Deutsche Journalisten in Israel – ein bekanntes unbekanntes Land
Ausgeschrieben war die Journalistenreise nach Israel in der «M». Die Organisatoren: ver.di und die Arabien National Party. Das Thema: Im Herzen eines Konfliktes. Auf dem Programm: Besuch bei arabischen und jüdischen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendern. Treffen mit arabischen und jüdischen Journalisten, Künstlern und Politikern. Informationen von Vertretern der verschiedenen Religionen in Israel, von Juden, Muslimen, Christen und Drusen.
Die entscheidende Frage wurde den einladenden Kollegen vom „Arabischen Journalisten Verband“ am Rande eines dieser üblich-üppigen Festmahle zwischen Kichererbsenhumus, Avocadocremesalat und gegrillten Lammspießen eher beiläufig gestellt: Wie viele Mitglieder von arabisch-israelischen Medien bei ihnen denn überhaupt organisiert seien. Die überraschende Antwort der Journalisten aus Nazareth: Fünfzehn! Die Verwirrung, dass eine so klitzekleine Organisation acht Tage lang eine neunköpfige Journalistengruppe aus Deutschland beherbergen, bewirten und betreuen und ein fulminantes Programm mit mehr oder minder engagierten Experten auf die Beine stellen konnte, hielt sich in Grenzen und die Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber verbot bohrende Nachfragen.
Schon bei der Ankunft auf dem Flughafen Ben Gurion wurde deutlich, dass die Gastgeber nicht von der Arabian National Party (ANP), sondern vom Journalistenverband kommen. Kurzfristig habe die Partei absagen müssen, da ihr Vorsitzender außerhalb des Landes weile. Aber Ersatz sei da und die Begrüßung verlief herzlich. Und: Einige Tage später war auch der Stellvertretende Parteivorsitzende als Diskussionspartner zur Stelle: Mohamad Hasan Kanaam, ehemaliges Mitglied der Knesset, zuvor stellvertretender Bürgermeister von Tamra, einer Stadt nördlich von Nazareth mit überwiegend arabischer Bevölkerung.
Von den gut sechs Millionen Israelis sind etwa 80 Prozent Juden und 17 Prozent Araber. Von den 120 Abgeordneten der Knesset vertreten zehn arabische Abgeordnete die arabische Minderheit. Sie sind Mitglieder von sechs verschiedenen Parteien, die sich in drei Fraktionen zusammengeschlossen haben. Alle drei Fraktionen treten für ein gleichberechtigtes Mit- und Nebeneinander in der israelischen Gesellschaft ein.
Die National Arabian Party ist mit einem eigenen Abgeordneten nicht mehr im Parlament vertreten. Ihre etwa 4.000 Mitglieder, so Mohamad Hasan Kanaam, seien vorwiegend muslimische, drusische und christliche Araber israelischer Staatsangehörigkeit. Sie setzten sich innenpolitisch „gegen die Unterdrückung der arabischen Israelis als Menschen zweiter Klasse in einem gemeinsamen Staat“ ein und votieren „außenpolitisch“ für den Friedensprozess, für zwei Staaten, einen palästinensischen und einen israelischen. Sie selbst waren, sind und werden Israelis bleiben.
Israelis – Araber – Palästinenser – Muslime – Christen – Juden. Es herrscht Verwirrung in den deutschen Medien. Wer sind die arabischen Juden und wer die israelischen Araber? Wer die Palästinenser in der Westbank und im Gaza, wer die Araber in den autonomen Gebieten der Zone A und B? Und wer sind die israelischen oder syrischen Drusen, wer die arabischen Jordanier der Westbank, die christlichen Palästinenser und die nicht arabischen, aber dennoch israelischen Christen? Von den orthodoxen Juden der Siedlerbewegung oder der kiffenden Juden der Ale Jarok Partei ganz zu schweigen.
Ein „Who is Who in Israel“ könnte ein Renner in den hiesigen Redaktionen werden. Eine Meldung wie „3.000 Palästinenser verteidigen den Tempelberg in Jerusalem gegen demonstrierende Israelis“ würde nicht mehr gedruckt werden, denn die „Palästinenser“ waren überwiegend arabische Israelis und die „Israelis“ Mitglieder der jüdischen Siedlungsbewegung. Also: Auf beiden Seiten standen Israelis.
Er ist Araber, Christ und Israeli. Ramiz Jaraisy ist Bürgermeister von Nazareth. Und er ist gegen Diffamierungen. Gegen jegliche Art von Diffamierung. Aber eigentlich, so betont er bedauernd, gäbe es in Israel nur die eine Diffamierung. Die gegen arabische Israelis. Es sei eine politische Diffamierung durch die Regierung. Sein Beispiel ist natürlich seine Stadt Nazareth, eine Stadt mit einer deutlichen Mehrheit von arabischen Israelis, von christlichen und muslimischen Arabern.
