Kritische Anmerkungen zum Journalismus von heute
von Klaus Bednarz
Es ist fast 150 Jahre her, da schrieb Gustav Freytag – damals gleichermaßen angesehen als Politiker und Literat – über unseren Berufsstand, den Journalismus: „alle Welt klagt über ihn – und jedermann möchte ihn für sich benutzen.“
An der Geltung dieses Satzes, so scheint mir, hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Jeder, der Macht hat in unserem Land, fast jeder, möchte den Journalismus für sich benutzen. Und jeder, fast jeder, dem dies nicht gelingt, oder der aus anderen Gründen Anstoß nimmt, klagt über ihn. Dabei soll hier nicht die Rede sein von einem deutschen Außenminister, der Journalisten als „5-Marks-Nutten“ beschimpft.
Dieser Vorwurf fällt auf ihn selbst zurück. ist er selbst doch einer der – um in seiner Sprache zu bleiben – eifrigsten Freier auf diesem Feld. Die Rede soll aber heute auch nicht von dem sein, dessen sich unser Berufsstand nur allzu häufig und zuweilen sogar durchaus zu Recht rühmt von Flick bis zum Koffer des Herrn Kiep, von den „Streiflichtern“ und der dritten Seite, den Sternstunden der Auslandsreportagen und kritischen Dokumentationen, den couragierten Kolleginnen und Kollegen, denen mit Wächter- und anderen Preisen wohlverdiente und dennoch häufig nur unzureichende Anerkennung zuteil wird.
Die Rede soll vielmehr von dem sein, was unseren Berufsstand in den Augen vieler zunehmend zweifelhaft, angreifbar erscheinen lässt. Von der offenkundigen, um sich greifenden Verluderung der journalistischen Sitten, von dem, was in unseren eigenen Reihen nicht in Ordnung ist.
Sebnitz – ein Symptom, ein Signal
Sebnitz war – auch wenn es andere jetzt anders darstellen mögen – kein Betriebsunfall, kein „Störfall im Mediensystem“, sondern die Spitze des Eisbergs, ein Symptom, Signal.
Sicher, es hat auch hier bedächtige Stimmen gegeben, Redaktionen, die sich streng an die Regeln des journalistischen Handwerks hielten – aber nicht sie haben das öffentliche Meinungsbild dominiert. Sensationshascherei, Quoten- und Auflagengeilheit, sind Vorwürfe, die uns immer wieder gemacht werden. Und sie werden uns, nicht immer, wohl aber häufig, zu Recht gemacht.
Es ist schließlich eine unbestreitbare Tatsache, dass
- im Hörfunk, Fernsehen und auch bei den Printmedien immer weniger recherchiert wird,
- der Anteil originärer, investigativer journalistischer Eigenleistungen im aktuellen Tagesgeschäft – und nicht nur dort – immer geringer wird,
- Chefredakteure und Verlagschefs, vor allem kleinerer Häuser, Recherchen immer häufiger bremsen, da sie kostspielige Klagen oder unliebsame politische, sprich unternehmenspolitische Folgen fürchten.
Zeitdruck und Sparzwang
Wachsender Zeitdruck und zunehmender Sparzwang sind die am häufigsten genannte Gründe für das Verkümmern der journalistischen Eigenrecherche. Gründe, die angesichts der immer schneller werdenden Kommunikationstechnologien, der immer enger kalkulierten Redaktions-Etats und des immer schärfer werdenden journalistischen Konkurrenzkampfes nicht von der Hand zu weisen sind.
Aber ich wage einmal – aus eigener Erfahrung -, die Behauptung, dass es nicht selten auch die pure Bequemlichkeit ist, die sprich-wörtliche Angst, sich eine Story durch die Recherche kaputtmachen zu lassen, der blanke Zynismus, der zwar lauthals die Fakten, Fakten, Fakten beschwört, in Wahrheit aber nur auf das aus ist, was man den „Knüller“ nennt. Oder es ist die schlichte handwerkliche Unfähigkeit, die das Recherchieren zunehmend zur Ausnahme im journalistischen Alltag werden lässt. Das Fach „Recherche“, das eigentliche Hauptfach unseres Berufs, wird an manchen Universitäten und Journalistenschulen schließlich nur am Rande gelehrt.
