Die Idee von der „black box“

Ein Arbeitszeitmodell, auch für Redaktionen

Flexibilität, Variationsreichtum der Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung auf Grund von besonderen Arbeitsinhalten und -aufgaben in Redaktionen – was soll daran besonders sein? Jedenfalls ist nicht einzusehen, dass die „Kreativität“ eines Tageszeitungsredakteurs in Sachen Arbeitszeit Regellosigkeit verlangt, während es etwa bei IT-Entwicklern durchaus Modelle von kurz- und mittelfristiger Arbeitszeitgestaltung gibt.

Die Verfechter der Vertrauensarbeitszeit werben für ihre erfassungsfreie Arbeitszeitgestaltung mit dem „Vertrauen“, das im Verzicht des Arbeitgebers auf Anwesenheits- und Arbeitszeiten gegeben sei. Verbunden ist dies mit dem Angebot oder der Aufforderung, weitgehend selbstständig in Abteilungen und Gruppen die Arbeit zu organisieren und zu verteilen. Nun stellt sich aber die Frage, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat? Warum soll eine selbstständige Arbeitsorganisation ausgerechnet einer Arbeitszeiterfassung im Wege stehen? Und warum entfällt eine Arbeitszeiterfassung, wenn der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Arbeitszeit der Einzelnen verzichtet?

Vertrauen auf ein selbst geführtes Ampelkonto

Auf diese Fragen versucht die Idee der „black box“ eine Antwort zu geben. Ursprünglich auf der Basis mehrere Gruppengespräche für eine große IT-Abteilung entwickelt, folgte die Idee der Notwendigkeit, ein gleichermaßen leicht zu handhabendes wie universelles Modell zur Steuerung von Arbeitszeitvolumina zu entwickeln. Später kam es dann in einer äußerst kontroversen, schließlich aber konstruktiven Auseinandersetzung um „Vertrauensarbeitszeit“ in einem Verlagsbetrieb zur Anwendung. Und man darf staunen – es funktioniert und alle Beteiligten sind zufrieden damit. Basis dieses Modells ist ein „Ampelkonto“, das nicht nur die Arbeitszeitvolumina, sondern auch die Zugriffsrechte auf die Arbeitszeitdokumentation der Einzelnen steuert. Alle erfassen ihre Arbeitszeiten über ein Online-Tool und ohne Stechkarte. Bleibt die erfasste Stundenzahl im „grünen Bereich“, werden also aufgebaute Plus- oder Minus-Stunden im vorgeschriebenen Zeitraum ausgeglichen, haben nur die Einzelnen Zugriff auf ihre Daten, nicht aber Arbeitgeber und Betriebsrat. So will es ja auch die „Vertrauensarbeitszeit“.

Wird diese Stundenzahl auf dem Konto überschritten, also der „gelbe Bereich“ erreicht, erhalten die Betroffenen vom System eine Warnmeldung. Sie sind dann dafür verantwortlich, in der Gruppe und mit dem Vorgesetzten den Abbau der Mehrstunden zu vereinbaren. Auch jetzt noch bleiben die Daten der Einzelnen nur in ihrem Zugriff. Das ändert sich lediglich, wenn der „rote Bereich“ erreicht wird. Dann nämlich generiert das System eine Meldung an Betriebsrat und Arbeitgeber. Diese haben dann sofort dafür zu sorgen, dass die Mehrstunden ausgeglichen und vorhandene Gründe – Unterbesetzung, Überlast – ausgeräumt werden.

Wie hoch man im Einzelnen die Stundenzahl der jeweiligen Ampelphase ansetzt, bleibt der konkreten Regelung – die nicht einmal für den gesamten Betrieb identisch sein muss – überlassen. Auch die Regelung von Anwesenheitszeiten bleibt dem Einzelnen überlassen, am besten nach Absprache in der Gruppe. Grundsätzlich hat jeder die Freiheit, sein Kommen und Gehen – innerhalb gesetzter Zeitgrenzen – selbst zu regeln. So will es ja auch die „Vertrauensarbeitszeit“.

Begrenzter Zugang durch Arbeitgeber und Betriebsrat

Die Datenbank mit der Arbeitszeitdokumentation ist aber nicht in jeder Hinsicht für Betriebsrat und Arbeitgeber eine „black box“. Sie haben durchaus Zugriff auf Daten, aber nur für ihre eigentlichen Kernaufgaben – die Personalplanung. So haben sie sich mindestens alle drei Monate zusammenzusetzen, um die kumulierten Daten – möglicherweise bis hinunter auf Gruppenebene – auszuwerten. Nicht die Einzelnen werden kontrolliert, sondern die Entwicklung der Arbeitszeit-Volumina. Wo sind die roten Punkte? Wo ballen sich gelbe Blöcke zusammen? Handelt es sich um zeitlich begrenzte „Ausreißer“ oder steckt dahinter womöglich ein Strukturproblem, das entweder durch arbeitsorganisatorische Änderungen und / oder Neueinstellungen zu beheben ist.

Ganz nebenbei findet sich so auch eine elegante Antwort auf die prekäre Frage nach der Dokumentationspflicht laut Arbeitszeitgesetz. Wird nämlich am Arbeitstag die 8-Stunden-Grenze überschritten, so will es das Gesetz, sind die Mehrstunden zu dokumentieren. „Vertrauensarbeitszeit“-Modelle regeln dies durch eine individuelle Meldepflicht der Beschäftigten. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, drohen ihnen teilweise schwerwiegende arbeitsrechtliche Sanktionen. In der „black box“ erledigt sich dieses Problem von allein.

Mittlerweile hat man dieses Modell in verschiedenen Redaktionen zur Diskussion gestellt. Gerade weil es eine Alternative zum „Stechuhr“-Journalismus darstellt, die Arbeitszeit dafür in die Hände der Betroffenen legt, kommt es gut an. Und trifft auf erbitterten Widerstand seitens der Leitungen. Warum? Weil sich dieses Modell abseits aller Schicht- und Anwesenheitspläne auf das Wesentliche konzentriert: die reale Arbeitszeit und deren Dokumentation. Um kein Jota würde sich im Rahmen dieses Modells all das verändern, was in der Redaktionsarbeit an Flexibilität und Kreativität schon immer aufgebracht wurde. Aber eines wäre auf einen Schlag anders: Alle erhielten dafür das vereinbarte Entgelt. Und das wäre nun wahrlich ein Politikum ersten Ranges.


Mehr unter:
www.verdi-verlage.de/themen/vaz.html

 

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