Nazareth mit seiner einmaligen christlichen Vergangenheit könnte eine blühende Stadt sein, eine Stadt des boomenden Tourismus. Aber in Nazareth liege die Arbeitslosigkeit bei 18 – 25 Prozent, und 50 Prozent der Bevölkerung lebe unter der Armutsgrenze, so Bürgermeister Jaraisy. Schuld habe die Regierung Sharon in Jerusalem. Diese verweigere ihnen, so wie allen arabischen Kommunen Israels, die notwendige wirtschaftliche Unterstützung einer sinnvollen industriellen Ansiedlung. Millionen könnten hier in Nazareth verdient werden, wenn es die Regierung nur wolle und den örtlichen Tourismus subventionieren würde.
Er selbst sei, so berichtet er sachlich, in Lourdes gewesen und habe neidisch das staatliche Investitions- und Tourismusprogramm wahrgenommen. Und dann platzt es plötzlich verärgert aus diesem, bis dahin souveränen Bürgermeister von Nazareth heraus: „Gut, die in Lourdes hatten ihre Wunder, aber was ist denn das schon gegen uns. Wir brauchen hier nicht so etwas. Hier war die Verkündung, hier lebten Maria und Jesus! Hier in Nazareth hat er seine Jugend verbracht, hier ist Jesus zur Schule gegangen! Hier könnte etwas gemacht werden!“
Doch staatliche Subventionen flössen woanders hin. Nur nicht in die arabischen Gebiete Israels und ins arabische Nazareth schon gar nicht.
Bei der letzten Knesset-Wahl haben sich 64 Prozent der arabischen Israelis an der Wahl beteiligt, weit weniger als bei früheren Wahlen. Die niedrigste Wahlbeteiligung lag im Negev. Ein Zehntel aller arabischen Israelis wohnt hier. Neben zwei, drei größeren Städten gibt es hier verschiedene Formen von Dörfern und Siedlungen: die „recognized and unrecognized villages“, die registrierten und nicht registrierten Dörfer, legale und illegalen Siedlungen. Israelische Politik ist es, die Negev-Wüste wirtschaftlich zu nutzen, sie mit einem ausgeklügeltem Bewässerungssystem zu kultivieren. Also wurden Siedlungen gebaut, um die Beduinen anzusiedeln. Aber die offiziellen Dörfer wurden oft nicht akzeptiert und die Beduinen ließen sich dort nieder, wo sie es wollten. Eben in den dann nicht registrierten Dörfern. Slums, abgeschnitten von jeglicher Infrastruktur. Ohne Strom, ohne Wasser und auch ohne Wahlurnen. Denn wo nichts ist, kann auch nicht gewählt werden.
Scheikh Mohamad ist so einer, den es gar nicht geben dürfte. Gutmütig lächelnd sitzt er in der zugigen Wellblechbaracke in einem dieser nicht registrierten Dörfer vor einem kleinen, klimmenden Feuer und empfängt die Journalisten aus dem fernen Deutschland. Fragen braucht er nicht zu beantworten, denn die waren schon auf der Busfahrt ins Negev gestellt und von fachkundigen Experten beantwortet worden. Scheikh Mohamad ist für die arabische Gastfreundschaft und das anstehende Mittagsmahl zuständig.
Der Boden in der Scheikh-Baracke ist mit farbenfrohen, leuchtenden und nagelneuen Teppichen ausgelegt. Die Sitz- und Liegekissen strahlen die einladende Sauberkeit einer Erstbenutzung aus und das in kürzester Zeit selbstbereitete Reisgericht mit Hammel, Lamm und Huhn dampft aromatisch-frisch unter der Alufolie der nahen Imbissstation. Klischees allemal. Und dennoch: Alles stimmt, alles ist authentisch. Die angesprochenen Probleme sind real und nicht wegzuleugnen.
Es ist wirklich egal, ob der Scheich echt ist, oder nur ein freundlicher, folkloristischer Araber aus der Umgebung. Es ist unwichtig, ob dieser „Arabische Journalisten Verband“ mit seinen fünfzehn Mitgliedern der einladende Gastgeber ist, oder ob dahinter ein ganzes arabisch-israelisches Netzwerk steht. Eine Interessengemeinschaft von Moslems, Christen, Drusen, unterstützt von Hotel- und Restaurantbesitzern, von Taxi- und Busfahrer, von engagierten Zeitungs- und Rundfunkredakteuren.
Es ist wirklich egal. Denn eines verbindet sie. Ihr gemeinsames Problem, das sie als arabische Israelis haben. Ein Problem, mit dem sie auch in unseren Medien nicht wahrgenommen werden. Dem Problem, dass sie als Israelis abseits im Schatten des großes internationalen Konflikts von Israel und Palästina stehen.