Erfahrungsberichte auf der Fachgruppenkonferenz
An konkreten Beispielen aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in den verschiedenen Sendern und Medienbetrieben zu erfahren – dazu bieten Bundesfachgruppenkonferenzen immer eine besonders günstige Gelegenheit. Haupteindruck der Konferenz Mitte Juni in Leipzig: die Arbeitsbedingungen in den Sendern – sowohl öffentlich-rechtlichen wie privaten – verschlechtern sich unter starken Sparvorgaben teilweise dramatisch. Aber nicht nur die Arbeitsbedingungen und das Betriebsklima in vielen Funkhäusern verschlechtern sich, sondern damit einhergehend auch die Qualität des Programms. Wir bringen Erfahrungsberichte auf der Fachgruppenkonferenz in kurzen Zusammenfassungen.
Resignation und Frust
Radio Bremen (Monika Grüning)
Obwohl die unmittelbare Existenzangst der MitarbeiterInnen nach dem Intendantenbeschluß fürs erste beseitigt oder aufgeschoben zu sein scheint, hat der Zwang zum Sparen direkte Auswirkungen auf die journalistische Qualität. Der Personalmangel verhindert langfristige Planungen, und aufgrund des Geldmangels wird auf Korrespondentenbeiträge verzichtet. Live- Telefonate werden im Überfluß geführt.
Bis 2004 will der Intendant rund 15% der Stellen abbauen und damit den NDR noch in den Schatten stellen. Vom technischen Personal wird erwartet, daß es berufsfremde Tätigkeiten zusätzlich übernimmt, z.B. der Tontechniker auch das Licht besorgt. Wegen der privaten Konkurrenz wird in kürzerer Zeit mehr produziert. Durch diesen Zeitdruck entsteht Streß, oftmals wird gegen den Tarifvertrag gearbeitet. Freiräume für kreative Gestaltung gehen verloren. Im Hörfunk müssen die im Aktuellen eingesetzten RedakteurInnen auch Verwaltungsaufgaben (z.B. VG-Wort-Meldungen und Schriftverkehr) und technische Aufgaben (Aufnahme und Schnitt) übernehmen. Die Nachrichtenmoderatoren etwa leisten diese Arbeit im Schichtdienst unter enormem Zeitdruck, manchmal von 6 bis 13 Uhr. Viele Redakteure und TechnikerInnen scheinen resigniert zu haben. Bei Radio Bremen überwiegt derzeit der Frust die Lust an der Arbeit.
„Vernichtung kreativen Potentials“
Freie bei SFB/ORB (Jens Brüning)
Vor der als Kooperation deklarierten Quasi-Fusion von SFB und ORB wurden den Freien MitarbeiterInnen viele Versprechungen gemacht. Tatsächlich haben sich die Möglichkeiten jedoch nicht verbessert sondern verschlechtert. Sendungen, die überwiegend von „Freien“ gestaltet wurden, sind ersatzlos gestrichen worden (z.B. Bilderbogen, Dokumente, KulturSzene). Die Möglichkeiten, in anderen Sendeformaten mitzuarbeiten, sind dem Redakteurs-gestützten Moderatorenradio zum Opfer gefallen. Anstelle von akribisch recherchierten Berichten sind Telefonate getreten, anstelle eines gründlichen Hintergrundgesprächs wird immer öfter das Moderatorengespräch favorisiert. Das alles wird mit Sparen begründet. Hinzukommen Sparmaßnahmen, die gültigen Tarifverträgen widersprechen, z.B. bei der Honorierung von Beiträgen.
Aus der Sicht der „Freien“ ist die Programmreform von SFB und ORB eine Vernichtung kreativen Potentials. Für die HörerInnen folgen daraus Verschlechterungen des Programms. Will der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Berechtigung nachweisen, muß er Begriffe wie „Hochkultur“, „Qualität“ und „umfassende Information, Bildung und Unterhaltung“ ernst nehmen.
