Wettkampf ums Geld

Ein Spannungsverhältnis voller Rituale, Inszenierungen und Rechtepooker zwischen Sport und Medien

Dabei sein ist alles. Diese Maxime aus dem Amateurzeitalter gilt, leicht verändert, auch im Profisport. Alle wollen beim Verdienen dabei sein: Sportverbände, Rechtevermarkter und vor allem die TV-Sender. Die Kommerzialisierung des Sports wird vielfach beklagt und dennoch gnadenlos voran getrieben.

Allerdings partizipieren nur wenige Sportarten am lukrativen Fluss der TV-Gelder. Boxen, Skispringen, Formel Eins liegen im Trend. Tennis hat nachgelassen. Volleyball oder Tischtennis funktionieren nicht.

Fußball geht immer. Die Medienpräsenz und das Sponsoreninteresse verwandeln den Sport in ein Event, dem immer stärker Show-Elemente beigemischt werden. Reinhard Hess, DSV-Cheftrainer der deutschen Skispringer etwa beobachtet – bei aller Freude über die Aufwertung seiner Sportart – seit geraumer Zeit einige gefährliche Tendenzen. Etwa die Fixierung auf einige wenige medienwirksame Stars. Die Medien fordern eine attraktive Inszenierung, und viele Nachwuchssportler beugen sich willig dieser Regel. Die „Deutschland-sucht-den-Superstar“-Generation wolle sich nicht mehr schinden, klagt Hess, „heute fragt so mancher Sportler zunächst mal nach dem Sponsor“. Der Leitsatz von Turnvater Jahn „frisch, fromm, fröhlich, frei“ habe sich längst in ein „Product, Price, Placement, Promotion“ verkehrt, hieß es unlängst bei einem Mediensymposion in Erfurt.

Der Sport braucht die Medien, und die Medien brauchen den Sport. Sportler und Vereine steigern ihren Marktwert; die Sender hofieren erfolgreiche Athleten als Quotenbringer. Letzteres gilt sogar für Promi-Athleten im Ruhestand, wie die mediale Dauerpräsenz eines Boris Becker oder Franz Beckenbauer zeigt. Spannungsfrei ist das Verhältnis nicht. Der Zugkraft des Sports allein vertrauen die elektronischen Medien dabei längst nicht mehr. Um die jeweilige Disziplin eventwürdig zu machen, wird im Fernsehen allerlei sportfremdes Beiwerk beigemischt. So erwägt RTL neuerdings, beim Skispringen Kameras am Schanzenrand entlang fahren zu lassen, um die Anspannung im Gesicht der Springer während der Sprünge einzufangen. Auch wird allen Ernstes überlegt, die Athleten mit Herzfrequenzmessern auszustatten. Dass dies nicht unbedingt der Leistung zugute kommt, liegt auf der Hand. Aber was ist schon vernünftig an einem System, das auf der möglichst profitablen Vermarktung einzelner Stars oder Mannschaften basiert? Manche hart gesottene Sport-Realpolitiker setzen dabei ungeniert auf die Kräfte des Marktes. Letztlich nehme doch jede Sportart – egal ob Tennis oder Eishockey – die Beträge von den Sendern, die diese bereit seien zu zahlen, argumentiert etwa Thomas Summerer, der Chefjustiziar der Deutschen Fußball-Liga: „Was vernünftig ist in der Marktwirtschaft, das bestimmt die Marktwirtschaft selbst.“

Freier Fall der Preise

Ganz so einfach ist es wohl nicht. Hat nicht der Untergang des Kirch-Imperiums und der anschließende freie Fall der Preise für TV-Fußballrechte gezeigt, dass jahrelang politische Preise statt reale Marktpreise gezahlt wurden? 450 Millionen Euro wurden den Sendern zu Kirch-Zeiten für die Bundesliga-Rechte abgeknöpft, in der eben abgeschlossenen Saison waren es immerhin noch 290 Millionen. Der Großteil dieser Gelder floss – so viel Sozialneid muss erlaubt sein – in die Taschen mittelmäßiger Ballartisten. Der ritualisierte Poker um die Fußballübertragungsrechte im Fernsehen belegt: Im Zeichen einer zunehmenden Kommerzialisierung und Mediatisierung des Leistungssports wird die jeweilige Interessenlage der Beteiligten immer wieder neu austariert. Die Goldgräberstimmung in der Branche scheint abgeebbt. Die ARD überweist an Günter Netzers Infront für die Bundesliga-Übertragungen nur noch 45 Millionen Euro plus 5 Millionen für den Hörfunk – 30 Millionen weniger, als SAT.1 noch in der Saison 2002 / 2003 auszugeben bereit war. Ob dieser Betrag durch Werbung und Sponsoring in der „Sportschau“ wieder hereinkommt, bleibt abzuwarten. Aber es grenzt an Heuchelei, wenn – wie geschehen – der im Rechtepoker ausgebootete Privatsender SAT.1 auf die ARD einprügelt und über „Wettbewerbsverzerrung“ klagt. Ausgerechnet der Sender, dessen „ran“-Sendung durch Werbe-Overkill und willkürliche Sendeplatzverlegungen die Geduld des Publikums nachhaltig strapazierte.

