Viel zu spießig?

Jugendliche sind ganz anders, als die Medien glauben

Fernsehen für die „Kids?“ Ist doch einfach: Ganz egal, was man zeigt, Hauptsache, der Mann (oder die Frau) an der Kamera schwankt wie ein Seebär bei heftiger Dünung. Bei zufällig zuschauenden Älteren führt derlei zwar leicht zu Symptomen von Seekrankheit, doch die Aufmerksamkeit der Jugendlichen lässt sich nun mal nicht anders wecken. Tja, falsch gedacht.

Nach gründlichen Diskussionen mit 370 Menschen um die 16 war den Mitarbeitern des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (das IZI ist eine Einrichtung des Bayerischen Rundfunks) klar: Fernsehjournalisten haben von den konkreten Erwartungen Jugendlicher an die Medien nur eine höchst diffuse Vorstellung. Dies ist das Fazit des Projekts „Journalismus mit Jugendlichen für Jugendliche“, einer Studie, die das IZI gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung durchgeführt hat.

Nun war man ja bei ARD und ZDF auch bisher schon nicht mit Blindheit geschlagen, schließlich sprechen die Zahlen eine unmissverständliche Sprache: Das Fernsehen ist für Jugendliche zwar ebenso ein Leitmedium wie für alle anderen, aber öffentlich-rechtliche Informationsprogramme ignorieren sie mit fast schon wieder bewundernswerter Konsequenz; selbst wenn sie, was selten genug vorkommt, direkt angesprochen werden. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Jugendliche die Präsentationsform der Beiträge langweilig finden und sich für Nachrichten kaum interessieren. Sie ziehen ganz eindeutig Boulevard-Magazine wie „Explosiv“ (RTL) oder „Blitz“ (Sat.1) vor. Die Befragungen im Rahmen des IZI-Projekts zeigten nun, dass ihr Interesse wächst, wenn die Beiträge „an ihre eigene Alltagswelt anschließen“.

Zur Überraschung der Forscher wünschen sich die Jugendlichen nicht nur eine klare Strukturierung der Beiträge, sie kritisieren auch die modische Bildgestaltung: „Dynamische Kameraführung, stark bewegte Hintergründe und ungewöhnliche Kameraeinstellungen, die von den Autoren als besonders frische Elemente eingesetzt wurden, kamen bei den Jugendlichen nicht gut an“, heißt es in einem ersten Entwurf des Berichts. Auch von den Beiträgen in Jugendmagazinen erwarten die jungen Zuschauer in erster Linie Information: „Der Unterhaltungswert und ästhetische Aspekte spielen eher eine untergeordnete Rolle“. Spätestens jetzt ist wohl klar, dass Redakteure und Autoren von den konkreten Kriterien der Jugendlichen keine Ahnung haben.

Aus diversen Jugendstudien weiß man, dass Freundschaft, Musik, Liebe und Partnerschaft sowie Ausbildung und Beruf die großen Jugendthemen sind. Selbst bei solchen Berichten aber schalten Jugendliche offenbar ab, „wenn der Bezug zur eigenen Lebenswelt nicht deutlich wird“. Politische Themen hätten durchaus eine Chance, die Aufmerksamkeit zu erregen, wenn es den Autoren gelinge, „Jugendliche und ihre Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen oder ihnen zumindest Anknüpfungspunkte zu bieten“. Außerdem erwarteten sie fundierte Information: Sie „möchten meist möglichst umfassende Einblicke in ein Thema erhalten. Deshalb wird häufig kritisiert, dass nur ein bestimmter Aspekt und nicht die gesamte potenzielle Bandbreite eines Themas dargestellt wird“.

Besonders wichtig ist den jungen Zuschauern offenbar „die große Bandbreite unterschiedlicher Positionen“. Dabei wollten sie nicht nur „O-Töne“ von Gleichaltrigen, sondern auch Standpunkte von Personen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten: „Auf diese Weise erhalten sie Einblicke in Denkweisen und Standpunkte, die ihnen aus ihren eigenen Erfahrungen nicht vertraut sind“. Je vielschichtiger der Kreis der befragten Personen sei, desto besser werde ein Beitrag von den Jugendlichen bewertet. Dies sei vor allem bei Themen der Fall, zu denen sie die Meinungen ausgewiesener Experten wünschten, und zwar „die gesamte Bandbreite von absoluter Zustimmung bis zu kategorischer Ablehnung“. Die Jugendlichen wollten sich als Rezipienten ihre eigene Meinung bilden und nicht das Gefühl bekommen, es werde ihnen „eine einseitige Sichtweise aufgedrückt“. Sie erwarten von den Medien einen anwaltschaftlichen Journalismus, der aber „nicht wertet, sondern unparteiisch sein Thema aufrollt“.

Interessant waren auch die Ergebnisse einer Tagung, die das IZI Anfang Dezember veranstaltete. Dabei ging es neben dem Thema „Jugend und Journalismus“ auch um die Frage, was die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen von Sex im Fernsehen hält. Die verblüffende Erkenntnis: gar nichts. Jungen und Mädchen ist es offenbar am liebsten, wenn’s bei Andeutungen bleibt und den Rest die Fantasie erledigt. Pornografie finden gerade die Mädchen widerlich, Sex in Verbindung mit Gewalt lehnen sie generell ab. Das mag vielleicht verblüffen, passt aber prima ins Bild: Möglicherweise zum Schrecken ihrer Eltern, die vor zwei Jahrzehnten noch gegen Nachrüstung und Atomkraft demonstriert haben, ist die Jugend von heute leicht spießig. „Rebellieren gegen die Eltern ist out“, stellte eine Jugendforscherin lapidar fest.

Mehr zum Thema „Jugend und Journalismus“ in der vom IZI herausgegebenen aktuellen Ausgabe der „Televizion“. Die Studie wird im Frühjahr in Buchform erscheinen.

 

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