Journalist mit Appetit

Autobiografie von Gert von Paczensky

„Der deutsche Journalismus ist auf den Hund gekommen“, schreibt Peter Köpf in der letzten Ausgabe von «M». In solchen Zeiten neigt man zur Nostalgie: Früher war alles anders, da gab es kritischen und unabhängigen Journalismus. Nostalgie verklärt. Da tut es gut, eine authentische Stimme zu hören, die glaubwürdig berichten kann, dass nicht alles, aber vieles anders war: Gert von Paczensky, gleichermaßen berühmt als Erfinder des TV-Magazins „Panorama“, als Moderator der Talkshow „III nach 9“ und als Pionier der Restaurantkritik bei „essen & trinken“ hat seine Erinnerungen aufgeschrieben.

Paczensky, Jahrgang 1925, legt keine Autobiografie im klassischen Sinne vor, sondern schildert, unangestrengt zwischen den Zeitläuften hin- und herspringend, episodisch und detailliert eine journalistische Karriere, die immer dann ihre Brüche hatte, wenn Chefredakteure, Verleger oder TV-Hierarchen dem eigenwilligen, unabhängig denkenden und überaus selbstbewußten „Pacz“ meinten sagen zu müssen, was er zu tun oder zu lassen habe. Beispielhaft dafür liest sich, wie die einstmals liberale „Welt“ nach der Übernahme durch Springer systematisch auf Kalten-Kriegs-Kurs eingeschworen wurde und die auf Verständigung mit dem Ostblock orientierte Redaktionslinie obsolet wurde. „Zum ersten Mal passierte mir, dass ich einen Leitartikel, den ich vereinbarungsgemäß geschrieben hatte, am nächsten Morgen vergeblich im Blatt suchte.“ Paczensky kündigte, übrigens gemeinsam mit Kollegen, nach zwölf Jahren „Welt“.

Ähnlich unbeirrbar machte er „Panorama“ zu einer Institution, die im braven Fernsehen des Adenauer-Deutschland als regierungskritisches Magazin geradezu revolutionär wirkte. „Der Spitzbart muß weg“, Zitat aus einem Leserbrief in der „Bild“, wurde zum geflügelten Wort und Beispiel für eine erfolgreiche Kampagne: Der „Spitzbart“ ging, freiwillig. Ob beim „Stern“ oder bei Radio Bremen: Paczensky pochte auf seine journalistische Kompetenz, die sich parteipolitischem Druck konsequent widersetzte. Paczensky ist sich seines legendären Rufes auf keinesfalls unsympathische Weise bewußt: „Ich kann in Anspruch nehmen, gemeinsam mit Rüdiger Proske systematisch kritischen Journalismus im deutschen Fernsehen durchgesetzt zu haben.“

Dass die CDU ihn zum „gefährlichen Linksintellektuellen“ stempelte, findet er bis heute eher schmeichelhaft. Die Freude und das Interesse an der Küche, die journalistische Beschäftigung damit, machte ihn auch auf diesem Gebiet zum Pionier. Vergnüglich und lehrreich lesen sich Paczenskys Restaurant- und Genußerfahrungen, eingestreut in die Erinnerungen an journalistische Stationen, zurückgehend bis in die frühe Kindheit. Einen Widerspruch zum „seriösen“ Journalismus hat Paczensky in 30 Jahren als Gourmetkritiker nie gesehen: „Gastronomie, Essen und Trinken sind Bestandteile unserer Kultur, im wahren Sinne ein Kulturerbe“.

Gert von Paczensky: Journalist mit Appetit.
Panorama, essen & trinken und andere Erinnerungen
Walter Hädecke Verlag, Köln 2003,
ISBN 3-7750-0701-6, 304 Seiten, 19,90 Euro

Weitere aktuelle Beiträge

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »

Internet: Journalismus unter Druck

Angesichts der Vielzahl von Beiträgen zum 30-jährigen Jubiläum des Internets arbeitet der Journalist Jann-Luca Künßberg in einem Gastbeitrag für Netzpolitik.org heraus, wie umfangreich die Online-Welt Journalismus selbst verändert hat. Enorm schnell, so Künßberg, habe der Geschäftsgedanke die Vision eines digitalen Versammlungsorts beiseitegeschoben.
mehr »

Rechtes Rauschen im Blätterwald

Ob Neuerscheinungen, Zusammenlegungen, Relaunches oder altgediente rechte Verlage: Was die Periodika der Neuen Rechten, ihrer Parteien, Organisationen oder auch einflussreicher kleinerer Kreise anbetrifft, lässt sich gerade angesichts des rechtspopulistischen Aufschwungs der letzten etwa 20 Jahre viel Bewegung ausmachen.
mehr »

VG Wort ändert Verteilungsplan

Die Mitgliederversammlung der VG Wort hat in ihrer Mai-Sitzung eine Reform des METIS-Systems mit der erforderlichen Mehrheit in allen Berufsgruppen beschlossen. Sie führt zu wichtigen Änderungen im Verteilungsplan der VG Wort. Vertreter der dju in ver.di haben das vorliegende Papier in Teilen kritisiert und versucht, es noch mit Änderungsanträgen zu beeinflussen – ohne Erfolg.
mehr »