Ebenso wie der Grundsatz, dass auch im elektronischen Zeitalter Bedächtigkeit eine journalistische Tugend ist. Nicht Schnelligkeit sollte Trumpf sein in unserem Beruf, sondern Zuverlässigkeit. Dazu gehört auch der Mut, vielleicht häufiger, als dies in der Praxis geschieht, eine Nachricht, eine Story, die nicht ganz zweifelsfrei scheint, liegen zu lassen.
Die eigene Korrumpierbarkeit
Zu den Fragen, die wir uns stellen müssen, gehört auch die Frage nach unserer Korrumpierbarkeit, im materiellen wie immateriellen Sinn. Ist es ein Zufall, dass die Internet-Homepage „www.journalismus. com“ für sich mit der Schlagzeile wirbt: „300 Presserabatte“? Und dies ausgerechnet in der Hauszeitschrift der IG Medien. Ist es ernsthaft zu bestreiten,
- dass der Journalismus, zumindest in weiten Teilen, immer mehr zu einer – wie es Luc Jochimsen unlängst formuliert hat – „nachfrageorientierten Dienstleistung zur Mobilmachung großer Kaufkraftgruppen“ wird?
- dass die Grenzen zwischen Journalismus und PR immer fließender werden,
- dass das, was den Zuschauerinnen und Zuschauern als „Service“ angeboten wird, selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien häufig nichts anderes ist, als mehr oder weniger versteckte Werbung?
Ganz zu schweigen vom Product-Placement, der Undercover-PR und all den anderen Formen der offenen oder stillen, schleichenden Korrumpierung der Medien. Gewiss, zuweilen noch wird versucht, Barrieren aufzubauen. Aber stemmen sich – zumindest – die öffentlich-rechtlichen Medien mit der gebotenen Entschiedenheit gegen diese Tendenz? Und wie soll bei der heranwachsenden Journalistengeneration dafür Sensibilität geweckt werden, wenn selbst die Volontäre einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit Hinweis auf den gerade wieder gekürzten Redaktions-Etat aufgefordert werden, sich von dem Veranstalter eines bestimmten Ereignisses, über das berichtet werden soll, einladen zu lassen, um Reise- und Hotelkosten zu sparen?
Über die neuesten technischen Entwicklungen, den Umgang mit immer raffinierter, schneller und leistungsfähiger werdenden Nachrichtenübermittlungs- und Verteilsystemen werden die angehenden Journalistinnen und Journalisten ausführlich unterrichtet. Und das ist gut so. Doch „Medienethik“ und „Journalistische Verantwortung“ scheinen in vielen journalistischen Ausbildungszweigen überhaupt nicht oder allenfalls als lästige Alibi-Veranstaltungen vorzukommen.
Wie auch. Scheint doch das Desinteresse derer, die dafür zumindest Mitverantwortung tragen, offenkundig: Zu einem im Februar dieses Jahres beispielsweise vom Südwestrundfunk in Mainz veranstalteten Symposium über „Medienethik in den USA und Deutschland“ war – trotz Einladung – nicht ein einziger Verleger erschienen. Und ausgerechnet im Jubiläumsheft zum 50. Geburtstag der dju wird von Margret Lünenborg und anderen in der Bildungsarbeit tätigen Gewerkschaftsmitgliedern beklagt, dass – so wörtlich – auch von der IG Medien „keine wahrnehmbaren Impulse in Sachen qualifizierte Aus- und Fortbildung für Journalistinnen und Journalisten ausgehen“. Ich weiß, der Widerspruch ist vorbereitet, aber ein bisschen Selbstkritik würde auch einer Gewerkschaft nicht schaden.
Verschobene Parameter: Verhältnis von Journalismus und Politik
Jeder Berufsstand allerdings kann nur so gut funktionieren, wie es die gesamtgesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erlauben. Und hier, so scheint mir, haben sich in den vergangenen Jahren die Parameter im Verhältnis von Politik und Journalismus, aber auch von Wirtschaft und Journalismus zunehmend verschoben.
