Engerer Spielraum

Das sogenannte Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hatte in jedem Fall ein Gutes: Es löste Debatten um die Pressefreiheit und die Qualität journalistischer Bildberichterstattung in Deutschland aus. Wer bestimmt künftig a la Straßburg, was privat und was öffentlich ist?

Der Journalist im Zuge der Pressefreiheit, die Prominente, dann wenn es ihr ins Kalkül passt, oder die Richter in langwierigen Prozessen. Journalistenverbände und Deutscher Presserat kritisieren die nun entstandene Unsicherheit in der journalistischen Praxis, Juristen beklagen vor allem die vertane Chance einer nochmaligen Prüfung der Entscheidung, wenn die deutsche Bundesregierung Einspruch eingelegt hätte.

Caroline von Monaco und Ernst-August von Hannover sind nicht Lieschen und Peter Müller, die mit ein paar Euro Zubrot-Gage erst über die juristischen Einwilligungshürden gelockt, dann vor einem TV-Millionenpublikum öffentlich entblößt und schließlich mit den Folgen der Entblößung in ihrem sozialen Umfeld allein gelassen werden. Sie gehören auch nicht zu jenen Armen, die sich für ein paar Euro samt Kind ablichten lassen und dem Rechte-Inhaber eine nahezu beliebige Verwendung der Fotos zur Illustration beliebiger Illustrierten-Stories einräumen.

Caroline von Monaco und Ernst August von Hannover sind Prominente. Sie üben – auch ohne politisches Mandat mit demokratischer Legitimation – mindestens kulturellen Einfluss aus. Beispielsweise als vermögende Mäzene oder als Inhaber ehrenamtlicher Funktionen. Zumal unter den Bedingungen eines zunehmend „schlankeren“ Staates. Sie verkörpern als Mitglieder des europäischen Hochadels virulente Herrschafts-Traditionen und Leitbilder für viele Menschen, in deren Zustimmung und Beifall sie sich auch gerne sonnen. Sie verkörpern zugleich jene Klasse von Prominenten , denen das Blitzlicht der Kameras und die Spalten der Illustrierten mehr als nur ein qualvoller Duldungs-Tatbestand sind, soweit sie ihren Zielen und Zwecken – auch und gerade wirtschaftlichen – dienlich sind.

Sie repräsentieren auch jene Klasse von Prominenten, die stets dann, wenn die öffentliche Beobachtung ihren privaten Interessen nicht dienlich ist, „Halt! Privat!“ rufen. Das gilt für Ernst-August von Hannover, wenn er Millionen von Blasen-Leidensgenossen und Schützenfest-Freiluftpinklern Absolution erteilt (Wenn selbst der, …) oder wenn er das Abwägungsgebot der Presse zwischen öffentlichem und privatem Interesse mit dem Faustrecht durchsetzen will. Das gilt auch für alle jene, die zur Hochzeit gern ein wenig Hofberichterstattung hätten – was z. B. für Werbeverträge und Bücher-Promotion nicht schädlich ist – die eine Scheidung oder anstößiges Verhalten dagegen als reine Privatsache behandelt wissen möchten.

Pressefreiheit gilt ungeteilt

Wer allerdings sein Privatleben privat halten möchte, sollte dies auch tun dürfen, solange es nicht öffentliche Interessen berührt.

Die Pressefreiheit gilt ungeteilt. Die Verfassung kennt keine Klassenunterschiede zwischen seriöser Presse und Yellow Press. Daher ist es in der Caroline-Debatte alles andere als hilfreich aber zugleich aufschlussreich, wenn die Verlegerverbände Journalismus in „Qualitäts- und Boulevardjournalismus“ aufteilen.

Alle Formen des Journalismus müssen sich den selben Regeln und Normen unterwerfen. Zum Beispiel dem Pressekodex des Deutschen Presserats. Er kennt bei der Ethik und speziell bei den Persönlichkeitsrechten keine unterschiedlichen Spielräume für Boulevard- und Abo-Zeitungen, Nachrichten-Magazine und Yellow-Illustrierte. Er stellt – und das gerät vielfach zu Unrecht und fahrlässig aus dem Blickfeld – auch bei der Wahrhaftigkeit, bei der Sorgfalt, bei der Deklarationspflicht für Tatsachen und Fiktion sowie bei der strikten Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten die selben Anforderungen. Geschmacksfragen haben hier keinen Platz. Sie taugen als Beurteilungskriterium nicht. Zur Pressefreiheit gehört, dass unterschiedliche Niveaus der Erörterung und Darstellung hingenommen werden müssen, soweit sich die Medien sonst an die für alle geltenden Regeln und Gesetze halten.

Auch der verständliche Wunsch, die Menschen aus der Sphäre der Unterhaltung und Wirklichkeitsflucht in die der politischen Alltags-Auseinandersetzung mündiger Bürger zurück zu holen, kann nicht über eine ethische oder rechtliche Ausgrenzung der Unterhaltungs-Medien erfüllt werden. Derartige Manöver liefen auf eine Zensur zu Erziehungszwecken hinaus.Hat das Straßburger Urteil auf diesem Hintergrund Gewicht? Ich meine Ja. Die Richter des EGMR haben die Definitions-Macht für das, was von „allgemeinem gesellschaftlichen Interesse“ ist, von der Presse in Richtung Justiz verschoben. Der noch vom Bundesverfassungsgericht geforderte „weite Spielraum“ wird enger, wenn das Straßburger Urteil Bestand hat. Die Kommentatoren, die auf das aus ihrer Sicht weiterhin ungeschmälerte Recht der Presse auf die Kontrolle von (mandatierten) Politikern („Wächteramt“) hinweisen, erklären die übrigen Teile der einflussreichen Prominenz immanent für belanglos. Dem wäre nach dem vorher Gesagten entschieden zu widersprechen.

