Kriegsreporter als Freiwild

In Afghanistan sind im November acht Journalistinnen und Journalisten ermordet worden

„Afghanistan kommt zuerst, und unsere Feinde müssen wir vertreiben. So ist das eben im Krieg“, sagte ein Kommandant der Nordallianz. Es ist das letzte Zitat in der letzten Reportage des am 11. November in Afghanistan ermordeten Journalisten Volker Handloik.

Der für das Magazin „Stern“ arbeitende Reporter gehörte an seinem Todestag offenbar selbst zu den Feinden – wenn auch für die Kämpfer der anderen Seite. Als er zusammen mit vier anderen Journalisten auf einem Schützenpanzer mit Kommandeuren der Nordallianz mitfuhr, um angeblich geräumte Stellungen der Taliban zu besichtigen, gerieten sie in einen Hinterhalt der vermeintlich vertriebenen Gotteskrieger. Gemeinsam mit der französischen Rundfunkkollegin Johanne Sutton („Radio France Internationale“) und deren Landsmann Pierre Billaud, der für den Radiosender RTL arbeitete, starb Handloik im Kugelhagel.

„Wir müssen mit weiteren Opfern auf Seiten der Presse rechnen“, sagte Robert Ménard, Generalsekretär der „Reporter ohne Grenzen“, nach dem Überfall. Nur acht Tage später wurde er auf schreckliche Weise bestätigt: Vier Journalisten wurden 90 Kilometer östlich von Kabul erschossen. Sechs bewaffnete Männer stoppten acht Autos auf der Hauptverbindungsstraße zwischen Jalalabad und Kabul, zwangen die Insassen der ersten beiden Fahrzeuge, auszusteigen und eröffneten kurz darauf das Feuer auf die Reporter. Die Fahrer, Dolmetscher und weitere Journalisten konnten entkommen. Ermordet wurden Maria Crazia Cutuli, italienische Reporterin des „Corriere della Sierra“, Harry Burton, Reuters-Kameramann aus Australien, Julio Fuentes von der spanischen Tageszeitung „El Mundo“ sowie der für Reuters arbeitende afghanische Fotograf Azizullah Haidari.

Freiwild

Augenzeugen berichten, dass die Mörder sich selbst als Taliban-Kämpfer ausgaben. Denkbar ist aber auch, dass es sich um gewöhnliche Kriminelle handelt. In den Tagen vor dem Überfall sind in der Umgebung Kabuls mehrmals Journalisten ausgeraubt worden.

In der Nacht zum 27. November setzte sich die Mordserie fort: Opfer war diesmal der schwedische Kameramann Ulf Strömberg. Der für denSender TV4 arbeitende 42-Jährige wurde bei einem Raubüberfall in Talokan bei Kundus erschossen. Am nächsten Abend wurde gemeldet, dass der kanadische Reporter Ken Hechtman im Süden Afghanistans entführt und vermutlich als Geisel inhaftiert wurde.

Inez Kühn, Bereichsleiterin Medien und Publizistik in ver.di, fordert die Medienunternehmen vor dem Hintergrund der Morde auf, nur erfahrene Reporter in Kriegsgebiete zu entsenden. Die meisten der getöteten Kollegen waren offenbar schon mehrfach in Krisengebieten eingesetzt. „Auch erfahrene Journalisten können sich irren“, sagt Robert Ménard von den „Reportern ohne Grenzen“. In beiden Fällen hätten sie die Gefahr unterschätzt und sich zu sehr auf Informationen von Nordallianz-Kommandanten verlassen.

Gefahren

In Kriegsgebieten sind Journalisten mit Ansprüchen konfrontiert, die notwendigerweise im Widerspruch zueinander stehen. Auf der einen Seite steht der journalistische Wille, jenseits der Filter durch militärische Pressestellen zu berichten, auf der anderen Seite die Aufforderung, sich nicht in Gefahr zu begeben. In diesem Krieg lauern besonders viele Gefahren, weil es keine klaren Fronten gibt. Dazu kommt, das ausländische Journalisten von manchen Kriegsherren offenbar stellvertretend für die bombardierenden amerikanischen und britischen Militärs getötet werden. So werden die – unbewaffeneten und daher leicht greifbaren – Journalisten zu Geiseln: Weil der Feind selbst nicht erreichbar ist, rächt man sich an den Berichterstattern westlicher Medien.

Die Gefahren werden auch von den Verantwortlichen des „Stern“ gesehen. Ihre Reporter in Krisengebieten würden stets aufgefordert, kein persönliches Risiko einzugehen, heißt es in Hamburg. Nie werde Druck auf Journalisten ausgeübt, in Kriegsgebiete zu reisen. Auf dem „Stern“ scheint ein „Fluch“ zu liegen: 1995 wurde ein Korrespondent in Grosny erschossen, vier Jahre später zwei Kollegen im Kosovo. Und jetzt Volker Handloik.

Risiko hinterfragen

In diesem Jahr sind nach Recherchen der „Reporter ohne Grenzen“ bereits 25 Journalistinnen und Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs ums Leben gekommen. Nicht zuletzt deshalb betont Inez Kühn von ver.di, dass Journalisten auf keinen Fall „mit Blick auf Auflage und Quote“ ermuntert werden dürfen, sich in unkalkulierbare Gefahren zu begeben. Aber auch freie Journalisten, die aus finanziellen Gründen nach Exklusivgeschichten suchen oder sich einen Namen machen wollen, müssen ihre Risikobereitschaft doppelt hinterfragen. Dem „Stern“ bieten sich nach eigenen Angaben seit Wochen junge Journalisten an, die sich für das Magazin in von den Taliban kontrollierte Gebiete begeben wollten. Man habe diese Angebote aber alle abgelehnt.

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