Gedungene Mörder

Kolumbien ist nach wie vor gefährlich für Journalisten

Kolumbien gehört zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten. Jedes Jahr sterben durchschnittlich vier Reporter, weitere verlassen wegen massiver Bedrohungen ihr Land. Dazu kommen oftmals katastrophale Arbeitsbedingungen in den Redaktionen, kritisieren Medienorganisationen wie „Medien für den Frieden.“

Vor einigen Jahren wollte Francisco Santos eine Lebensversicherung bei einer europäischen Gesellschaft abschließen. Santos war sehr überrascht, dass das Versicherungsunternehmen seine Anfrage abschlägig beschied. Doch der heutige Vizepräsident Kolumbiens und ehemalige Direktor von El Tiempo, der einzigen überregionalen Tageszeitung Kolumbiens, hatte seinen Beruf angegeben. Ein Fehler, wie Santos lächelnd zugibt, wenn er die kleine Anekdote preisgibt. Das Versicherungsunternehmen hatte recherchiert und herausbekommen, was für Francisco Santos recht vertraute Realität ist: Kolumbien zählt seit rund zwanzig Jahren zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten. Daran hat sich trotz der vermeintlichen Erfolge der Regierung von Álvaro Uribe, allen voran der Demobilisierung der Paramilitärs, wenig geändert, so Carlos Cortés Castillo, Präsident der kolumbianischen Stiftung für die Pressefreiheit (Flip).
Atilano Pérez war das bisher letzte Opfer. Der Radiojournalist wurde Ende August vor seiner Haustür in Cartagena mit zwei Schüssen niedergestreckt – typisch für einen Auftragsmord. Sicarios werden diese gedungenen Mörder in Kolumbien genannt und nicht nur in großen Städten wie Cali oder Medellín kann man sie telefonisch bestellen. „Doch es sind die ländlichen Regionen, wo das Risiko für Journalisten am Höchsten ist“, erklärt Cortés. 103 Angriffe auf die Pressefreiheit hat seine Organisation 2005 dokumentiert und in diesem Jahr lagen die Zahlen nach dem ersten Halbjahr 2006 deutlich höher als im Vorjahreszeitraum. Besonders schlimm ist die Situation im Bundesstaat Sucre, der im Nordosten des Landes liegt.
„Hier ist der Einfluss der Paramilitärs besonders groß. Und wie weit deren Arm reicht zeigt die Tatsache, dass die Live-Übertragung einer Parlamentsversammlung im Fernsehen unterbrochen wurde, als ein Vertreter der Opposition Stellung beziehen wollte“, schildert der jugendlich wirkende Flip-Präsident. Das Beispiel Sucre ist derzeit in Kolumbien in aller Munde, denn seitdem die Polizei den Laptop von „Jorge 40“, einem Comandantes der Paramilitärs, in die Hände bekam und die E-Mails auswertete, sind eine ganze Reihe von Politikern ins Schwitzen gekommen. Nachdem gegen die Senatoren Álvaro García Romero und Jairo Enrique Merlano, ein Bruder des Bürgermeisters der Provinzhauptstadt von Sucre, Sincelejo, sowie den Abgeordneten des Parlaments, Erick Morris Taboada, bereits Anfang November Haftbefehl erlassen worden war, folgten Mitte November weitere. Ein ehemaliger Abgeordneter, Muriel de Jesús Benito, und der ehemalige Chef des Geheimdienstes DAS müssen sich verantworten – wegen Kollaboration mit den Paramilitärs. Die sind nicht nur in Sucre weiterhin aktiv, sondern auch in anderen Landesteilen, so der bekannte Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe. In Sincelejo sorgten sie jedoch dafür, dass die Ausgabe vom 3. Oktober des „El Meridiano de Sucre“ nahezu komplett von der Bildfläche verschwand. Sie wurde einfach aufgekauft. Folglich konnte kaum jemand lesen, dass in dem E-Mail-Verzeichnis des schon erwähnten „Jorge 40“ zahlreiche Parlamentarier aus der Region auftauchten. Berichtet hatte die Redakteurin Olga Brú Polo, die Anfang November gleich mehrere Drohanrufe erhielt. Die aufgrund der Verhaftungen derzeit in Kolumbien Schlagzeilen machende Situation in Sucre ist jedoch nur ein Beispiel für die risikoreiche Arbeit der Kollegen in den ländlichen Regionen. 2004 war es das an Venezuela grenzende Departamento von Cucutá, das als extrem gefährlich galt, davor war es Araucá. Aber auch Huila und der Chocó gelten als Risikoregionen.
Der Staat, so Flip-Präsident Cortés, schaut dabei mehr oder minder untätig zu. „Zwar gibt es ein staatliches Schutzprogramm für gefährdete Journalisten, aber kaum ein Mord an Journalisten ist je aufgeklärt worden. De facto herrscht Straflosigkeit, Journalisten sind quasi Freiwild“. Und immer wieder hat es Politiker wie Julio Gallardo Archbold gegeben, die missliebige Journalisten bedrohten: „Es gibt einige Journalisten, die an moralische Killer erinnern. Sie können sogar gefährlicher sein als die Herren, die mit Motorsägen spazieren gehen“. Mit dem letzten Satz sind die Paramilitärs gemeint, die mehrere Massaker mit Motorsägen verübten. Angesichts derartiger Drohungen ziehen Journalisten auch mal den Kopf ein. Ein Phänomen, das der Stiftung für die Pressefreiheit (Flip) genauso wenig fremd ist wie Marisol Manrique von „Medien für den Frieden“. Die Journalistenorganisation arbeitet stärker auf regionaler Ebene. Weiterbildungsseminare zu besonders brenzligen Themen wie die Vertreibung von Menschen aus den Regionen, Korruption oder dem bewaffneten Konflikt gehören genauso dazu wie die Kontaktaufnahme zu den Herausgebern und Medienbesitzern, um die Arbeitsbedingungen der Kollegen zu verbessern. Nur punktuell konnte dabei einiges erreicht werden.

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