Mexiko: Stipendium als Wendepunkt

Vania Pigeonutt in Berlin, drei Jahre nachdem sie als erschöpfte Journalistin hier ankam. Foto: Knut Henkel

Mit einem Stipendium kam die Journalistin Vania Pigeonutt vor drei Jahren nach Berlin. Kurz vor dem Burn-Out, als eine Art hyperventilierendes Nervenbündel, traf die Mexikanerin aus dem Bundesstaat Guerrero bei Reporter ohne Grenzen ein. Heute hilft sie Kolleg*innen aus anderen Ländern, aber auch aus Mexiko, beim Start in einen neuen Alltag.

Interviews in Deutsch will Vania Pigeonutt noch nicht geben, aber lange wird es nicht mehr dauern. „Ich fühle mich sicherer, wenn jemand bei mir ist, die oder der beide Sprachen spricht und helfen kann“, erklärt die mexikanische Journalistin und streicht sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht. Fortgeschrittene deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 hat sie und feilt in Kursen weiter an ihren Problemen mit dem Dativ und den anderen Fällen.

Derzeit muss die 37-Jährige im Rahmen ihrer Arbeit für die taz Panther Stiftung und hin und wieder auch für Reporter ohne Grenzen mehr und mehr Deutsch sprechen. „Ich betreue derzeit Kolleg*innen, die so wie ich damals, in Berlin mit einem Stipendium ankommen, um ein halbes Jahr Luft zu holen. Aus Indien, aus Burundi, aber auch aus Ecuador oder Mexiko“, erklärt die Journalistin.

Risikoreiche Kontaktarbeit

Im April 2022 hatte Pigeonutt den Bundesstaat Guerrero verlassen, in dessen Hauptstadt Chilpancingo sie für das von ihr mitgegründete Nachrichtenportal „Amapola“ arbeitete. Den Namen „Amapola“, das spanische Wort für Schlafmohn, hatten die jungen Journalist*innen damals aus Ironie gewählt, denn auf den Bundesstaat Guerrero entfiel damals mehr als die Hälfte der Heroin-Produktion Mexikos.

Internationale Journalist*innen kamen, um über Anbau und Drogenschmuggel zu berichten. Vania Pigeonutt vermittelte damals für sie Kontakte, führte sie in die Gemeinden, koordinierte, übersetzte und transkribierte Interviews. Oft ging sie hohe Risiken ein, lebte damals vor allem von den dabei erhaltenen Honoraren. Bis sie sich auf das Stipendium bewarb.

„Als ich im Frühling 2022 in Berlin ankam, musste ich erst einmal lernen, runter zu kommen, aus dem Hamsterrad der täglichen Produktion von mehreren Artikeln und der kontinuierlichen Aktualisierung von Statistiken zu Menschenrechtsverletzungen auszubrechen. Ich stand kurz vor dem Burn Out“, erinnert sich Pigeonutt.

Mord an Journalist*innen

Sie ist zwischen Guerrero, einem der drei ärmsten und gefährlichsten Bundesstaaten Mexikos, und der Hauptstadt Mexico City aufgewachsen. Zwölf Jahre hat sie als Journalistin vorwiegend aus Chilpancingo, der Hauptstadt des Bundesstaates Guerreo berichtet – vorwiegend als Polizeireporterin und investigative Journalistin.

Immer wieder hat sie in dieser Zeit auch gegen die Ermordung von Journalist*innen protestiert, hat 2018 mit einer Handvoll Kolleg*innen eine Homepage erstellt, auf der Biographien von etwa 70 der mindestens 174 seit dem Jahr 2000 ermordeten Journalist*innen Mexikos zu finden sind, um an sie und ihre Arbeit zu erinnern.

Erinnerungsarbeit und Unterstützung

Den Opfern ein Gesicht zu geben, darum geht es ihr. Daran hat sich auch in Deutschland, dem „Land der Erinnerung“, nichts geändert. „Ich kenne kein Land, wo es eine vergleichbare Erinnerungskultur gibt, nehmen Sie zum Beispiel die Stolpersteine“, sagt Pigeonutt, die derzeit mit zwei mexikanischen Kolleg*innen im europäischen Exil an einem Podcast zu Journalismus und Erinnerung arbeitet.

Das Gros ihrer Zeit verbringt sie damit, Stipendiat*innen der taz Panther Stiftung und von Reporter ohne Grenzen zu betreuen, ihnen Berlin näherzubringen, technische Probleme zu lösen, genauso wie Kontakte herzustellen. „Das dauert, ich habe auch lange gebraucht, bis ich mich in der U-Bahn und im öffentlichen Nahverkehr orientiert hatte“, erzählt sie. „Und bis ich begriffen hatte, dass ich selbst um ein Uhr nachts mit dem Mobiltelefon in der Hand in Berlin nicht automatisch gefährdet bin. Das genieße ich heute“, fügt Pigeonutt hinzu und ordnet nebenbei ein paar Unterlagen, die sie für den mexikanischen Kollegen, Heriberto Paredes Coronel, zusammengestellt hat.

Er ist einer der aktuellen Stipendiaten und mit ihm ist die Kommunikation einfacher als mit der Journalistin aus Weißrussland. Mit der spricht Pigeonutt Englisch, die Sprache, in der sie vor ein paar Jahren internationale Kolleg*innen durch Guerrero führte. Doch das ist vorbei und vorerst wird Vania Pigeonutt in Berlin bleiben – mit einem Visum für freie Journalist*innen.

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