Was es genau ist, bzw. welche „Fälle“ dazu zählen, weiß man nicht. Wo es ist, weiß man ganz genau: nämlich überall, es „ufert aus“, „lauert allerorten“, breitet sich „geradezu epidemisch“ aus, „italienische Verhältnisse“ drohen. Wer es ist, weiß der Bundesinnenminister: bei der organisierten Kriminalität handele es sich „überwiegend“ um ein „Problem der Ausländer“. (Welcher Ausländer? Derer, die seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten? Oder von internationalen Kartellen?)
Wohl gibt es eine Definition von organisierter Kriminalität (OK), auf die sich die Innenministerkonferenz geeinigt hat:
OK „ist die vom Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
- unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
- unter Anwendung von Gewalt oder anderen zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
- unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken“.
Dennoch ist nicht so recht klar, was man nun zu OK rechnet. Jeden Zigarettenschmuggel? Nationale oder internationale Schwerstverbrecherbanden? Korruption im öffentlichen Dienst? Testfrage an zwei Innenministerien: Das Ermittlungsverfahren gegen die Commerzbank, zählt das als OK-Fall? Die Antworten: Der eine sagt: Nein, das natürlich nicht. Der andere: Ja klar, müßte, geradezu klassisch. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Zahlen: BKA-Präsident Ulrich Kersten nannte 1000 Ermittlungsverfahren in Frankfurt, 600 in München, 400 in Hamburg („Süddeutsche Zeitung“, 26. 8. 1996). NRW-Innenminister Franz-Josef Kniola gab 81 OK-Ermittlungsverfahren in seinem Lagebericht für NRW 1995 an, 89 Ermittlungsverfahren im OK-Bereich für 1996. Der Trierer Strafrechtler und Kriminologe Hans-Hainer Kühne nannte 845 OK-Fälle bundesweit für 1997, wie er vom BKA erfahren habe.
Ist also das organisierte Verbrechen wirklich ubiquitär in unserer globalisierten Risikogesellschaft, begierig den Rechtsstaat zu untergraben, die Ordnung auszuhebeln? Oder ist OK ein Schlagwort, mit dem systematisch ein illiberales Klima geschaffen wird, das sich wie Mehltau übers Land legt?
Schadensbegrenzung in letzter Minute
Kurios ist jedenfalls: Da mußte etwas, wovon niemand so genau weiß, was man dazu rechnet und welche Ausmaße es überhaupt hat, für eine weitreichende Preisgabe des Artikels 13 Grundgesetz, der Unverletzlichkeit der Wohnung, herhalten. Daß es noch zu einer letzten Schadensbegrenzung durch die Nachbesserungen gekommen ist, dazu haben nicht zuletzt unsere Aktionen und Veranstaltungen in vielen Städten – oft gemeinsam mit Landesärztekammern und Strafverteidigern – beigetragen. So haben beispielsweise alle Bundestagsabgeordneten die Beilage „Hände weg von den Medien“ bekommen. Ohne diese Kampagne für die Pressefreiheit in den letzten Wochen wäre es nicht zur Abstimmungsniederlage für die Regierungskoalition gekommen. Insofern hat sich unser Engagement gemeinsam mit anderen betroffenen Berufsgruppen gelohnt.
Wer allerdings glaubt, nun seien Journalistinnen und Journalisten generell vom Abhören ausgenommen, der irrt: Bei Freien darf zum Beispiel lediglich das (steuerlich anerkannte) Arbeitszimmer nicht verwanzt werden. Und zur Gefahrenabwehr dürfen auch Journalisten nach 14 von 16 Polizeigesetzen der Länder abgehört und teils auch videoüberwacht werden. Dazu bedarf es lediglich der Zustimmung eines einzigen Richters. Dieser beachtet, sofern er noch Karriere machen will, tunlichst den sogenannten „Pensenschlüssel“. Danach ist für die Überprüfung, ob abgehört werden darf oder nicht, ein zeitliches Pensum von 30 Minuten vorgegeben, egal ob nun drei oder vier Meter Akten zu prüfen wären.