Interessanterweise findet sich im ominösen „SMS“-Papier der drei Ministerpräsidenten Stoiber-Milbradt-Steinbrück kein Wort über Sport. Den Grund dafür beschrieb SWR-Intendant Peter Voß kürzlich wie folgt: „weil Herr Stoiber als Aufsichtsgremium von Bayern München den Bundesliga-Deal mit eingefädelt hat. Die wollten das, die Bayern, weil sie endlich wieder einen verlässlichen Partner haben wollten. Und das sind wir, die ARD.“

Natürlich ist die Lage beim Fußball nicht repräsentativ. Nur wenige Sportarten sind dabei, wenn es an die Verteilung der TV-Gelder geht. Und gerade mal fünf Prozent der Spitzensportler, so schätzt der Deutsche Sportbund (DSB), verdienen überhaupt am Sport. Die übrigen müssen subventioniert werden, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Wer die Macht des Fernsehens bezweifelt, verschließt die Augen vor den Realitäten. „Es gibt Sportarten, die nur alle vier Jahre bei Olympischen Spielen übertragen werden und ansonsten ein Schattendasein führen“, sagt DSB-Präsident Manfred von Richthofen. Er macht sich seit einiger Zeit stark für einen eigenen öffentlich-rechtlichen Sportkanal. Ein solches Programm, so die Überlegung, könne der DSB gemeinsam mit ARD und ZDF über Satellit einigermaßen kostengünstig verbreiten. Unterstützung bekam der DSB-Chef vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck. „Auch die Sportarten, wo nicht sofort Millionenschecks gezogen werden, haben ein Recht, im Fernsehen mehr vorzukommen als dies bisher der Fall ist“, argumentierte Beck. Und gab ein Beispiel: Bei einer Deutschen Tischtennis-Meisterschaft werde gelegentlich ein ganzes Wochenende mit hohem technischen Aufwand aufgezeichnet und später nur eine fünfminütige Zusammenfassung ausgestrahlt. Mit dem restlichen Material ließe sich ein Sportkanal doch ohne zusätzliche Kosten füllen. Eine Milchmädchenrechnung, findet der Sportwissenschaftler Josef Hackforth (siehe Interview Seite 6 / 7). Selbst wenn alle Mitglieder einer solchen „Randsportart“ sich vor dem Bildschirm versammelten, würde die Quote doch eher mager ausfallen. Da strahlen die quotenfixierten TV-Sender doch lieber die xte Reprise eines mittelmäßigen Actionfilms aus. Zudem dürften – gemessen an der gegenwärtig tobenden Rundfunkgebühren-Debatte die Chancen für eine neuerliche Programmexpansion von ARD und ZDF derzeit eher dürftig sein.

Um überhaupt im Fernsehen vorzukommen, sind die Verbände einiger nicht massenattraktiver Sportarten dazu übergegangen, sich an den TV-Produktionskosten zu beteiligen. Dass es dabei nicht immer mit rechten Dingen zugeht, belegen die jüngsten Auseinandersetzungen um die Sportredaktion des Hessischen Rundfunks. Dort trat Ende März Radsport-Experte und Sportchef Jürgen Emig zurück, nachdem ihm im Zusammenhang mit der Berichterstattungspraxis des Senders „persönliche Vorteilsnahme“ und Vermischung beruflicher und privater Interessen vorgeworfen worden war. Was war geschehen? Unter Emigs Regie hatte der HR von Vereinen und Verbänden jahrelang Geld für die Übertragung von Sport-Events im Fernsehen kassiert. Ihr wollt auf der Mattscheibe auftauchen? Dann zahlt gefälligst! Nach dieser Devise hatte Emig im Hessischen ein zweifelhaftes System des Gebens und Nehmens forciert, das mit dem öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag nur schwerlich vereinbar sein dürfte.

