Filmproduzent geriet zwischen die Mühlsteine des neuen Insolvenzrechts
Schreckensszenarien hat der Berliner Filmproduzent Sven Derken* schon gedreht. Dass er selbst in einem solchen eine Hauptrolle spielen würde, hätte er sich nie träumen lassen. Die vor dem Hintergrund des neuen Insolvenzrechts handelnde Story hat ein vertracktes Script …
Wenn Derken am Set arbeitet, hat er einen 16-Stunden-Tag. Zeit, sich um Abrechnungen, Verträge oder anderes zu kümmern, bleibt kaum. Mit tausenden Mark für Flüge, Hotelunterkünfte, Telefonate und andere dienstliche Nebenausgaben ging der auch im amerikanischen Filmgeschäft erfahrene Mittvierziger für seinen Arbeitgeber, eine Münchner Filmproduktionsfirma, langfristig in Vorleistung. Zu blauäugig, wie er heute weiß. Auch sein mündlich ausgehandelter fester Arbeitsvertrag wurde nie endgültig unterzeichnet, jedoch „gelebt“. Man bot ihm mit Blick aufs große Geschäft sogar einen unbefristete Anstellung an. Doch die Spielfilme der mit Werbefilmen und Dokumentationen bekannt gewordenen Medienfirma floppten. Dass sich die wirtschaftliche Situation Mitte 2001 zuspitzte, registrierte Derken zwar, ließ sich aber wie alle in der Crew einlullen: Der Boss werde es auch diesmal in den Griff kriegen. Erst als Derken seine Auslagen endlich in Rechnung stellte und ausbleibende Gehaltszahlungen einforderte, wurde er richtig wach. Denn ohne weiteren Vermerk – und zunächst ohne reguläre Kündigung, mit der er beim Arbeitsamt hätte Leistungen beantragen können – bekam Derken seine Unterlagen einschließlich der Steuerkarte zurück. Der gut dotierte und spannende Job war futsch.
„Leider kommt es vor, dass Arbeitnehmer auf guten Glauben hin arbeiten, weil der Chef kollegial ist und man sich einem gemeinsamen Projekt verbunden fühlt,“ schätzt Miriam Alex von der Rechtsabteilung der ver.di-Bundesverwaltung ein. „Immer – und so sieht es das zwei Jahre alte Nachweisgesetz auch vor – sollte man auf einem schriftlichen Arbeitsvertrag bestehen. Darauf hat man Anspruch.“
Da es keinen Betriebsrat gab, der dem Kollegen helfen konnte, ging Derken mit einer Kündigungsschutzklage vor Gericht. Das Verfahren endete in einem Vergleich. Statt einem Jahr Gehaltsnachzahlung laut – mündlichem – Vertrag wurden ihm noch drei Monate zugebilligt, wovon einer als Abfindung gelten sollte. Die Auslagen wurden mit 15 000 DM auf ein Drittel heruntergerechnet, der Arbeitgeber zu einer Abschlagzahlung verurteilt – die er schuldig blieb. Das eingeleitete Mahnverfahren brachte einen vollstreckbaren Titel. Nach erneuter Verschleppung der Zahlung beantragte Derken schließlich, das Firmenkonto zu sperren und die Summe zu pfänden. Es zog sich nochmals Wochen hin, bis er den Geldeingang auf seinem Konto verzeichnen konnte.
Inzwischen kümmerte sich der Filmproduzent um andere Projekte, hatte Reserven aufgezehrt, um seine Familie mit drei Kindern über Wasser halten und die Anwaltskosten bezahlen zu können. Denn leider hatte er keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen und war – obwohl im Regieverband organisiert – kein ver.di-Mitglied, das Arbeitsrechtsschutz genießt. „Warum war ich nicht konsequenter,“ wirft er sich heute vor. Weniger Vertrauensseligkeit hätte ihm weitere leidvolle Erfahrungen erspart.
