Europarat gibt erstmals Empfehlung zur journalistischen Ethik
Der Europarat greift in die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen ein. So hat das zuständige Ministerkomitee eine „Erklärung über die Verbreitung von Informationen in Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren durch die Medien“ verabschiedet.
Damit verbunden sind Empfehlungen. Der Inhalt ist nicht zu kritisieren, wohl aber der Vorgang. Denn damit mischt sich der Europarat mit den 45 darin verbundenen Regierungen erstmals unmittelbar in das Gebiet „journalistischer Ethik“ ein. Die Reglementierung steht im krassen Widerspruch zum Prinzip der Selbstregulierung, die in Westeuropa – in Deutschland durch den Presserat – zur guten Tradition und zum Vorbild geworden ist.
Gegen Staatsdefinition
Der einleitenden Feststellung in einer Pressemitteilung des Europarates kann nur zugestimmt werden: Das Ministerkomitee zeigte sich „über die zunehmende Kommerzialisierung von Informationen in diesem Bereich besorgt und äußert den Wunsch, das Recht auf Informations- und Meinungsäußerung zu stärken. In der Empfehlung werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Grundsätze umzusetzen. Alle Informationen bezüglich gerichtlicher Berichte sollten den Medien ohne Diskriminierung zur Verfügung gestellt und von den zuständigen Behörden niemals zu kommerziellen Zwecken missbraucht werden“.
Das gleiche gilt für die Aufforderung an die Medien, Verdächtige und Angeklagte als unschuldig zu behandeln, solange ihre Schuld nicht erwiesen ist. Die Würde und Sicherheit sowie die Privatsphäre von Opfern, Klägern, Verdächtigen und Angeklagten müsse respektiert werden – mit der Ausnahme, wenn Informationen von öffentlichem Interesse seien. Insbesondere sollten die Interessen von Jugendlichen und „anderen verletzbaren Gruppen“ an Persönlichkeitsschutz gewahrt werden. Das sind „ethische“ Berufsstandards, die in manchen Ländern Zentral- und Osteuropas sicherlich noch nicht für alle Journalisten und Journalistinnen selbstverständlich sind. Die Erklärung des Ministerrats kann dort zweifelsohne die Diskussion über journalistische Normen voran bringen. Für die dju – und übrigens auch die Europäische Journalisten-Föderation (EJF) – bleibt die Selbstregulierung wie durch den Deutschen Presserat die politische und praktische Leitlinie. Eine vom Staat definierte „Ethik“ wollen Journalisten und Journalistinnen in Deutschland ebenso wenig wie in anderen Staaten Europas.
Ernster Präzedenzfall
Erklärungen und Empfehlungen des Europarates führen nicht zwingend zu rechtlichen oder gesetzgeberischen Konsequenzen in den Mitgliedsstaaten. Trotzdem ist die Einflussnahme auf die Gerichtsberichterstattung – so ehrenwert die Leitgedanken der Minister auch sein mögen – als Präzedenzfall sehr ernst zu nehmen. Die Frage ist: Sollen als nächstes Sportjournalisten und später politischen Redakteuren Vorschriften für ihre Arbeit gemacht werden?
Allerdings setzt die Empfehlung des Europarates einen weiteren Maßstab, der zu befürworten ist. Da heißt es nämlich, dass bei der Gerichtsberichterstattung „angemessen ausgebildete Journalisten“ eingesetzt werden sollen. Das geht nicht nur an die Adresse der Medienhäuser in Albanien oder in der Ukraine – auch in Deutschland wird damit das Verlangen der dju nach einer verbesserten Aus- und Weiterbildung nachdrücklich unterstrichen.