„Exil in Sedan“ von Michael Gaumnitz auf Dokfilm-Festival ausgezeichnet
Es war das elfte Mal, dass eine Jury der IG Medien/ver.di ihren mit 1500 Euro dotierten Preis auf dem renommierten Leipziger Dokumentarfilm-Festival vergab. In seltener Übereinstimmung entschieden sich die sechs Preisrichter für „Exil in Sedan“ des deutsch-französischen Filmemachers Michael Gaumnitz.
Der 55-jährige begibt sich in seinem knapp einstündigen Werk mittels vielfältiger Gestaltungsmittel – originellen computergezeichneten, sich stetig verändernden und komplettierenden Porträts – auf die Suche nach der Wahrheit über seinen längst gestorbenen Vater. Nach 1945 ging der Heimkehrer mit seiner Familie aus dem zerstörten Dresden in das kriegsgeprüfte Sedan, wo er seinen Söhnen ein Teufel, den Einheimischen ein Gott war – und wo ihn niemand nach seiner geheimnisumwitterten Vergangenheit fragte.
Der ungemein aufrichtige und anrührende Film erweist sich nicht nur als ein sehr persönliches Dokument über die immens aktuelle Täter-Opfer-Problematik und über die Versöhnung zweier Völker, sondern auch über die kreativen Folgen eines mühsam verarbeiteten widersprüchlichen Gestern. Gaumnitz, der überdies den Preis der internationalen Filmkritikervereinigung FIPRESCI erhielt, zeigte sich angesichts dieser doppelten Ehrung äußerst bewegt. Er sei froh, gerade in Deutschland, zudem auf dem gewichtigen Leipziger Festival, für seinen Versöhnungsfilm ausgezeichnet zu werden, so Gaumnitz.
Bemerkenswerter Wettbewerb
Die Jury, der ver.di-Kollegen aus dem mitteldeutschen Raum angehörten, betonte in ihrer Entscheidung, dass ihr dieses Urteil nicht leicht gefallen sei – angesichts eines bemerkenswert besetzten Wettbewerbs. In 11 Vorstellungen wurden 16 Dokumentarfilme mit Längen zwischen 12 und 124 Minuten gezeigt, wobei eindeutig die Langmetrage dominierte. Insgesamt hatte das Festival 369 Filme aus aller Welt in seinem sechstägigen Programm, was ihm einen Nachwende-Zuschauerrekord von 20.500 Filminteressierten eintrug.
Gibt es eine thematische Klammer für den dominierenden Dokumentarfilmwettstreit des 45. Leipziger Festivaljahrgangs, so wohl diese: Filmemacher befassen sich zunehmend mit der eigenen Familiengeschichte, erforschen Gewordensein im Strom der Zeitläufe. So spürt die deutsche Regisseurin Katrin-Charlotte Eißing in „Auf demselben Planeten“ verkorkste Geschwister-Eltern-Beziehungen auf. Der Schwede Erik Bäfing nähert sich seinem doppelgesichtigen „Boogie Woogie Daddy“, und der Amerikaner Alex Halpern porträtiert in „Neun gute Zähne“ seine knapp einhundertjährige Großmutter samt ihrem skurrilen Lebenslauf, und ver.di-Preisträger Michael Gaumnitz verändert intensiv miterlebbar in „Exil in Sedan“ durch seine sensibel-rigorose Zeitreise sein eigenes Weltbild. Zu sehen sein dürfte dieses Traktat demnächst bei arte.