Kritik an der Programmpolitik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
„Weiberfilme, Süßholz und Star-TV: Verdrängt das Seichte das Dokumentarische?“ Unter dieser zugespitzten Fragestellung debattierte der „MainzerMedienDisput“ unlängst in Berlin aktuelle Tendenzen im deutschen Fernsehen.
Die aktuelle Mediennews war schon morgens über den Ticker gelaufen: „Gottschalk live“ wird eingestellt! Während Johannes Unger, Leiter Dokumentation und Zeitgeschehen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg von einem „schweren Schlag für die ARD“ sprach, hielt sich die Trauer der übrigen am Disput Beteiligten über diesen programmlichen Verlust in Grenzen. Die wirklich relevanten Themen hatte Mitveranstalter AG DOK vorab unters Publikum gestreut.
„Gegen die Gummiwand der Ignoranz“ so der bezeichnende Titel des Thesenpapiers. Die darin formulierte Kritik an der Programmpolitik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (das Privat-TV gilt in diesem Kontext als irrelevant) ist nicht neu: das elende Quotendenken überlagere Qualitätskriterien, der öffentlich-rechtliche Funktionsauftrag und das gesellschaftliche Informationsbedürfnis träten mehr und mehr in den Hintergrund, „statt dessen dominieren Marketing-Gesichtspunkte und ökonomische Überlegungen“. Die Deutungshoheit der Wirklichkeit gehe allmählich von den Programm-Mitarbeitern auf Betriebswirte, Controller und Technokraten über. Dabei verpflichte die Finanzierung durch die Allgemeinheit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu, „unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage, unabhängig von Einschaltquoten und einer Ausrichtung der Sendungen auf den Publikumsgeschmack“ zu arbeiten, wurde aus dem Kirchhof-Gutachten zitiert, das die Umstellung der geräteabhängigen Rundfunkgebühr auf die neue Haushaltsabgabe begründet. Dasselbe Gutachten, so resümierte zustimmend AG-DOK-Vorsitzender Thomas Frickel, warne vor einer „Erosion der Identifizierbarkeit öffentlich-rechtlicher Programme“, falls diese „zunehmend auf Massenattraktivität ausgerichtet“ würden.
Mit der Definition, was Qualität im Fernsehen meinen könne, tat sich das Podium des „MainzerMedienDisputs“ zunächst schwer. Es gelte, die Unterhaltung nicht auszugrenzen, das „Publikum nicht für blöd zu verkaufen“, frei nach Kant „die Körpersäfte in Wallung zu bringen“, forderte Kerstin Stutterheim, Professorin für AV-Mediendramaturgie/-Ästhetik an der Potsdamer Hochschule für Fernsehen und Film „Konrad Wolf“. Sekundiert von Alice, Agneskirchner, Vizevorsitzende der AG DOK, die sich „Inhalt und Herzblut“ wünschte. „Herzblut“ allein greife zu kurz, urteilte Regisseur Pepe Danquart („Joschka und Herr Fischer“). Er beobachtet bei vielen Kollegen eine Tendenz, die inhaltliche Schere im Kopf schon beim Angebot an die Redaktionen klappern zu lassen, „weil man’s eh nicht durchbekommt“.
Welche Möglichkeiten gibt es, das allseits monierte Kreativitätsvakuum aufzufüllen? Mehr Teamarbeit und „Drehbuch-Input“ wünscht sich Schauspieler Hans-Werner Meyer. Zwar teilt er nicht die pauschale Kritik an „feigen“ Redakteuren. Gleichwohl fordert er, die Position der Autoren aufzuwerten. Dagegen, so der Einwand von SWR-Reporter und Moderator Thomas Leif, spreche aber die Erfahrung, dass nicht selten gute Stoffe und Produktionen „vom Publikum abgestraft“ würden. So geschehen bei der ZDF-Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ oder auch beim ARD-Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf. Beide Qualitätsproduktionen wurden 2010 nach schwacher Quotenentwicklung auf hintere Programmplätze verschoben und später eingestellt. Wo das Publikum im Gegenzug selbst Wiederholungen von Routineproduktionen wie „SoKo Leipzig“ und „Tatort“ mehr Aufmerksamkeit schenkt, gehen Machern wie Kritikern gelegentlich die Argumente aus. Regisseur („Schlachtfeld Politik“) und Produzent Stephan Lamby mag die Quote indes nicht in Bausch und Bogen verteufeln. Es sei schon „wichtig, herauszukriegen, was die Zuschauer interessiert“. Aber die sich daraus ergebenden Chancen würden nicht genutzt. Beispiel Finanzkrise, seit der Pleite von Lehmann Brothers in aller Munde: Warum, so fragte Lamby, werde „der dokumentarische Journalismus nicht als Frühwarnsystem eingesetzt“? Anstatt politische Beiträge zur Lösung relevanter gesellschaftlicher und politischer Fragen zu liefern, werde das Dokumentarische „vom Seichten an den Rand gedrängt“. Ein Verdikt, das von Thomas Leif mit Blick auf den ARD-Montagvorabend unterstützt wurde. Da wimmle es nur so von „Knallern“ wie „Promi-Scheidungen“ oder „Mythos Jogi“. Optimisten, die meinen, nur das Abdrängen sozial relevanter Themen ins Vor-Mitternachts-Programmgetto bringe das Publikum um wertvolle Seh-Erfahrungen, gab TV-Kritikerin Klaudia Wick einen ernüchternden Hinweis auf die Rolle des Fernsehens als „Restzeit-Verwertungsmedium“. Die Zuschauer hätten bereits jetzt die Möglichkeit, die betreffenden Programme zu sehen. Und zwar mindestens eine Woche lang nach der Erstausstrahlung, zeitversetzt in den Mediatheken der Sender. Aber: „Die dort erzielten Quoten sind dieselben.“