Medienpolitik des Staates und der Parteien wird immer mehr zur reinen Standortpolitik.
Und die Medialisierung des Politikbetriebs, Stichwort „Medienkanzler“, für die wir allerdings die Plattform bieten, diese Medialisierung des Politikbetriebs, führt in verstärktem Maße dazu, dass die Politik Inhalte durch Symbole bzw. Symbolhandlungen ersetzt, die Berichterstattung entpolitisiert wird. In der Praxis beobachten wir, dass sich Politikerinnen und Politiker, insbesondere im Ministerrang, der klassischen politischen Berichterstattung in den als kritisch geltenden Sendungen des Fernsehens entziehen – Interviewabsagen oder höfische Interviewbedingungen wie „1:1-Garantien“ sind hier, anders als noch zu Zeiten des seligen Franz-Josef Strauß, die Regel.
Statt dessen sucht sich die Politik vornehmlich in Talkshows ihr eigenes Forum und findet es – Journalismus als Präsentationsfläche statt kritischem Korrektiv. Und wenn die Vorsitzende einer großen Volkspartei verlangt, dass ein ihr unliebsamer Journalist aus einer Diskussionssendung wieder ausgeladen wird – mit der Begründung, sie wolle ein „politisches und kein journalistisches Gespräch“ führen und sich die Redaktion eines öffentlich-rechtlichen Senders dieser Forderung beugt, so spricht dies – scheint mir – Bände. Für beide Seiten.
Journalisten, da hat Sonia Mikich offensichtlich recht, verstehen sich „mehr und mehr als Teilhaber der politischen Eliten“ statt als deren öffentliche Kontrolleure. Dabei ist es unsere Aufgabe, den Mächtigen unbequem zu sein, Dinge transparent zu machen, an deren Undurchsichtigkeit manchen, aus welchen Gründen auch immer, gelegen ist.
Doch um eben dieser Aufgabe gerecht werden zu können, sind wir – paradoxerweise – auf die Hilfe der Mächtigen angewiesen. Auf ihre Bereitschaft, sich auch der kritischen journalistischen Öffentlichkeit zu stellen, und die Bedingungen für die Herstellung jener Transparenz zu schaffen, auf die die Bürgerinnen und Bürger in einer funktionierenden Demokratie ein Recht haben.
Informationsanspruch der Medien
In den USA gibt es seit 1966 einen gesetzlich genau festgelegten Informationsanspruch der Medien, den „Freedom of Information Act“, ein Gesetz, das jedem Bürger Einsicht in staatliche Akten garantiert und dessen Wirkung weit über die Grenzen Amerikas hinausreicht. Für eine Redaktion wie „Monitor“ etwa bedeutet es, dass ein Thema in den USA in der Regel leichter zu recherchieren ist als im eigenen Land, sogar die journalistische Kooperationsbereitschaft des Pentagon nicht selten ausgeprägter ist als die des Bundesverteidigungsministeriums. Und nur am Rande sei erwähnt, dass fast alle Träger des amerikanischen Pulitzer-Preises, des weltweit wohl renommiertesten Journalisten-Preises, von diesem gesetzlich geregelten Zugangsrecht zu behördlichen Datensammlungen profitiert haben und profitieren.
Drei deutsche Bundesländer – Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein – haben inzwischen ein, mit Einschränkungen, ähnliches Gesetz verabschiedet. Und auch die rot-grüne Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 die Einführung eines „Informationsfreiheitsgesetzes“ versprochen. Allerdings gibt es hierfür nur einen bislang geheim gehaltenen Referentenentwurf des Bundesinnen-ministeriums, der in wesentlichen Teilen weit hinter dem amerikanischen Vorbild zurückbleibt, und einen Abruf der Verwaltungsinformationen über das Internet – wie in den USA – überhaupt nicht vorsieht.
Im Bereich der für uns Journalisten so wichtigen Rechtspolitik waren in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung Verbesserungen beim Zeugnisverweigerungsrechht für Journalisten und beim Urheberrecht versprochen worden. Beide Gesetzesvorhaben sind inzwischen im Bundesjustizministerium auf den Weg gebracht. Doch gerade das für viele der oft unter unsäglichen Bedingungen arbeitenden freien Mitarbeiter so wichtige neue Urheberrecht soll nun wieder – durch mächtige Lobbyarbeit einer in diesem Fall „unheiligen Allianz“ von Verlegern und Intendanten – verwässert werden.