Spielraum nicht genutzt
„Wenn Gehaltszahlungen ausbleiben oder Auslagen nicht erstattet werden“, rät Miriam Alex, „sollten Arbeitnehmer nicht weiter arbeiten und rechtliche Beratung suchen. Solch mehrfache Verzögerungen können Signal für drohende Insolvenz sein.“
Genau dadurch geschah Derken Arges. „Kurz nachdem ich mein Geld bekommen hatte, meldete die Firma Insolvenz an. Der Insolvenzverwalter forderte umgehend den gesamten mir vom Gericht zugesprochenen Betrag zurück.“ Das passierte offensichtlich buchstabengetreu nach dem neuen Insolvenzrecht, das – anders als in der früheren Konkursverordnung – Arbeitnehmer auf eine Stufe mit allen anderen Gläubigern stellt. „Da sie mit Insolvenzausfallgeld vom Arbeitsamt rechnen können, werden ihre Forderungen nicht mehr privilegiert behandelt. Alle innerhalb des Vormonats vor Insolvenzeröffnung geleisteten Zahlungen kann der Insolvenzverwalter zurückholen. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass im Wissen um die bevorstehende Insolvenz einzelne nahe stehende Gläubiger bevorzugt oder Mittel umverteilt werden“, schätzt Derkens Rechtsbeistand Jörg-Klaus Baumgart ein. Zwar sei der spezielle Schutzmechanismus für Arbeitnehmer weggefallen, gleichwohl sieht der Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht bei der Rückforderung einen Ermessensspielraum. Auch Meike Jäger vom ver.di Projekt für Medienschaffende connexx.av hält es für wahrscheinlich, dass der Insolvenzverwalter einen „Spielraum für die Beurteilung der von Kollegen Derken eingeklagten Summe“ gehabt hätte. Sie weist auch auf das Versäumnis Derkens hin. Statt sofort den Gerichtsvollzieher zu schicken und pfänden zu lassen, habe der Kollege zu lange abgewartet. Letztlich es handelte es sich um „einen Tag, den das Geld dann zu spät kam“, rechnet Derken nach.
Doch kein Musterfall
Da er nicht glauben konnte, sein Arbeitsentgelt aus fester Anstellung in die Insolvenzmasse einspeisen zu müssen – „mein Lohn ist mir rechtens zugesprochen worden!“ – ging er erneut vor Gericht. Und verlor. In zweiter Instanz entschied das Arbeitsgericht Berlin im Juni dieses Jahres, dass Derken 20 000 Euro zurückzuzahlen habe, einschließlich Zinsen, Gerichtskosten und Honorare für den gegnerischen Anwalt. Auf ein Abstottern ließ dieser sich nicht ein, konfrontierte Derken sofort mit dem Gerichtsvollzieher. Die Nerven des Filmemachers liegen blank, er ist bis heute konsterniert, dass ein Arbeitsgericht so „eklatant gegen die Interessen von Arbeitnehmern“ entscheiden kann.
Anwalt Baumgart ging in Berufung und bemühte sich parallel um einen Vergleich. Eine „Alternative“, der so genannte „Offenbarungseid“, hätte Derken um seinen mühsamen Neubeginn als Selbstständiger gebracht. Er hätte all seine Vermögensverhältnisse offen legen und sich bei der Schufa registrieren lassen müssen. „Ich wäre auf absehbare Zeit nicht geschäftsfähig, meine Existenz endgültig erledigt. Und meine Familie würde noch tiefer in diesen Strudel der größten Medienkrise der Nachkriegszeit gezogen.“ Obwohl Derken sich „als schwächstes Glied in der Kette“ unverschuldet zwischen die Mühlsteine geraten fühlt, wird er wohl dem nun ausgehandelten Vergleich folgen. Danach wird er circa ein Drittel der ursprünglich verlangten Summe von 20 000 Euro zahlen, um „endlich Ruhe zu haben und mich der Zukunft zuzuwenden.“
Anwalt Baumgart sieht anhand dieses Falls rechtliche Defizite. „Arbeitnehmer sind mit dem neuen Insolvenzrecht offensichtlich doch benachteiligt, weil ihr Arbeitsentgelt zur Finanzierung des Insolvenzverfahrens herangezogen wird. Somit finanziert jeder Arbeitnehmer, der mit seinem Lohn einen Beitrag zur Insolvenzversicherung zahlt, letztlich das Insolvenzverfahren seines Arbeitgebers. Hier müsste nachgebessert werden“, kommentiert Baumgart. „Denn eine höchstrichterliche Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht existiert noch nicht.“ Für den Anwalt wäre Derkens Fall ein Musterfall für das Bundesarbeitsgericht gewesen. Aber Derken weiß, dass er dieses Procedere nicht mehr durchsteht.