„Kernaufgaben und Kannaufgaben“
Westdeutscher Rundfunk (Wendelin Werner)
Der WDR mit seinen rund 4600 Beschäftigten wird gelegentlich als Dinosaurier der deutschen Medienlandschaft bezeichnet. Manche sprechen auch von einer Insel der Seligen, wo sich unkündbare Rundfunkbeamte um die Mastbesteigungszulage streiten. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Beschäftigten machen eine Menge Programm, und während die Zahl der Beschäftigten seit Jahren stagniert, fallen dem WDR immer wieder Dinge ein, die die Mitarbeiter zusätzlich machen könnten. Allem Anschein nach soll auch beim WDR gespart werden, koste es was es wolle. Gespart wird allerdings nicht Geld, gespart werden sollen Stellen. Die hurricanartige Verbetriebswirtschaftlichung des Denkens unterscheidet plötzlich Kernaufgaben und Kannaufgaben. Aktuell hat man die etwa 300 Kollegen ins Visier genommen, die für Gebäude, Heizung, Klimatechnik, Hausmeisterdienste, die Druckerei und die sendesichere Stromversorgung zuständig sind. Laut Geschäftsleitung verrichten sie alle sogenannte „Kannaufgaben“ – als könne man die größte deutsche Rundfunkanstalt auch aus einem Bierzelt auf der Wiese oder zur Not auch ohne Heizung und ohne Strom betreiben. Das geht nicht, aber man tut so, als ob es ginge. Die hohe Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird durch dieses Kunde-Dienstleister-Denken zerstört.
„Verdichtung“
Bayerischer Rundfunk (Birgit Harprath)
Als die Nachricht von Personaleinsparungen kam, waren viele Freie MitarbeiterInnen zunächst froh, weil sie glaubten, sie würden nun mehr Aufträge bekommen. Aber die Verdichtung des Pensums der Festen führt dazu, daß sie solchen Freien, die sich aus ihrer Sicht besonders bewährt haben, gehäuft Aufträge geben, und so kommt es, daß einige von diesen bisweilen 60 bis 65 Stunden pro Woche arbeiten. Wer versucht, die Zahl der Aufträge zu verringern, dem wird bedeutet, daß viele andere wartend bereitstehen.
„Geschäftsbereiche und Geschäftsfelder“
ZDF (Werner Ach)
Das ZDF erlebt die größte Umstrukturierung seit seinem Bestehen. Alle produzierenden und technischen Bereiche wurden zu einer Produktionsdirektion zusammengefaßt. Hauptabteilungen und Abteilungen wurden aufgelöst, jetzt gibt es „Geschäftsbereiche“ und „Geschäftsfelder“. Neue Managementstrukturen wurden eingeführt. Betriebswirtschaftliche Überlegungen gewinnen eine Bedeutung, die sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nie gehabt haben. Die Geschäftsleitung plant derzeit jedoch kein Outsourcing (Auslagerung) von Betriebsteilen. Der Verwaltungsaufwand nimmt durch die Einführung von Controlling und der Umstellung auf das Einbudgetsystem weiter zu.
Zunehmend werden MitarbeiterInnen mit Zeitverträgen oder als Aushilfen beschäftigt. Ebenso steigt die Zahl der freien MitarbeiterInnen. Durch das neue Kostenbewußtsein und die Vorgabe, immer mehr Programm zu produzieren, entsteht starker Druck auf die Honorare der Freien.
„Tochterunternehmen künftig ohne Manteltarif-Schutz“
Hessischer Rundfunk (Astrid Cörlin)
Ähnlich dem ZDF will der Hessische Rundfunk im nächsten Jahr ein Service Center im Bereich der Fernsehproduktion einführen, d.h. Leistungen an einzelne Abteilungen müssen dann abgerechnet werden. Die ARD-Tochterunternehmen ARD-Werbung, Sales&Services (ASS) sowie Media Perspektiven werden nach einem Beschluß der Intendanten in eine GmbH umgewandelt. Für die Mitarbeiter galt bisher der Manteltarifvertrag des HR aufgrund individualvertraglicher Einbeziehungsabrede. Der Manteltarif enthält eine Reihe von Sozialleistungen, die für die neu einzustellenden MitarbeiterInnen nicht mehr gelten sollen. Die Umwandlung in eine GmbH macht es den Mitarbeitern auch unmöglich, sich in die ARD-Werbetöchter einzuklagen. Alte und neue Mitarbeiter arbeiten mit unterschiedlichen Verträgen nebeneinander.
Als Antwort auf schlechtere Arbeitsverträge und den Stellenabbau wird die Forderung nach Bestandsschutzregelungen immer lauter.
„Eingriff in die Tarifhoheit“
Deutsche Welle (Uli Riedel)
Rauher Wind bei der Deutschen Welle: Kündigung des Manteltarifvertrages sowie Kündigung des Tarifvertrags für arbeitnehmerähnliche Personen mit dem Durchführungstarifvertrag zum Urlaub und Kündigung des Honorartarifvertrages für arbeitnehmerähnliche Personen.
Der Bereich Fernsehen der Deutschen Welle soll mit dem Umzug in den Bonner Schürman-Bau nach Berlin verlagert werden. Der Umzug ist für 2001/2002 geplant. Im Schürmann-Bau soll nur noch der Hörfunk produzieren. Im Bereich Fernsehen findet zur Zeit eine Programmstrukturreform statt, die zum 1. 1. 1999 umgesetzt werden soll. Danach wird DW tv zu einem Nachrichten- und Informationskanal umstrukturiert. Der Personalrat befürchtet, daß sich die Umstrukturierung und die Verlagerung des Fernsehbereichs von Köln nach Bonn über kurz oder lang auf den Personalbestand auswirken wird, d.h. er rechnet mit starkem Personalabbau.
