„Szene Hamburg“ vor inhaltlichem Ausverkauf
Die zur SPD-Medienholding DDVG gehörende „Szene Hamburg“ betreibt massiven Stellenabbau. Langjährige freie Mitarbeiter warnen vor einer inhaltlichen Verflachung und produzieren ein Sonderheft im Eigenverlag.
„Das hatten wir doch schon alles mal“, sagt Detlef Diederichsen und fischt aus dem Heftstapel die letzte Ausgabe der im März 1989 verblichenen Hamburger Stadtillustrierten „Tango“ heraus. Mit dem Teaser „100.000 Superthemen: Titten, Ärsche, Kohle machen…“ auf dem Titelblatt prognostizierte die damalige „Tango“-Redaktion den inhaltlichen Weg ihres Blattes, das an den Jahreszeiten-Verlag verkauft worden war und ab der nächsten Ausgabe in der bundesweiten Kombi als „Prinz“ erscheinen sollte. Aus der Anfang der Achtziger im Kleinverlag als Antwort auf die junge Hamburger Subkultur gegründeten Stadtillustrierten wurde der Hamburger „Prinz“-Ableger, heute ein Synonym für Mainstream und Service, Service, Service! als inhaltliches Beiwerk zum Anzeigenumfeld.
Jetzt sitzt Diederichsen am Schreibtisch und betreibt Geschichtsforschung in eigener Sache. Nach dem Untergang von „Hamburger Rundschau“ und „Stadtmagazin HH19“ steht mit der „Szene Hamburg“ die letzte Bastion unabhängigen Kultur- und Politjournalismus für die nördliche Metropolenregion Hamburg vor der inhaltlichen Kapitulation vor dem Markt. Zum Ende des laufenden Geschäftsjahres kündigte die Hamburger Stadtillustrierten Verlagsgesellschaft gleich fünf Mitarbeitern; darunter die Chefgrafikerin Ariane Semmler und der Chefredakteur Christoph Twickel, dessen Arbeit jetzt einer der drei Geschäftsführer übernommen hat. Gemeinsam mit 20 weiteren freien Mitarbeitern produziert Diederichsen ein Sonderheft zum Niedergang des nicht nur Service-orientierten Magazinjournalismus für Hamburg. Seine Erkenntnis aus mehr als 25 Jahren Mitarbeit für Stadtmagazine: „Man darf nicht glauben, dass in den Verlagen Geschäftsführer arbeiten, die ihr Handwerk verstehen und irgendein Konzept haben. Wenn die neue Wege verkünden, kommt da meistens Mist bei raus, unter inhaltlichen wie auch finanziellen Gesichtspunkten.“
Die dju Hamburg befürchtet den inhaltlichen Ausverkauf. „Wenn die HSI-Verlagsführung glaubt, den Chefredakteur durch einen Geschäftsführer ersetzen zu können, liegt die Vermutung nahe, dass die „Szene“ sich von einem qualifizierten und engagierten Journalismus verabschiedet“, sagt dju-Sprecher Fritz Gleiss. Die SPD als Mehrheitseignerin der HSI solle sich gut überlegen, ob sie der Öffentlichkeit mit dem eingeschlagenen Weg tatsächlich vorführen wolle, „wie wenig sie von unabhängigem Journalismus, engagierter Öffentlichkeit und einem gesunden Betriebsklima hält.“
Einmaliger Umsatzeinbruch
Die „Szene“ hat Geschichte geschrieben. Als ihr inzwischen verstorbener Gründer Klaus Heidorn im Herbst 1973 die Kategorie Stadtmagazin mit kulturellem und politischem Anspruch für die Intellektuellen der Post-68er als Pionier auf den Markt brachte, fand die „Szene“ schnell Nachahmer in deutschen Großstädten. Ein Umsatzeinbruch wie momentan sei einmalig, sagt Jens Berendsen, Geschäftsführer der SPD-eigenen Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVD): „Daher müssen wir wie alle anderen Personalkosten reduzieren.“ Die DDVD ist mit 75 Prozent Mehrheitseignerin der HSI. Einen Einfluss der SPD, die unter anderem mit Generalsekretär Olaf Scholz im Treuhand-Aufsichtsrat vertreten ist, weist Berendsen von sich: „Wir sind ein unabhängiger Verlag, der Gewinn generieren und keine Parteipolitik machen soll.“ Um Anzeigenkunden akquirieren zu können, soll der seit Gründung der Szene anzeigenfreie Titel vermarktet werden. Eine inhaltliche Neu-Ausrichtung solle es nicht geben.
„Das war es dann wohl mit dem redaktionellen Anspruch“, meint hingegen Lars Brinkmann, langjähriger Autor für Popkultur, der seine Tätigkeit bei dem führenden Hamburger Stadtmagazin nach mehr als sechzehn Jahren schriftlich gekündigt hat. „Das Konzept eines Autorenmagazins, wie es Twickel mit Erfolg und Engagement betrieben hat, hat der Verlag aufgegeben.“ Der Verkauf des Titelblatts sei der Grabgesang der „Szene“. „Wenn jemand per Handstreich und ohne Rücksprache mit der Belegschaft fünf Leute rausschmeißt, liefert er für mich genug Anlass für einen Arbeitskampf“, sagt Brinkmann. Doch den wird es, trotz einigen Widerstands unter den freien Autoren und in der Belegschaft, wohl nicht geben – zu groß scheint die Sorge, mit der „Szene“ den letzten Brötchengeber zu verlieren. „Bei Tango waren wir wenigstens gewerkschaftlich organisiert und konnten so für die betroffenen Kollegen vernünftige Abfindungen vereinbaren“, beschreibt Diederichsen eine Erkenntnis aus der Historie – das soll bei der „Szene“ jetzt nachgeholt werden.