Willkürliche Auslegung

Tatjana Melnitschuk, vom Verband der Unabhängigen Journalisten Weißrusslands über den Umgang mit dem Mediengesetz

«M»: Die belorussische Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung. Auch der ungehinderte Zugang zu Informationen ist gesetzlich geregelt. Wie sieht die journalistische Praxis aus?

Tatjana Melnitschuk: Das Gesetz „Über die Presse und die anderen Massenmedien“ behindert mich als Journalistin bei der Berufsausübung eher. So wird den Medien im Artikel 5 untersagt, zu nationaler und sozialer Intoleranz oder Feindschaft aufzustacheln. Das heißt, ich schreibe zum Beispiel über eine Demonstration und auch wie die Polizei auf Demonstranten einschlug. Dafür werde ich der Stiftung von sozialem Unfrieden beschuldigt. Einige unserer Zeitungen haben sich für das Recht der polnischen Minderheit im Westen des Landes auf eigene Schulen und gesellschaftliche Organisationen eingesetzt. Sie wurden dafür der Anstiftung zu nationaler Feindschaft bezichtigt. Die Gesetzgebung untersagt den Medien außerdem, Informationen zu verbreiten, die die Ehre und Würde des Präsidenten sowie der Leiter von Staatsorganen verletzen. Auch hier muss dieser Paragraph herhalten, nach dem in der jüngsten Zeit eine Reihe von Journalisten zu Strafarbeit bzw. Haft verurteilt worden sind. Das Gesetz wird willkürlich angewandt und die Gerichte sind nicht unabhängig von denen, die die Macht haben.

«M»: Und wie sieht es mit dem freien Zugang zu Informationen aus?

Tatjana Melnitschuk: Der wird mit diesem Mediengesetz eingeschränkt. So gibt es eine vom Ministerium für Justiz herausgegebene Liste mit politischen Parteien, Gewerkschaften und sonstigen gesellschaftlichen Vereinigungen. Ausschließlich bei diesen dürfen Journalisten Informationen einholen. Doch wer ist dort registriert? Zum Beispiel nur diejenige kommunistische Partei Belorusslands, die Lukaschenko unterstützt. Nicht zu finden ist zum Beispiel eine sehr aktive Jugendbewegung „Subr“, die unter anderem vor kurzem die großen Demonstrationen organisiert hat, oder die Bewegung „Junge Front“ und ebenso eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen, denen die Registrierung aberkannt wurde. Wenn der Name einer dieser Organisationen dann in einer unabhängigen Zeitung genannt wird, kann die Zeitung dafür belangt werden.

«M»: Was tut unter solchen Bedingungen der Journalistenverband?

Tatjana Melnitschuk: Unser unabhängiger Verband besteht jetzt seit fast zehn Jahren und ist vor allem auf juristischem Gebiet sehr aktiv und hat ein Zentrum zum Schutz der Journalisten. Dieses Zentrum beauftragt Rechtsanwälte bei Prozessen gegen einzelne Kollegen oder Medien, publiziert einschlägige juristische Fachliteratur und unterrichtet Kollegen, wie sie im Rahmen der vorhandenen Gesetze und Verordnungen agieren können. Wie auch sonst bei uns existieren parallel zwei Organisationen: ein Journalistenverband als Überbleibsel der Sowjetzeit, der die Machthaber stets unterstützt und nie mit ihnen in Konflikt gerät, und unser unabhängiger Verband. Dieser war ursprünglich für die Kollegen in den unabhängigen Medien gedacht. Heute gehören ihm aber auch fast die Hälfte aller Journalisten der staatlichen Medien an.

Interview: Monika Struckow-Hamel

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