Das neue Deutsche-Welle-Gesetz beinhaltet erhebliche Verschlechterungen beim Mitbestimmungsrecht der Personalräte. So wurde das Bundespersonalvertretungsgesetz beispielsweise dahingehend geändert, daß bei Einstellungen von Beschäftigten im Programmbereich an Stelle der Mitbestimmung die Mitwirkung tritt, bzw. die Mitbestimmungn nur auf Antrag der von der personellen Maßnahme Betroffenen stattfindet.
Dieses neue Deutsche-Welle-Gesetz bringt darüber hinaus auch eine Einschränkung der Tarifhoheit mit sich. In § 47 „Tarifliche Regelungen“ heißt es: „Die Beschäftigten der Deutschen Welle dürfen grundsätzlich nicht bessergestellt werden als vergleichbare Arbeitnehmer des Bundes. Vor dem Abschluß von Tarifverträgen, die in Abweichung von Satz 1 die Beschäftigten der Deutschen Welle besser als vergleichbare Arbeitnehmer des Bundes stellen würden, ist das Einvernehmen mit der Bundesregierung herbeizuführen.“
In dieser Formulierung sehen Beschäftigte und vor allem die Gewerkschaften als Tarifparteien einen erheblichen Eingriff in die Tarifhoheit.
„Kundenorientierung“ und „Flexibilität“
Institut für Rundfunktechnik (Tobias Bossert)
Das Institut bearbeitet seit vier Jahrzehnten längerfristig angelegte technische Fragestellungen für die Anstalten und leistet auch kurzfristige „Feuerwehreinsätze“. Neuerdings ist Projektorientierung, Kundenorientierung und Flexibilität angesagt. Es geht nicht mehr darum, eine Sache gut zu machen, sondern ausschließlich darum, den Kunden zufriedenzustellen, bei möglichst minimalem Aufwand. Bei der Projektarbeit wird viel geplant, es werden mehr Zwischenberichte verfaßt, als gelesen werden können. Damit die Kunden, die Rundfunkanstalten, zufrieden sind, wird verstärkter Wert auf Präsentation gelegt, noch niemals wurde mit so viel Aufwand verpackt.
Bislang war das Institut für die Anstalten „einfach da“, sie konnten beliebig Hilfe anfordern. Jetzt werden dafür plötzlich Rechnungen ausgestellt, obwohl es für Beratung und technische Unterstützung – zumindest bisher – gar keinen Etatposten gibt. Das führt dazu, daß häufiger auf die Anforderung der einen oder anderen kleinen Leistung verzichtet wird.
„Immenser Spardruck“
n-tv (Holger Dittberner)
Seit 1993 gibt es einen Betriebsrat, dem die Geschäftsführung insgesamt positiv gegenübersteht. Ergebnis war ein Haustarifvertrag. Aber immenser Spardruck – eine Folge der immer noch roten Zahlen des Unternehmens – führt dazu, daß von den Beschäftigten nicht nur großer Einsatz verlangt wird, sondern daß auch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, manchmal mit Füßen getreten werden, z.B. bei Genehmigung von Überstunden. Es gibt Rückfälle in Zeiten, die schon überwunden geglaubt waren. Das bringt Frustrationen hervor.
„Arbeitslose für den Bedarfsfall“
Studio Babelsberg (Jan-Peter Schmarje)
Das ehemalige DEFA-Studio ist in sechs Betriebe zerstückelt worden (die kleinste Einheit hat nur vier Beschäftigte). Dem Betriebsrat gelang es durchzusetzen, daß die Interessen der Belegschaft (ca. 600 Mitarbeiter) weiterhin durch einen einzigen Betriebsrat vertreten werden.
Der Studiobetrieb hat vor rund einem halben Jahr gegen den massiven Widerstand des Betriebsrats die Zahl seiner gewerblichen Mitarbeiter im Ausstattungskomplex nahezu halbiert. Der Geschäftsführer erwartet, daß jeder verbliebene Mitarbeiter ein oder zwei Arbeitslose benennt, die im Bedarfsfall aktiviert werden können, um auch weiter auf große Aufträge reagieren zu können.
Der Betriebsrat hat oft damit zu tun, die Entfernung von Scheinpraktikanten, die eine kostenlose Arbeit bis zu sechs Monaten anbieten, aus dem Betrieb zu verlangen. Manchmal ist solchen Menschen schwer zu vermitteln, daß sie mit ihren unentgeltlichen Arbeitsangeboten Arbeitsplätze gefährden.