Hand aufgehalten

Ob Handball in Melsungen, Football in Frankfurt oder Reiten im nordhessischen Spangenberg – wann immer eine „Randsportart“ in die televisionär vermittelte Öffentlichkeit drängte, war der rührige HR-Sportchef zur Stelle und hielt die Hand auf. Offenbar nicht nur im Interesse seines Senders. Emigs Frau Atlanta Killinger führt praktischerweise eine Agentur für Sportsponsoring. Berichtete etwa der HR vom Hessenderby der Deutschen Eishockey-Liga, tauchte in der Reportage in epischer Breite irgendwann auch die von Killingers Agentur vermarktete Sportwette Oddset auf. Wurden Eishockey-Cracks vom HR interviewt, dann stets vor Werbetafeln mit den Logos des Energieversorgers Mainova und von Fiat, zwei Killinger-Kunden. Das geschäftliche Tandem Emig / Killinger funktionierte so gut, dass nach Protesten einzelner Sportverbände die Justiz aufmerksam wurde. Inzwischen ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Emig, einen ehemaligen HR-Produktionsleiter sowie gegen zwei Mitarbeiter von Marketingfirmen, und zwar „wegen des Anfangsverdachts der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen und der Bestechlichkeit“. Dabei gehe es um „nicht gerechtfertigte Zahlungen von Veranstaltern als Gegenleistung für die Berichterstattung über ihre Veranstaltungen im Fernsehen“.

Beim HR hatte man an dieser Praxis lange nichts Unschickliches erkennen wollen. HR-Intendant Helmut Reitze hatte sich noch vor einem Jahr zur Übertragung von Sportereignissen auf der Grundlage von „Produktionszuschüssen durch Sponsoren“ ausdrücklich bekannt. Für die Sponsoren der Vereine sei die Berichterstattung im Fernsehen ein „Geschäft auf Gegenseitigkeit“. Der HR stehe vor der Wahl, auf eine ausführlichere Sportberichterstattung zu verzichten und „rein“ zu bleiben oder „etwas mehr Programm zu haben und nicht ganz so rein“ zu sein. Der Landessportbund Hessen sah dies anders: Es könne nicht angehen, wetterte LSB-Präsident Rolf Müller, dass es im Sport eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gebe: die der reichen Vereine, die zahlen und die der armen, die kein Geld haben und deshalb im Fernsehen nicht vorkommen. Der HR hatte bis zuletzt argumentiert, die Ko-Finanzierung von Sportsendungen für Dritte sei nicht zu beanstanden und werde im Übrigen auch von anderen ARD-Anstalten so gehandhabt. Eine Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. Der SWR hatte vor Jahren Überlegungen der Sportredaktion, eine journalistische Berichterstattung von einer direkten Kostenbeteiligung der Vereine oder Verbände abhängig zu machen, als „unvorstellbar“ und „völlig unvereinbar“ mit dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag verworfen. Aufgeschreckt durch die Eskalation des Falls Emig, zog HR-Intendant Reitze Anfang April schließlich die Notbremse. Alle bisherigen Sport-Regelsendungen werden durch neue ersetzt. Bei der TV-Sportberichterstattung soll es künftig „klare und nachvollziehbare Regelungen für das Sponsoring und sonstige Leistungsbeistellungen“ geben. Ein Nachgeschmack bleibt. Womöglich bilden die beim HR bekannt gewordenen „crossover“-Praktiken einer Vermengung öffentlich-rechtlicher und privater Interessen nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Gerade den öffentlich-rechtlichen Anstalten sollte klar sein, dass ihre Glaubwürdigkeit – gerade auch vor dem Hintergrund der Gebührendebatte – mit der Transparenz ihres Finanzgebarens steht und fällt.

Weniger Recherche

Wo schon die Grenze zwischen Sport und Kommerz immer poröser wird, hat eine weitere Tugend im Sportjournalismus schon längst keine Chance mehr: die gründliche, recherchierende Hintergrundberichterstattung. Ein Schwerpunkt über Doping in der „Sportschau“? Derzeit kaum vorstellbar. Depressionen von Spitzensportlern als Folge von überzogenem Leistungsdruck? Ein solches Thema würde doch zu sehr auf die Gute-Laune-Atmosphäre im „Aktuellen Sportstudio“ drücken. Der ZDF-„Sportspiegel“ wurde bereits vor acht Jahren abgeschafft, auch das SWR-Format „Sport unter der Lupe“ ist mittlerweile Geschichte. Einziger Überlebender im Genre des fundierten hintergründigen Features ist das halbstündige sonntägliche „Nachspiel“ des DeutschlandRadio Berlin. Ansonsten huldigt fast das gesamte Personal aufgeregter Sportreporter einem besinnungslosen Live-Fetischismus. Begleitet von den Netzers und Beckenbauers, die als Bundesliga-Rechteinhaber oder WM-Organisatoren ihre eigene Ware als Chefkritiker publizistisch flankieren. In Kürze, bei der Fußball-EM in Portugal dürfen sie wieder. So werde – zumal im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – „ein mäßig sittliches Teleshopping für Privatpersonen salonfähig gemacht“, schrieb Thomas Kistner unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“. Und fügte hinzu: „Nicht mal Leo Kirch, der einstige Herrscher über das Fußballfernsehen, hat sich derart über alle journalistischen Standards und Spielregeln hinweg gesetzt.“

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