsphase

Um dem ein wenig abzuhelfen, entwickelte er ein Schulungskonzept, trommelte einen Stab von erfahrenen Kollegen zusammen und fand schließlich in einem Kulturzentrum Platz für ein kleines Studio. Getragen wurde das Projekt von der Radiowerkstatt NonProfitRadio (NPR) und der Hörfunkschule Berlin des NPR-Bildungswerkes, Kooperationspartner sind auch jetzt nach dem Ende der Versuchsphase weiterhin der Fachbereich Medien Berlin-Brandenburg in der Gewerkschaft ver.di und der Offene Kanal Berlin (Medienanstalt Berlin-Brandenburg). Über dessen Kabelfrequenz 92,6 MHz strahlen die Mitglieder der gut 30-köpfigen Redaktion als so genannte Drittnutzer ihr Programm aus.

Aus unterschiedlichsten Berufsfeldern

Ganz „wie im richtigen Leben“ gibt es in der Modellredaktion von „radioMitte 92 sechs“ verschiedene Ressorts mit ihren Reportern und der Ressortleitung, mit Programm-CvDs und einer Chefredakteurin. Nur dass viele von ihnen eben keine „gelernten“ Radiomacher sind: Hier ziehen Studenten, Printjournalisten und Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern nach einem Radio-Basiskurs los, um O-Töne einzufangen und sie dann zu Beiträgen zu verarbeiten, sie moderieren die Sendungen und treffen selbst die Musikauswahl. Und innerhalb eines halben Jahres können die Redaktionsmitglieder alle Positionen bis hinauf zum stellvertretenden Chefredakteur durchlaufen – kostenlos angeleitet und unterstützt von Lehrkräften, die alle aus der Praxis kommen.

„Alles, bloß kein Dudelfunk!“ ist das Motto von Manfred Matzke, der sich als Radiokoryphäe mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung im Rundfunkjournalismus um Dozentenauswahl und Ausbildung bei „radioMitte 92 sechs“ kümmert. Er selbst unterrichtet Sprechen und Moderieren, Kolleginnen und Kollegen übernehmen die Technik- oder Audioschnitt-Einführung, vermitteln journalistisches Basiswissen oder erklären die Organisation einer Musikredaktion. Dieses Angebot hat sich schnell herumgesprochen: „Das Interesse ist groß“, sagt Programmdirektor Sirozynski. „Wir sind neben den wenigen anderen Ausbildungsradios in Deutschland Pioniere der Praxisschulungen im Großraum Berlin. Gerade haben wir einen Träger-, Nutzer- und Förderkreis gegründet, um mit dessen Unterstützung den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden.“

Einsteiger sollten „innerlich brennen“

Auch Interessenten, die nicht gleich den kompletten halbjährigen Durchlauf mit seinen Schulungen mitmachen wollen, können hier als „Trainee“ ins Radiomachen hineinschnuppern. Dennoch, eine gewisse Vorstellung vom „idealen“ Einsteiger gibt es schon: „Du musst innerlich brennen: Ich will Radio machen!“ sagt Manfred Matzke mit leuchtenden Augen. Diese Begeisterung scheint sich zu übertragen: „Es macht einfach riesen Spaß, sich zusammen mit anderen auch um Themen zu kümmern, die einem vielleicht fremd waren“ sagen Stephanie Urgast und ihre Kollegin Margrit Hoffmann aus der Kulturredaktion. „Draußen Interviews führen oder Beiträge in Gemeinschaftsarbeit so hinkriegen, dass wir sie dann senden können – das hat einfach was.“Und auch Chefredakteurin Lisa Schäfer schließt sich dem an: „Neben den Fortschritten unserer Redaktionsmitglieder freut mich am meisten, dass wir zu einer sehr dynamischen und dennoch offenen Gruppe zusammen gewachsen sind“ sagt sie. „Radio macht viel Arbeit, klar – aber auch mindestens genauso viel Spaß!“


Informationen über „radioMitte 92 sechs“:
Internet: www.radiomitte.de oder Telefon 030-68 30 20 90.

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