Aus dem Lokalen zum „Spiegel“ – eine Traumkarriere?

Erfahrungen mit den drei Stufen des äußeren Drucks gegen nicht genehme Berichterstattung

Michael Fröhlingsdorf wurde im vergangenen Jahr mit dem Wächterpreis der Tagesspresse ausgezeichnet. Seine Recherchen deckten die unsauberen Geschäfte eines saarländischen Caritas-Managers auf. Der 37-jährige Fröhlingsdorf begann 1980, damals noch Schüler, seine Karriere als freier Mitarbeiter der „Kölnischen Rundschau“. Während des Studiums zum katholischen Diplom-Theologen arbeitete er als Freier für die KNA und volontierte danach beim Nomos-Verlag Baden-Baden. Später wechselte er als Redakteur zum Weltbild-Verlag nach Augsburg, dann als Lokalredakteur zum „Trierischen Volksfreund“, wo er zuletzt Chefreporter war. Seit April 2001 ist er „Spiegel“-Redakteur im Ressort Deutschland II.

Wenn sie ihre bisherigen Stationen vergleichen, welche Unterschiede sehen Sie bei der Arbeit?

Fröhlingsdorf: Mein Eindruck ist, dass es im Lokalen sehr viel „Schwarzbrot“ gibt. Da sind jede Menge Themen, über die berichtet werden muss. Das ist relativ einfach, indem man beispielsweise Pressemitteilungen bringt oder anderes, was auf dem Tisch liegt. Man kann daraus aber auch die Kür machen und Hintergründe recherchieren. Das wird aber von den Lesern und der Chefredaktion nicht unbedingt erwartet.

Sie meinen, das ist sogar unerwünscht?

Es wird gewünscht, dass man die Arbeit möglichst schnell und möglichst ohne große Kosten und Ärger erledigt.

Was bringt Kosten und Ärger?

Wenn von der Polizei, einem Amt oder einem Unternehmen eine Meldung kommt, kann ich diese ungeprüft abschreiben oder ich kann nachrecherchieren. Beim Nachrecherchieren ergeben sich manchmal interessante Geschichten, die die ursprüngliche Information in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Was ist mit unzufriedenen Anzeigenkunden?

Es kommt relativ selten vor, dass ein Anzeigenkunde direkt und massiv druckt macht. Das läuft meist subtiler ab.

Wie findet Druck statt, wenn unangenehm berichtet wurde?

Die einfachste Methode ist, sich an die Chefredaktion zu wenden oder mit einem Gerichtsverfahren zu drohen. Die zweite ist die Vernebelungstaktik: Mit umfangreichen Stellungnahmen werden Nebelkerzen geworfen oder es wird versucht, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Die dritte Methode ist, bei späteren Themen gezielt die Konkurrenz zu informieren und die unliebsame Presse auszuschließen.

Welcher Druck wurde bei der Recherche ausgeübt, die ihnen den Wächterpreis einbrachte?

Alle drei. Da ging es um die Geschäfte der Caritas Trägergesellschaft Trier, dessen Vorsitzenden Herrn Doerfert und dessen Kontakte in die Politik. Der Mann hatte, auch mangels einer funktionierenden Aufsicht, mindestens 20 Millionen Mark veruntreut und hatte den FC Saarbrücken von Reinhart Klimmt „unterstützt“. Nach einem der ersten Artikel bestellte Herr Doerfert 380 Abos ab. Das war schon hart für den “ Volksfreund“, der bei 100000 Auflage liegt.

Wie haben Verlagsleitung und Chefredaktion reagiert?

Die haben mich aufgefordert, weiterzumachen. Das war die direkte Einflussnahme. Dann hat Herr Doerfert versucht, andere Medien für seine Dementis zu benutzen. Wenn wir etwas Neues hatten, war Herr Doerfert für uns nicht zu erreichen, stattdessen kamen dann über die örtliche Radiostation prompt immer das Dementi.

Redet man da nicht mit den Kollegen und sagt: Was soll der Quatsch? Und was sagen die dann?

Man redet mit den anderen. Nur wenn die dann sagen, die Äußerungen sind eine Nachricht, dann kann ich dem nicht widersprechen.

Was war mit der Behinderung?

Ich habe sehr eng mit den Kollegen der „Saarbrücker Zeitung“ und der „Lausitzer Rundschau“ zusammen gearbeitet, weil Herr Doerfert in Cottbus ein Herzzentrum hatte – für uns ein Glücksfall, da die Zeitungen vor Ort zur „Saarbrücker Zeitung“ gehören. Das Bistum Trier redete nicht mehr mit mir, dafür aber mit dem Kollegen Michael Jungmann von der „Saarbrücker Zeitung“. Allerdings mit dem Hinweis, er dürfe mich auf keinen Fall mit diesen Informationen beliefern. Daraufhin beschlossen wir, dieses Spiel weiterzuspielen: Ich als bad boy, Jungmann als good boy.

