Viele Journalisten steigen ins PR-Fach ein wie Gabriele Mittag
Sie war mit Leib und Seele Journalistin. Schon als Schülerin schrieb sie kleine Reportagen für den Delmenhorster „Weser Kurier“. Später arbeitete Gabriele Mittag als Redakteurin und freie Autorin für Zeitungen wie Tagesspiegel, Freitag, taz und Berliner Zeitung, sie schrieb Feature für Deutschlandradio und SFB und gab Bücher heraus. Von Kindesbeinen an hatte sie ein Ideal: Sie möchte die Gesellschaft verändern und gestalten, die Politik „kontrollieren“.
Das will sie immer noch. Aber heute steht sie auf der „anderen Seite“. Nein, aus Gabriele Mittag wurde keine Politikerin, aus ihr wurde eine PR-Journalistin. Eine Frau, die den Medien das bietet, wovon früher auch sie profitiert hat: News, Zahlen, Hintergründe. Nun ist sie diejenige, die kritische Journalistinnen und Journalisten davon überzeugen muss, dass das Produkt, das sie „verkauft“, erstklassig ist.
PR-Newcomerin des Jahres
So wie Gabriele Mittag wechseln immer mehr Journalisten ins PR-Fach. Nicht selten, weil sie glauben, beide Branchen haben unmittelbar etwas miteinander zu tun. Oder weil sie weiterkommen wollen. Der triftigste Grund jedoch ist das mangelnde Angebot an Stellen und Honoraraufträgen in allen Medienbereichen. Manche rutschen – so wie Gabriele Mittag – beiläufig hinein. Als Autorin wurde sie hin und wieder gefragt, ob sie eine Podiumsdiskussion moderieren oder eine Broschüre schreiben möchte. Später heuerte sie als Texterin und Akquisiteurin in einer Berliner Agentur an. Auch sie glaubte zunächst, dass das Verfassen von Werbetexten sich nicht sonderlich vom journalistischen Schreiben unterscheidet.
„Die Übergänge vom Journalismus zu PR sind zum Teil fließend“, sagt Gabriele Mittag. Die wenigsten „konvertierenden“ Journalisten wissen zunächst, worauf sie sich einlassen. „PR ist der gezielte und langfristige Versuch, Kommunikationsprozesse zu gestalten und sie nicht dem Zufall zu überlassen“, sagt der PR-Journalist Klemens Warnke. Dazu gehört neben dem Verfassen von Pressemeldungen, vor allem die Kontaktpflege und die Kreation unverwechselbarer Kennzeichen des Unternehmens. Ein PR-Experte ist mehr als ein Journalist: Texter, Organisator, Aktionist, Kontakter.
Wie wichtig gute PR-Arbeit ist, zeigte die „media studie 2000“ der Pressedienste news und forsa. Die ergab, dass rund 80 Prozent der Journalisten Internet und E-Mail für ihre Recherchen nutzen. Aber niemand von ihnen Lust hat, Texte zu bekommen, die kritiklos etwas anpreisen. Ebenso hat niemand Zeit und Muße, alles zu lesen. Eine Untersuchung des Leipziger Professors für Öffentlichkeitsarbeit / PR, Günter Bentele, ergab, dass eine Mehrheit redaktioneller Beiträge von PR ausgeht. Am Beispiel der EXPO 2000 bezifferte er sie auf 67 Prozent. Bentele spricht daher von einer „Selbsttäuschung der Journalisten“. Der Salzburger Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber stellte eine Annäherung beider Disziplinen fest und spricht von „Entdifferenzierungs- und Hybridisierungstendenzen“. Als Beispiel führt er gern einen Text in der „Neuen Kronenzeitung“ an, der denkende Lego-Steine bei der Kette Media-Markt anpreist. Äußerlich ist er als redaktioneller Beitrag aufgemacht, in dem sich allerdings ein Werbetext „versteckt“. Diese Anzeige wurde von Lego bezahlt.
Solche PR hat Gabriele Mittag immer abgelehnt. Sie setzt auf klare Trennung von Information und Werbung. Im Sommer 2004 wurde sie mit dem Preis „PR-Newcomerin des Jahres“ geehrt, den das Magazins PR-Report zum zweiten Mal verlieh. Sie wurde auserkoren, weil sie dem Berliner Labyrinth Kindermuseum erstmalig zu einer Pressearbeit verhalf, mit dem das Museum nach Jahren seiner Existenz bundesweit bekannt wurde. Bevor sie 2003 die Stelle als Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit besetzte, wusste kaum ein Berliner, dass es im Arbeiterbezirk Wedding das 1000 Quadratmeter große Ausstellungsareal gibt.
Hoher Leistungsdruck
Als Gabriele Mittag den Preis entgegen nahm, spürte sie zum ersten Mal, dass der monatelange Stress belohnt wurde. PR-Leute sind in der Regel Menschen, die im Hintergrund arbeiten, damit andere „glänzen“. Einer media-Untersuchung (2003) zufolge verdienen PR-Leute in kleineren und mittleren Agenturen durchschnittlich tausend Euro monatlich bei einem 12- bis 14-Stundentag. Der Leistungsdruck ist hoch, die Teamstimmung oft am Rande des erträglichen und Mobbing Alltag. Wer all dies aushält und mehr als „nur“ einen Job erfüllen will, hat gute Chancen. Kurz nachdem Gabriele Mittag „PR-Newcomerin“ wurde, flatterten mehrere Angebote ins Haus. Für eins hat sie sich entschieden: Seit September ist sie Pressesprecherin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg.
Boomende Branche
Die PR-Branche boomt. Vor knapp einem Jahr waren in Deutschland nach Angaben der Deutschen Public Relations Gesellschaft über 15.000 Frauen und Männer im Bereich Öffentlichkeitsarbeit / PR tätig. In Europa waren es über 70.000. Allein in den vergangenen beiden Jahren haben sich rund 2.000 Journalisten aus allen journalistischen Bereichen zu PR-Fachkräften ausbilden lassen. Viele eröffneten als Ich-AG ein eigenes PR-Büro. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer beträgt die Zahl der Neugründungen 4 Prozent.