Kodex und Sicherheitstrainings für Korrespondenten in Krisengebieten
Es ist der 13. Juni 1999. Die letzten serbischen Truppen haben sich aus dem Kosovo zurückgezogen, da fordert der Krieg, der eigentlich schon zu Ende ist, noch zwei Todesopfer: Die beiden „Stern“-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer werden auf einer Straße, die bereits als „sicher“ gilt, von Bewaffneten aus dem Auto gezerrt und erschossen. Spätere Recherchen des „Stern“ ergeben: Den serbischen Freischärlern ging es um den Geländewagen der Reporter: sie brauchten ein Fluchtauto.
Moderne Kriege haben nur noch selten Fronten. Wer über ihre Wirklichkeit berichten will, darf sich nicht mehr darauf beschränken, seine Informationen und Bildmotive im halbwegs sicheren Tross einer Kriegspartei zu sammeln. Doch im Niemandsland steigt die Gefahr. Irreguläre Truppen wollen oft nichts wissen von der Genfer Konvention, die Journalisten als Teil der Zivilbevölkerung schützt. Und bisweilen können die Reporter nur schwer abschätzen, wie gefährlich oder ungefährlich ein Gebiet tatsächlich ist. Selbst für alte Hasen, die nie alleine losziehen und sich stets auf ihre einheimischen „Stringer“ verlassen, erhöht die Unübersichtlichkeit dieser Kriege ohne Fronten das Risiko beträchtlich. Auffallend häufig treffen die Kugeln mittlerweile Bildberichterstatter. Im Afghanistan-Krieg starben der Kameramann Harry Burton und der Fotograf Azizullah Haidari, die beide für Reuters arbeiteten. Und im März vergangenen Jahres wurde der italienische Fotograf Raffaele Ciriello in Ramallah von einem israelischen Panzer aus erschossen – nachdem schon Dutzende von Fotografen und Kameraleuten während der Intifada verletzt worden waren – soweit feststellbar, fast immer durch Kugeln israelischer Soldaten. Der Druck auf Bildberichterstatter hat enorm zugenommen; immer mehr Fernsehsender und TV-Nachrichtenagenturen sind auf der Suche nach packenden Sequenzen, wollen nur ja kein Ereignis verpassen, was der Konkurrenz auf dem globalen Markt der Bilder einen Vorteil verschaffen könnte. Was läßt sich tun, um das Risiko der Kriegsberichterstatter zumindest zu vermindern? Das eine ist Aufklärung: Reporter ohne Grenzen hat einen Kodex für Krisenberichterstatter veröffentlicht. Die wichtigsten Aufforderungen darin richten sich an die Redaktionen: Sie müssen die Verantwortung bei der Auswahl und Vorbereitung der Reporter übernehmen, sie dürfen nicht an deren Ausrüstung und Versicherung sparen – und vor allem müssen Missionen in Krisengebieten strikt freiwillig bleiben. Wer dorthin entsandt wird, sollte vorher genügend Reportageerfahrung auf weniger gefährlichen Auslandsmissionen gesammelt haben. Die oberste Regel vor Ort – auch wenn sie nur begrenzten Schutz bietet: Zieh niemals alleine los, sondern möglichst immer mit erfahreneren Kollegen. Gemeinsamer Kodex Vor ziemlich genau zwei Jahren haben die großen englischsprachigen Fernsehsender und Nachrichtenagenturen – von der BBC über CNN bis zu AP und Reuters – gemeinsame Richtlinien unterzeichnet, die derartige Regeln vorsehen und auch die Verantwortung für beauftragte Freelancer einschließen. Dieser Kodex enthält noch einen wichtigen Punkt: Man will sich jeweils über die aktuelle Sicherheitslage vor Ort absprechen und dafür sorgen, dass der Konkurrenzkampf um die Bilder nicht auf Kosten der Sicherheit geht. Auch ARD und ZDF haben mittlerweile ähnliche Richtlinien verabschiedet und sich auf gemeinsame Sicherheitstrainings ihrer Korrespondenten verständigt.
Michael Rediske
Mitglied des Deutschen Presserates für die dju und
Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen e.V.