In Ländern, die dem Whistleblower Edward Snowden Schutz anbieten, steht es um die Pressefreiheit eher schlecht
Seine Enthüllungen über die Ausspähaktionen der britischen und amerikanischen Geheimdienste haben für Empörung und heftige Diskussionen gesorgt. Für Demokraten gäbe es also allen Grund, dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Zuflucht anzubieten. Doch weit gefehlt: Mit Schutz kann Edward Snowden wohl nur in einigen wenigen Ländern rechnen. Und die haben eine mehr als durchwachsene Bilanz in Sachen Presse- und Informationsfreiheit.
Für die USA ist der Fall völlig klar. Edward Snowden hat Geheimnisverrat begangen. Und dafür soll er bestraft werden – genauso wie Wikileaks-Informant Bradley Manning, der Ende Juli verurteilt wurde. Oder wie Wikileaks-Chef Julian Assange, dem man den Prozess machen möchte, der aber in London in die Botschaft von Ecuador geflüchtet ist. Konsequent setzen die USA Länder unter Druck, die unter Umständen bereit sein könnten, Assange oder auch Snowden Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Die USA, die in ihren Außenbeziehungen sonst die Meinungs- und Pressefreiheit als unantastbar bezeichnen, höhlen genau diese Werte aus. Das Urteil gegen Manning löste deutliche Kritik aus: Amnesty International und Reporter ohne Grenzen (ROG) sprachen beispielsweise von einem gezielten Vorgehen der USA gegen den investigativen Journalismus.
Die Informationen, die Edward Snowden über Ausspähprogramme wie Prism in den USA und Tempora in Großbritannien lieferte, stießen in Europa auf ein riesiges Interesse. Millionenfaches Ausspähen von Telefonaten und E-Mails, das Abhören von Büros der EU: Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Parlamentspräsident Martin Schulz forderten umgehend Aufklärung. Doch getreu nach dem Motto: „Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter“ wurden die persönlichen Hilfeschreie des Informanten Edward Snowden nicht beachtet oder abschlägig beschieden. Asyl oder Schutz für den von den USA Gejagten – aber doch nicht bei uns, hieß es übereinstimmend aus Berlin, Brüssel oder Rom. Menschenrechtler kritisieren das: „Schließlich hat Snowden eine ganz wichtige Debatte für die Pressefreiheit angestoßen“, meint etwa Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen.
Asyl in Russland
Snowden war im Juni zunächst nach Hongkong geflüchtet, flog dann weiter nach Moskau. Dort saß er wochenlang im Transitbereich eines Flughafens fest und suchte ein Land, das ihm Schutz gewährt. Kein einfaches Unterfangen, denn alle mit den USA befreundeten Länder, darunter die kompletten EU-Staaten winkten schnell ab. Positive Signale kamen aus Venezuela, Nicaragua und Bolivien. Auch Russlands Präsident Vladimir Putin bot Snowden vorläufiges politisches Asyl an, das er am 1. August erhielt, so dass er zunächst ein Jahr in Russland bleiben kann. „Auch weil Europa sich weigert, gerät Snowden an die falschen Freunde“, beklagt Mihr. „Staaten wie Russland oder Venezuela geht es nicht um die globale Pressefreiheit – ansonsten könnten sie erst einmal ihre eigenen Defizite in dem Bereich angehen. Solange sie das nicht tun, bleibt am Engagement für Snowden ein schaler Beigeschmack hängen.“
Der Whistleblower hat sich dafür entschieden, vorläufig in Russland zu bleiben. In einem Land, das seine Kritiker nicht nur überwacht, sondern systematisch Repressalien gegen Oppositionelle ausübt. Langjährige Haftstrafen gegen Kreml-Kritiker wie Alexei Nawalny oder Michail Chodorkowski wurden mit Hilfe fadenscheiniger Anklagen verhängt. Unliebsame Medien werden an den Rand gedrängt. Morde an Journalisten, wie der an Anna Politkowskaja aus dem Jahr 2006, sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Die Kontrolle des Internets wurde in den vergangenen Monaten erheblich verschärft. Foren und Blogs können ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden. Auch Enthüllungsberichte stellt ein neues Gesetz unter bestimmten Bedingungen unter Strafe. Spätestens hier müsste Snowden Bauchschmerzen über sein Gastland bekommen. Was wäre eigentlich, wenn er in Russland Ausspähaktionen des russischen Geheimdienstes bekannt machte? „Whistleblower werden in Russland nicht akzeptiert“, sagt Mihr: „Das sieht man drastisch am Fall des Rechtsanwalts Sergej Magnitskij, der vier Jahre nach seinem Tod in der Untersuchungshaft posthum verurteilt wurde.“ Magnitskij hatte Fälle von Steuerbetrug und Korruption aufgedeckt.