Unser dringender Appell, Frau Ministerin, in dieser Frage: Bleiben Sie hart! Nicht wenige der freien Kolleginnen und Kollegen in den Printmedien wie in den elektronischen Medien – Urheber, Autoren, Künstler – sind gezwungen, am Rande der Ausbeutung und Selbstausbeutung zu arbeiten. Eine gesetzlich gesicherte Verbesserung ihrer urheberrechtlichen Position wäre nicht nur ein Stück sozialer Gerechtigkeit, sondern ein Beitrag zum Erhalt journalistischer Unabhängigkeit und zur Pflege künstlerischer Kreativität.
Und in diesem Zusammenhang, wenn wir schon über Gesetze reden, noch eine Überlegung: Wäre es, angesichts der gesellschaftlichen Verantwortung unseres Berufsstandes und der zunehmenden Zahl der Scharlatane, Unprofessionellen, Unausgebildeten, Unqualifizierten oder vorsätzlichen Übeltäter, die unter dem Deckmantel des Journalismus ihr Unwesen treiben, wirklich so abwegig, die Berufsbezeichnung „Journalist“ gesetzlich schützen zu lassen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viele Gründe, über unseren Berufsstand zu klagen.
Ich habe meiner Tochter – danach gefragt – abgeraten, Journalistin zu werden. Ob es ein guter Rat war oder ein schlechter, weiß ich nicht. Sie hat ihn sowieso nicht befolgt.
Aber dann habe ich noch einmal nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen: Es ist eigentlich ein wunderschöner Beruf, den wir haben. Tun wir alles, dass er es bleibt.
Neue Aufgaben für Klaus Bednarz
Ab Januar 2002 wird Klaus Bednarz (58) als Sonderkorrespondent und Chefreporter Fernsehen für den Westdeutschen Rundfunk tätig sein. Zu seinem neuen Aufgabengebiet gehört die Realisierung großer Dokumentarfilmprojekte. Zusätzlich übernimmt Bednarz regelmäßige Vertretungen in den großen Auslandsstudios des WDR insbesondere in den ARD-Studios Moskau, Washington und New York.
Ende 2001 will Bednarz die Leitung der Monitor-Redaktion abgeben, um sich ganz seiner neuen Aufgabe zu widmen.
Klaus Bednarz wurde am 6. Juni 1942 in Falkensee/Berlin geboren. Er studierte Theaterwissenschaft, Slawistik und Osteuropäische Geschichte in Hamburg, Wien und Moskau. 1966 promovierte er über den russischen Dichter Anton Cechov.
Seit 1967 ist Klaus Bednarz Redakteur beim Deutschen Fernsehen. Von 1971 bis 1977 arbeitete er als ARD-Korrespondent in Warschau, von 1977 bis 1982 war er als ARD-Korrespondent und Leiter des ARD-Studios Moskau tätig. Von 1982 bis 1983 leitete Bednarz die WDR-Redaktion Auslandsstudio (Fernsehen). Die ARD-Tagesthemen moderierte er von Januar bis Dezember 1983. Seit Dezember 1983 ist er Leiter der Redaktion Monitor im WDR und zugleich Moderator der Sendung. Außerdem ist er ständiger Kommentator der ARD-Tagesthemen. In letzten Jahren hat er mit seinen ARD-Dokumentationen über Ostpreußen (1995) und den Baikalsee (1998/1999) Furore gemacht. Klaus Bednarz wurde für seine vielfältige Tätigkeit als Journalist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet (u.a. Adolf-Grimme-Preis, Carl-von-Ossietzky-Medaille, Goldene Kamera, Kritiker-Preis, Civis-Preis, TeleStar, Umwelt-Medienpreis). Bednarz ist zudem Autor zahlreicher Bücher und ständiger Mitarbeiter verschiedener Tages- und Wochenzeitungen.