Verzichtbar oder unzulässig

Warum aber löst das Urteil aus Straßburg nur in einem Teil der Publizistik und in der Politik keine Besorgnisse oder gar Protest aus? Dafür gibt es aus meiner Sicht zwei wesentliche Gründe: Zum einen begrenzt die Auswahl des Streitgegenstands das Öffentliche Interesse an der Entscheidung. Caroline auf dem Fahrrad? Caroline beim Einkaufen ? So what. Der Beitrag dieser Fotos zur Meinungsbildung erschließt sich nicht auf den ersten, nicht einmal auf den zweiten Blick. Verzichtbar ist aber nicht dasselbe wie unzulässig. Unerträgliche „Jagdszenen“ wären etwas anderes. Darauf ist der EGMR-Spruch jedoch nicht gegründet. Zum anderen befriedigt die Straßburger Entscheidung klammheimliche Vergeltungs- und Bestrafungswünsche aller jener, die in den vergangenen Jahrzehnten vermeintlich oder tatsächlich Opfer von Grenzüberschreitungen der Medien geworden sind. Ernst zu nehmen sind dabei die tatsächlichen Opfer. Dass es sie gegeben hat – davon zeugen unter anderem Rügen des Deutschen Presserats. Er verkörpert den Versuch, die Presse durch Selbstkontrolle anstelle der Justiz in den allgemein und von ihr selbst akzeptierten Grenzen zu halten.

Die Produktivität des Straßburger Urteils könnte in einer ernsten Debatte darüber liegen, ob die Akzeptanz der Selbstkontrolle und die Qualitätssicherung in den Medien einen ausreichenden Grad erreicht haben. Dabei steht die Medien-Selbstkontrolle auch beim Europarat in hohem Ansehen. In der Entschließung 1165, auf die sich das EGMR-Urteil stützt, heißt es: „Die Medien sollten ermutigt werden, eigene Richtlinien für Veröffentlichungen einzuführen und ein Organ einzurichten, an welches sich jeder Bürger wenden kann, um sich wegen Beeinträchtigung seiner Privatsphäre zu beschweren …“ Zugleich sollten Verleger und Gewerkschaften ernsthaft überprüfen, ob die Forderung des Europarats , „als Teil der journalistischen Ausbildung einen Rechtskurs vorzusehen, in dem die Bedeutung des Rechts auf Privatsphäre gegenüber der Gesellschaft als solcher herausgestellt wird“, überall angemessen umgesetzt wird. Auf die Tagesordnung setzt das Urteil erneut auch die Aufforderung des Europarats von 1998 „die Berufsverbände von Journalisten zu ermutigen, spezielle Kriterien für die Berufszulassung sowie Normen der Selbstkontrolle und einen journalistischen Verhaltenskodex zu erarbeiten“.

Bliebe festzuhalten, dass Verleger, Rundfunkveranstalter und Journalisten gleichermaßen Verantwortung für das Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung und für das Ansehen ihrer Berufe tragen.

Der Gegenstand

Bilder, die Caroline von Monaco in Begleitung ihrer Kinder, beim Einkaufen, unterwegs mit dem Fahrrad, auf dem Markt, bei einem Skiurlaub in Österreich, zusammen mit Prinz Ernst-August von Hannover beim Tennisspielen, beim Sturz über ein Hindernis im öffentlich zugänglichen Beach Club von Monte Carlo zeigen …

Die Tatorte

Millionenauflagen von „Bunte“ und „Neue Post“ in den Jahren von 1993 bis ’97.

Die juristischen Ebenen der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht

Das Landgericht Hamburg, das Oberlandesgericht Hamburg, der Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht, eine kleine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Das Hauptargument der Abgebildeten gegen eine Veröffentlichung
Die Bilder dienen (lediglich) der Unterhaltung, nicht der Information der Öffentlichkeit. Das Recht am eigenen Bild überwiegt daher das Recht der Presse, Vorgänge und Personen von öffentlichem Interesse darzustellen. Eine Zustimmung der Abgebildeten für den Abdruck fehlte.

Das Ergebnis der Abwägung beim Bundesverfassungsgericht
Die Fotos, auf denen Kinder zu sehen sind, dürfen nicht, die anderen dürfen veröffentlicht werden.

Die Hauptargumente des Bundesverfassungsgerichts

  • Kinder genießen einen besonderen Schutz. Sie dürfen in der Presse nicht wie Erwachsene behandelt werden.
  • Die Presse nimmt an der öffentlichen Meinungsbildung teil. Auch Unterhaltung ist ein Instrument der Meinungsbildung.
  • Auch Prominente, die nicht Politiker sind, stehen für Wertvorstellungen. Sie können für Menschen Leitbilder oder Konstrastbilder verkörpern.
  • Die Presse braucht einen ausreichenden Spielraum, in dem sie – in gesetzlichen Grenzen – „nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht“. Was von „öffentlichem Interesse“ ist, kann sich auch erst in einem Meinungsbildungsprozess herausstellen.

Die Hauptargumente des EGMR

  • Die Streit-Fotos dienen lediglich der Befriedigung der Neugier „eines bestimmten Publikums“ an Einzelheiten aus dem Privatleben von Caroline.
  • Trotz des Bekanntheitsgrades von Caroline taugen die Fotos „nicht als ein Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse“. Sie durften daher nicht ohne Einwilligung der Betroffenen veröffentlicht werden.

Die Basis der EGMR-Entscheidung

  • Die Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 8
  • Die Entschließung 1165 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über das Recht auf Achtung des Privatlebens von 1998.

Manfred Protze ist dju-Sprecher und Mitglied des Deutschen Presserats.

 

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