Schlappe für den „Spiegel“

Fotografen gewannen zweite Runde im Prozeß um Jahrgang-CD-ROMs

Der Hamburger Verlag des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hat eine schwere rechtliche Schlappe hinnehmen müssen – und mit ihm alle, die bisher bei Multimediaprodukten die Rechte der Urheber ignorieren. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) gab am 5. November 1998 in Hamburg in einem Grundurteil in der zweiten Instanz (Az: 3 U 212/97) einer Schadensersatzklage von FreeLens statt. Der Verlag darf die Aufnahmen von 64 Fotografen auf der CD-ROM-Version der „Spiegel“-Jahrgänge 1989 bis 1993 nicht weiter verbreiten und ist wegen Urheberrechtsverletzung zu Schadensersatz verpflichtet.

„Der Spiegel“ war in Deutschland ein Vorreiter bei der Zweitverwertung des Zeitschriftenprodukts auf CD-ROM. Beginnend mit dem Jahrgang 1989 wurden alle Ausgaben jahrgangsweise auf die Silberscheiben gebrannt und für stolze 150 Mark pro Stück verkauft. Gut fürs Renommee – und billig noch dazu. Denn die Text- und Bildurheber gingen leer aus. Erst seit 1994 holt sich der Spiegel-Verlag ihre nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) erforderliche Zustimmung und zahlt Fotojournalisten im Schnitt 20 Prozent Aufschlag auf das – allerdings vorher seit Jahren nicht erhöhte – Honorar.

Vor zwei Jahren hatte die Fotojournalisten-Vereinigung FreeLens beim Landgericht Hamburg eine exemplarische Zahlungsklage für rund 700 Fotos eingereicht, die ohne Genehmigung und Honorierung auf den ersten fünf Jahrgang-CD-ROMs des Magazins veröffentlicht worden waren. Gefordert wurde pro Foto 20 Mark, sowie ein zusätzlicher Strafzuschlag von 10 Mark – also einen Gesamtbetrag von gut 21.000 Mark. Insgesamt geht es allerdings um etwa 7000 Fotos von über 70 Fotografen, die nach Auffassung von FreeLens widerrechtlich verwendet wurden.

Doch aus dem erhofften „Musterurteil“ zugunsten der Urheber wurde zunächst nichts. Überraschend für viele Juristen und Medienleute wies das Hamburger Gericht im August 1997 die FreeLens-Klage zurück (siehe M 10/97). Richter Wolfgang Neuschild befand, eine CD-ROM sei kein neues Medium, sondern mit der herkömmichen Archivierung auf Mikrofiches gleichzusetzen. Das weltfremde Urteil erging übrigens ohne praktische Überprüfung – im ganzen Landgericht gab es keinen PC mit CD-ROM-Laufwerk.

Diese Entscheidung hat der 3. Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichtes nun in der Berufungsinstanz aufgehoben. Unter Vorsitz von Richter Hermann Brüning stellte es fest, daß die CD-ROM nicht nur eine neue Übermittlungstechnik, sondern eine neue, selbständige Nutzungsart im Sinne des UrhG sei. Für die CD-ROM-Version der Zeitschrift müßten daher Nutzungsrechte eingeräumt werden. Dies hätten die betroffenen Fotografen aber weder ausdrücklich noch stillschweigend getan. Deshalb sei „Der Spiegel“ zur Unterlassung der weiteren Verbreitung dieser CD-ROMs und „in mindestens 707 Fällen“ wegen Verletzung der Urheberrechte dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Das Gericht wird die Entscheidung über die Schadenshöhe in einem Schlußurteil fällen. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof wurde allerdings zugelassen.

Diese Möglichkeit will der Spiegel-Verlag jetzt prüfen. Er wird dabei nicht nur juristische Kriterien anlegen. Rund 21000 Mark für 700 Fotos sind für den wohlsituierten Verlag leicht zu verschmerzen, das Zehnfache für 7000 Fotos auch. Doch wenn alle Urheber sich auf das OLG-Urteil berufen, geht es auch für den Hamburger Verlag um siebenstellige Summen. Und es gibt nicht nur den „Spiegel“ auf CD-ROM, einmal ganz abgesehen von der Online-Zweitverwertung, für die die meisten deutschen Medienunternehmen freien Text- und Bildjournalisten keinen Pfennig zahlen.

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