„Immense Entlassungswelle befürchtet“
Radio 7 (Barbara Grech)
Im Gegensatz zu den meisten Privatradios in Baden-Württemberg hat der Ulmer Privatsender, der der „Südwest Presse“ und der „Schwäbischen Zeitung“ gehört, einen Betriebsrat. Bislang gibt es drei „Bereichssender“ und mehrere Lokalsender. Aber die Folge eines neuen Landesmediengesetzes, das 2002 in Kraft treten soll, wird voraussichtlich ein landesweiter Privatsender sein. Es wird befürchtet, daß dadurch eine immense Entlassungswelle ausgelöst wird, nicht nur bei Festangestellten, sondern auch bei Freien. Bei Radio 7 herrscht der Eindruck, daß die Gewerkschaft nicht sehr viel für die Beschäftigten von Privatsendern tut.
„Qualität durch eigene Mitarbeiter“
RTL (Jean-Pierre Clert)
Bei RTL haben Programmdirektion und Chefredaktion erkannt, daß Qualität besser durch eigene Mitarbeiter zu erreichen ist. Eigene Mitarbeiter kosten dasselbe Geld. Die Beschäftigten scheinen sich relativ wohl zu fühlen. Immer mehr schreiben die Arbeitszeiten auf.
Einen Betriebsrat gibt es seit langem, aber in den letzten zwei Jahren hat es im Gegensatz zu früheren Zeiten kaum noch Betriebsvereinbarungen gegeben. Das könnte auch am jetzigen Betriebsrat liegen. Eine Gegenliste zur gewerkschaftlichen Liste, in der Gruppenleiter und Abteilungsleiter großen Einfluß haben, hat viele Stimmen bekommen, so daß eine Pattsituation entstanden ist. Deshalb wird alle sechs Monate der Betriebsratsvorsitzende gewechselt. Auf den elektronischen schwarzen Brettern des Betriebsrats häufen sich Nachrichten, die nichts mit Betriebsratsarbeit zu tun haben (z.B. „Lachs preiswert zu verkaufen“ oder Angebote von Mitfahrgelegenheiten). Die Gewerkschaften haben es schwer im Betrieb, wohl auch, weil es den Beschäftigten finanziell relativ gut geht.
„Beratungsnetz“ gegen „Vereinzelung“
Filmverband Nord (Olla Höf)
Die Beschäftigten dieses Bereichs arbeiten extrem vereinzelt. Um Vereinzelung zu durchbrechen, wäre ein Beratungsnetz nötig. Bei den Freien gibt es relativ wenig Interesse an ehrenamtlichen Strukturen, eher noch bei „Festen“. Man kann sich nicht auf einen Betriebsrat stützen, Informationen werden überwiegend per Telefon ausgetauscht. Der Organisationsgrad ist niedrig, die Angst rauszufliegen ist groß.
Bei den „nichttraditionellen Filmschaffenden“ gibt es keine Tarifverträge. Bei den Festen gibt es starke Befürchtungen, daß Arbeitszeitflexibilisierung nur ein anderes Wort für Nichtbezahlung von Überstunden ist. Wo 14 bis 16 Stunden gearbeitet wird wie in der Produktion bei Freien und Festen, wird ein Ausgleich früher benötigt als innerhalb von ein bis zwei Jahren.
Das landesbezirksübergreifende Kinoprojekt der Gewerkschaft war sehr erfolgreich. Große Hoffnungen werden jetzt in das gewerkschaftliche Projekt Privater Rundfunk/Filmwirtschaft gesetzt.
„Große Einkommensunterschiede“
Cinemaxx Hannover (Christian Gudehus)
In der Kinobranche gibt es eine hervorragende wirtschaftliche Entwicklung. Große Investitionen werden vorgenommen, und es wird ein Anstieg der Beschäftigtenzahl von 20000 auf 60000 erwartet. Zwei Drittel der Beschäftigten sind Studenten. In der Branche gibt es sehr große Einkommensunterschiede, die Monatsnettolöhne liegen zwischen 1300 und 2600 Mark. Großkinobetreiber bieten die besseren Bedingungen. Die Beschäftigten werden zu Arbeiten in allen Bereichen eingeteilt, einschließlich zum Toilettenreinigen. Die Betreuung durch die Gewerkschaften ist sehr unterschiedlich, bisweilen auch, wenn der Sekretär kein Interesse zeigt, katastrophal. In das erfolgreiche Kinoprojekt der IG Medien sollten auch ehrenamtliche Kollegen einbezogen werden.