Europäische Harmonisierung von unten gefragt und notwendig
Hinter der politischen Einheit Europas verbirgt sich nach wie vor eine enorme kulturelle Vielfalt. Auch Jugendschutz wird in jedem Land unterschiedlich gehandhabt – je nach kultureller Tradition. Angesichts der technischen Entwicklung von Medien, die an Ländergrenzen nicht halt macht, stellt sich die Frage, ob eine europäische Harmonisierung nicht auch auf kulturelle Bereiche ausgeweitet werden sollte – zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor beeinträchtigenden oder gefährdenden Inhalten.
Derzeit kommt Jugendmedienschutz in der Europäischen Gesetzgebung nur in generalisierenden Worten vor. Verbindlich ist die Fernsehrichtlinie von 1989, die 1997 überarbeitet wurde. Darin heißt es, dass Jugend gefährdende oder die Entwicklung schädigende Inhalte, insbesondere Pornographie und die Darstellung grundloser Gewalt, nicht verbreitet werden sollen.
Verboten ist auch, die Entwicklung beeinträchtigende Angebote zu zeigen, es sei denn, technische Hilfsmittel schließen den Zugang aus oder es geschieht zu einer Zeit, wo Jugendliche in der Regel nicht fernsehen. Konkrete Auslegungen sind den einzelnen Ländern vorbehalten. Bei Filmen und für das Internet werden dagegen lediglich Empfehlungen ausgesprochen. Sie sollen Eltern und Anbieter von Inhalten dazu anregen, Verantwortung zu übernehmen, damit problematische Inhalte nicht zu den Kindern gelangen.
„Ein erster Schritt in Richtung europäischer Harmonisierung bestünde darin“, sagt Alexander Scheuer, Geschäftsführer des Instituts für Europäisches Medienrecht, „die Bewertungskriterien, die an ein Werk angelegt werden, zu vereinheitlichen. Wenn es gleichzeitig gelingt, die Alterseinstufungsklassen in den verschiedenen Ländern einander anzugleichen, ist man einen guten Schritt weiter. Schließlich ist es nicht einleuchtend, warum das eine Land Filme ab 6, das andere Filme erst ab 7 Jahren freigibt.“ Daneben müssten, so Scheuer, die Bewertungen von Sendungen und Filmen für die Öffentlichkeit transparent gemacht werden. Auf diese Weise werde klar, warum bestimmte Alterseinstufungen getroffen worden sind. Auch ließen sich die Entscheidungen leichter akzeptieren.
Meinungen bündeln
Aber wer könnte eine solche Harmonisierung herbeiführen? Unter Jugendschützern herrscht die Angst, dass Brüssel diese Instanz sein wird und damit nationale Einflussmöglichkeiten verloren gehen. „Man müsste eine zentrale Anlaufstelle in Europa schaffen, die durchaus getragen sein kann von Selbstregulierungseinrichtungen, also von Verbänden der Anbieter, von Rundfunkveranstaltern, von Internetdiensteanbietern, von Filmproduzenten. Diese Stelle sollte sich der Aufgabe annehmen, Meinungen zu bündeln und Lösungsvorschläge zu erarbeiten“, schlägt Scheuer vor.
Besonders interessant kann dies auch für die EU-Beitrittsländer sein, die noch wenig Erfahrungen mit Jugendmedienschutz haben. In Polen beispielsweise gibt es weder Selbstkontrolleinrichtungen für den Film, wie sie Deutschland zum Beispiel hat, noch staatliche Gremien mit entsprechenden Aufgaben. Filme werden dort von den Verleihern eingestuft. „Es gibt keine spezielle Institution für das Fernsehen“, berichtet Lucyna Kirwil von der Universität Warschau. „Die Sender entscheiden nach ihren eigenen Regeln, wie sie Filme einsetzen. Die einzige Ausnahme ist eine Vereinbarung der Fernsehveranstalter, die den Titel ‚Friendly Media‘ trägt und 1999 getroffen wurde. Sie besagt, dass man dem Gesetz zum Schutz von Kindern gegen mögliche negative Auswirkungen des Fernsehprogramms folgen will.“
Die Alterseinstufungen reichen in Polen von 0 über 6, 12, 15 bis 18 Jahre. Kriterien sind, inwiefern Feindseligkeit, Gewalt, Sex oder eine rohe Sprache in den Filmen vorkommen. Außerdem müssen die Fernsehsender die Programme kennzeichnen. Über die Bewertung der Medieninhalte gibt es allerdings keinen breiten gesellschaftlichen Konsens.
Erinnerung an Zensur
Dass sich dies mit dem Beitritt Polens zur EU ändern wird, ist nicht absehbar. Für Selbstkontrolleinrichtungen mit einer breiten gesellschaftlichen Beteiligung fehlt das Geld, für staatlich eingesetzte Gremien das Vertrauen. „Die Gesellschaft steht Regeln, die an Zensur erinnern könnten, sehr ablehnend gegenüber. Alles, was dahin führen könnte, Inhalte vor ihrer Ausstrahlung zu kontrollieren, wird als Zensur betrachtet. Das ist nicht populär“, erklärt Lucyna Kirwil. „Gleichzeitig haben wir in Polen eine starke Zunahme an Drogenmissbrauch und Jugendkriminalität. Auch gibt es Orientierungsschwierigkeiten angesichts der vielen Lebensstile, die über die Medien vermittelt werden. Hier müssen Kinder geführt werden.“
Wie wichtig es ist, sich auf europaweite Normen zu einigen, unterlegt eine internationale Studie der UNESCO. Untersucht wurde, wie sich Mediengewalt auf das Leben von Kindern und Jugendlichen auswirkt – je nachdem, aus welchem kulturellen Umfeld sie kommen. Kulturelle Werte, die Mediensozialisation und die Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen haben Einfluss darauf, ob Gewaltdarstellungen in den Medien nachgeahmt werden oder nicht.
Einigung möglich
Dass ein europäischer Konsens machbar ist, zeigte eine Diskussion unter Jugendschützern auf der „Europäischen Konferenz für Filmfreigaben“ im September in Berlin über den Spielfilm „Ali G inda house“. Das Spektrum der Freigaben reicht hier von ohne Altersbeschränkung in Frankreich bis zu frei ab 18 Jahren in Irland. In Großbritannien beispielsweise wurde der Film wegen Szenen, in denen Drogen konsumiert wurden, ab 15 freigegeben. Dennoch: In der Diskussion zeigte sich, dass trotz der kulturellen Unterschiede eine Einigung auf eine Freigabe zwischen 12 und 16 Jahren möglich gewesen wäre.
Schließlich sind alle Entscheidungen immer mit lebenden Menschen verbunden. Und das Wissen darüber, was sie bewegt, scheint ein erster Schritt in Richtung Harmonisierung zu sein. Christiane von Wahlert, Geschäftsführerin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), fasste denn auch den Stand der Debatte mit den Worten zusammen: „Ob wir eine Harmonisierung bekommen werden, weiß ich nicht. Trotzdem ist es sinnvoll, immer wieder darüber zu sprechen. Das Zusammenwachsen hat auch damit zu tun, dass wir mehr Kenntnis voneinander erhalten, und das ist schon mal ein Wert an sich.“