In Venezuela, Bolivien und Nicaragua – diese Staaten haben Snowden Asyl angeboten – bekommt man ebenfalls Probleme, wenn man unliebsame Informationen an die Öffentlichkeit bringt. Christian Mihr: „In Lateinamerika ist Whistleblowing wichtig im Kampf gegen Korruption. Doch in vielen Ländern kennen wir Fälle, in denen Informanten beschuldigt werden, die nationale Sache zu verraten“. Snowdens potenzielle Gaststaaten gefallen sich in der Rolle als Gegenspieler der USA, und da mimen sie gern mal den Verteidiger der internationalen Pressefreiheit.
Bedroht und diffamiert
Im Alltag sind sie es leider nicht, genauso wenig wie Ecuador und Kuba, die ebenfalls als mögliche Ziele Snowdens im Gespräch sind. „Vor allem in Venezuela könnten einheimische Journalisten Schutz gut gebrauchen“, betont Christian Mihr. „Viele von ihnen sind wegen ihrer Arbeit großen Gefahren ausgesetzt“. Die staatlichen und die privaten Medien stehen sich unversöhnlich gegenüber. „Besonders in Phasen politischer Spannung werden Journalisten und Blogger immer wieder bedroht oder diffamiert, weil man ihre Medien dem einen oder anderen politischen Lager zuordnet. So klagten im Wahlkampf Anfang des Jahres Journalisten oppositioneller wie staatlicher Medien über Hass- und Beleidigungskampagnen in sozialen Netzwerken“, konstatiert Mihr. Gewaltsame Angriffe auf Journalisten musste die Organisation vor der Wahl fast wöchentlich dokumentieren. Regierungskritische Medien geraten häufiger ins Visier der Strafverfolger als staatliche Medien, obwohl beide Seiten verbal kräftig austeilen. Den privaten Medien wird zudem laut ROG in jüngster Zeit zunehmend der Zugang zu offiziellen Informationen verwehrt – bis hin zu einem Ausschluss von Pressekonferenzen.
In Bolivien und Nicaragua ist die Situation durchaus ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. „Die Länder sind kleiner und stehen deshalb nicht so im Focus“, betont Mihr. Doch auch dort bekämpfen sich regierungsnahe und regierungskritische Medien – bis hin zu Drohungen und Anschlägen auf Redaktionen. In der Beurteilung von ROG schneiden Bolivien etwas und Nicaragua wesentlich besser ab als Venezuela (s. Kasten). In Bolivien beklagt ROG vor allem, dass ein Gesetz, das Ureinwohner vor Rassismus schützen soll, dafür missbraucht wird, gegen unliebsame Medien vorzugehen. Aus Nicaragua dokumentiert die Organisation immer wieder Fälle, in denen mit dem Strafgesetz gegen Journalisten vorgegangen wird. Ob Edward Snowden sich in einem dieser Staaten wohlfühlen würde? Alternativen sind nach derzeitigem Stand allerdings kaum vorhanden – dank der Doppelmoral, die die Protagonisten in fast allen betroffenen Ländern an den Tag legen.
Rangliste der Pressefreiheit
Jedes Jahr veröffentlicht ROG eine Rangliste der Pressefreiheit. Die betroffenen Länder findet man in der aktuellen Liste von 2013 auf diesen Plätzen:
32 USA
78 Nicaragua
109 Bolivien
117 Venezuela
148 Russland
Die in der Liste führenden (also die Pressefreiheit vorbildlich hochhaltenden) Länder Finnland, Niederlande und Norwegen haben Snowden keine Zuflucht angeboten.
Die drei Staaten – haben – wie übrigens auch Deutschland – formal erklärt, ein Asylantrag könne nur im Land selbst oder an der Grenze gestellt werden.