Jeder Zweite recherchiert im Internet

Redaktionellen Nutzung von Online-Medien bei Tageszeitungen nimmt zu

113 deutsche Zeitungen sind mittlerweile im Internet präsent (Stand 10. Oktober 1997 laut BDZV) und nahezu wöchentlich kommen weitere hinzu. Die Verleger nutzen also schon kräftig die Online-Medien. Doch wie sieht es bei den Redakteurinnen und Redakteuren aus? Eine neue Studie nennt erste Zahlen.

Die dpa-Tochter NewsAktuell hat im Mai 1997 insgesamt 1010 Fragebögen an Ressortleiter von 151 deutschen Tages-, Kauf- und Wochenzeitungen verschickt. Immerhin 144 kamen ausgefüllt zurück (14,3 Prozent), wobei der Rücklauf aus den Ressorts Politik und Nachrichten sowohl vom Anteil (46%) als auch von der Beteiligungsquote (31%) am größten gewesen ist. Geantwortet haben Ressortleiter von 90 Zeitungstiteln, so daß 60 Prozent der angeschriebenen Zeitungen beteiligt sind.

Mehr als die Hälfte der Ressortleiter geben an, daß sie Online-Medien (Online-Dienste, Datenbanken, Internet sowie Mailboxen) für die redaktionelle Arbeit nutzen (38%) oder bedingt nutzen (20%). 14 Prozent der Journalisten antworteten mit „eher nicht“, was beinhaltet, daß sie Online-Medien zumindest sporadisch einsetzen. 28 Prozent der Redakteure arbeiten zur Zeit überhaupt noch nicht online. Die Bereitschaft zur Online-Nutzung ist noch höher. 94 Prozent würden zukünftig die neue Technik einsetzen oder bedingt einsetzen, nur drei Prozent lehnen dies ab. Wenn diese Zahlen für alle festangestellten Redakteure repräsentativ sind und die Online-Nutzung von den Verlagen gefördert wird, könnten aufgrund der Bereitschaft bald ein Verhältnis wie in den USA erreicht sein, wo nach einer Umfrage unter den Verlegern von allen 1795 Tageszeitungen und von 2000 Zeitschriften Ende letzten Jahres (Rückläuferquote über 17%) schon 87 Prozent der Redakteure einen Internet-Anschluß haben (1995: 63%) und mehr als ein Drittel ihn auch täglich nutzt (Vorwoche: zwei Drittel, im letzten Monat: 85%).

Bei der NewsAktuell-Umfrage in Deutschland haben vor allem Redakteure im Alter zwischan 31 und 40 Jahre (45% der Rückläufe) und zwischen 41 und 50 Jahre (35%) Bereitschaft gezeigt, sich mit Online-Medien auseinanderzusetzen. Der Anteil der bis 30jährigen war mit acht Prozent sehr gering, da wenige Journalisten in diesem Alter bereits Ressortleiterposten einnehmen. Entsprechend der Altersstruktur der derzeit 4,6 Millionen deutschen Online-Nutzer (ab 14 Jahren) unterscheidet sich auch bei den Jounalisten die Nutzung nach Alter: 45 Prozent der Redakteure bis 40 Jahre nutzen Online-Medien bereits, 23 Prozent noch nicht. Bei den über 40jährigen ist das Verhältnis umgekehrt. 32 Prozent gehen online, 33 Prozent nicht.

Interessant sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Ressorts: So nutzen über 50 Prozent der Journalisten in den Ressorts Kultur/Medien und „Vermischtes“ (Auto, Gesundheit, Reise, Forschung) Online-Medien für ihre redaktionelle Arbeit, bei „Vermischtes“ inklusive der bedingten Nutzung sogar 76 Prozent. Die Bereiche Politik/Nachrichten und Wirtschaft/Umwelt arbeiten hingegen nur 34 bzw. 21 Prozent bereits heute mit der neuen Technik. Bei Wirtschaft / Umwelt nehmen die negativen Antworten (37% nein, 19% eher nicht) sogar über die Hälfte der Stimmen ein. Die Autoren der Studie führen den Unterschied darauf zurück, daß Politik und Wirtschaft mit den Nachrichtendiensten über fest etablierte Informationskanäle verfügen, während Meldungen für die Bereiche „Vermischtes“ und Kultur/Medien auf anderen Wegen in die Redaktionen gelangen.

Für 48 Prozent der Journalisten sind Online-Medien bereits heute eine wichtige Informationsquelle, bedingt für weitere 35 Prozent. Zukünftig erwarten dies 77, bedingt 21 Prozent. Nur fünf Prozent der Redakteure beurteilen allerdings die Qualität des Informationsangebotes gegenwärtig als hoch, 37 Prozent als ausreichend. Mehr als die Hälfte findet sie zur Zeit eher mäßig bis gering. Für die Zukunft jedoch erwarten 50 Prozent eine hohe und 44 Prozent eine ausreichende Qualität.

Das Internet hat mit 54 Prozent der befragten Redakteure die zur Zeit meisten Nutzer. 42 Prozent der Journalisten, die heute noch keinen Internet zugang haben, wollen es zukünftig für ihre Arbeit nutzen. E-Mails werden momentan von knapp der Hälfte verschickt. 44 Prozent der Redakteure ohne Mailbox wollen diese Möglichkeit in Zukunft nutzen. In kommerzielle Online-Dienste wählen sich momentan 36 Prozent der Befragten ein. 29 Prozent planen dies. Der Ge- brauch von Online-Datenbanken scheint hingegen noch nicht weit verbreitet zu sein. Über die Häfte machte zu diesem Punkt keine Angaben. Nur 15 Prozent nutzen Online-Archive und 31 Prozent planen dies für die Zukunft.

Für Recherchezwecke gehen 45 Prozent der Redakteure online, 22 Prozent hoffen, Ideen für neue Themen zu finden, 21 Prozent kommunizieren mit Hilfe des Internets und 10 Prozent geben an, sich über das Internet weiterzubilden. Von den wenigen Redakteuren, die Online-Datenbanken zur Zeit nutzen, recherchieren 90 Prozent in den elektronischen Archiven, während 10 Prozent nach Themen suchen.

Daß die Online-Recherche in Zukunft für die journalistische Arbeit immer wichtiger wird, ist unter den Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zukunft unbestritten. Welchen Stellenwert sie heute einnimmt, will ein Forschungsprojekt des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund untersuchen, das gegenwärtig von Heinz-Otto Hoppe durchgeführt wird. Um Mithilfe der „Rechercheure im Cyberspace“ wird gebeten! Verdrängen wird sie herkömmliche Recherchemethoden wohl nicht, zumal der Wahrheitsgehalt von Quellen im Internet auch nicht höher ist als anderswo. Nach der US-Umfrage jedenfalls sind persönliche und Telefongespräche noch die wichtigeren Informationsmittel.

 


Redaktionelle Nutzung von Online-Medien bei Tageszeitungen,

NewsAktuell-Studie von Jens Peterson und Frank Stadthoewer.
Hamburg, August 1997, Zusendung nur per
eMail: info@newsaktuell.de

Media in in Cyberspace – 3rd Annual,
Studie von Professor Steven S. Ross (Columbia University´s Graduate School of Journalism) und Don Middleberg (Chef einer New Yorker Werbeagentur), veröffentlicht am 19. Februar 1997 im Internet unter http://www.media scource.com/study/cont.htm

Rechercheure im Cyberspace, Forschungsprojekt von Heinz-Otto Hoppe am Institut für Journalistik der Universität Dortmund.

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