Gab es auch von kommunaler Seite Behinderungen?

Nein. Aber Herr Doerfert war sehr eingebunden in die lokale Politik. Als es dann heiß wurde, versuchten alle, Doerfert als Einzeltäter darzustellen.

Bei einer solch massiven Recherche, hat es auch Drohungen gegeben?

Ja, aber die waren sehr undifferenziert und nicht wirklich ernst zu nehmen.

Hatten Sie noch Zeit für Schwarzbrot?

Nein. Ich war für eine gewisse Zeit freigestellt.

Bei der direkten Methode Chefredaktion hilft eine wasserdichte Recherche. Und bei den anderen?

Bei der Vernebelungstaktik muss man Ruhe bewahren…

Wieso ist die dahin?

Man braucht manchmal ein dickes Fell. Ich habe in Trier mal zu einem Prozess recherchiert. Dabei kam heraus, dass die Polizei zu einem Sachverhalt unterschiedliche Aktenvermerke angefertigt hatte, die unterschiedliche Interpretationen zuließen. Als ich darüber geschrieben hatte, behauptete der Generalstaatsanwalt in einer Presseerklärung, dass sei das übliche Verfahren der Polizei. Selbst die Anwälte des Beklagten haben nicht dagegen argumentiert, aus welchen Gründen auch immer. Das stand man plötzlich etwas bedröppelt da.

Wo sehen Sie Unterschiede bei der Arbeit für den „Spiegel“ und den „Volksfreund“?

Der „Spiegel“ verfügt über eine brillante Dokumentation. Auch Reisekosten spielen eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommen die Kontakte zu Kollegen, die ihrerseits sehr gute Kontakte haben. Viele Informationen bekommt man von Menschen, die man aus früheren Recherchen kennt. Wenn man die gut behandelt und fair mit ihnen umgeht, dann bekommt man schon mal was zugesteckt. Zieht eine Geschichte größere Kreise, fehlen oft diese Kontakte über das Lokale hinaus.

Haben Ihnen solche Kontakte bei der Caritas-Recherche geholfen?

Konkreter Auslöser war, dass ein Informant sich an den Chefredakteur gewandt hat. Ich habe Monate recherchiert und von Informanten Hinweise bekommen, dass da vieles nicht mit rechten Dingen zugeht. Nach den ersten Berichten hat die Staatsanwaltschaft ermittelt. Damit war der halbe Mietpreis geschafft, weil ich schreiben konnte: Es läuft ein Verfahren. Damit gewinnt die Berichterstattung ein anderes Gewicht.

Können Sie Kollegen im Lokalen eine Empfehlung geben, wann sich Recherchen lohnen. Gibt es Indikatoren für brisante Geschichten?

Das ist schwierig. Manchmal lohnt es sich, bestimmte Vorgänge über einen längeren Zeitraum zu begleiten, auch wenn es nicht gleich zum Schreiben taugt. Neugier ist Pflicht. Man braucht einen langen Atem und man darf sich nicht bange machen lassen, auch nicht von „wichtigen“ Namen. Ich habe in dieser Doerfert-Geschichte mit vielen Leuten gesprochen und dann eine Veröffentlichung gemacht, um diesen Leuten als vertrauensbildende Maßnahme zu signalisieren: Ich bin dran, ich schreibe dazu.

Im Lokalen gibt es immer wieder Schwierigkeiten mit Behörden, die mauern. Wie kommt man hier an Informationen?

Man muss sich bemühen, an einen gewissen Grundstock von Informationen zu kommen. Mitarbeiter einer Behörde spreche ich offensiv an und sage: Ich werde auf alle Fälle etwas schreiben. Wenn ihr mit mir sprecht, habt ihr die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Dazu erkläre ich, dass ich für seriöse Arbeit möglichst viele Informationen brauche. Das funktioniert in aller Regel ganz gut, vor allem dann, wenn vertrauliche Gespräche auch solche bleiben.

Vergangenes Jahr erhielten Sie als Lokaljournalist den Wächterpreis, jetzt arbeiten Sie beim „Spiegel“. Haben Sie eine Traumkarriere gemacht?

Für mich ist es eine Traumkarriere. Der Wächterpreis hat die Voraussetzungen verbessert, von einer Regionalzeitung zu einem politischen Magazin zu wechseln.


 

  • Mit Michael Fröhlingsdorf sprach für „M“ Hardy Prothmann
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