Werner Rügemer – ein hartnäckiger journalistischer Aufklärer
„Leben Sie nicht gefährlich?“ Diese Frage hört der Finanz- und Wirtschaftspublizist Werner Rügemer oft. „Scheinbar nicht“, schmunzelt er dann und weiß doch, dass die Frage eine Respekterweisung ist. Dass er sich mit Themen wie den Schattenseiten der Chipindustrie, der Aufdeckung des Kölner Müllskandals und der Aufklärung über global agierende Finanzinvestoren nicht nur Freunde macht, versteht sich von selbst. Aber dass er mehr und früher als „Großmedien“ über heikle Hintergründe der Wirtschaftswelt berichtet, gibt zu denken: Wo wäre die Medienlandschaft ohne den hartnäckigen Einzelgänger Rügemer?
Seine jetzige Karriere begann „nach einer Phase der Niederlagen“, sagt er. Zuvor hatte der 1941 in einem Dorf in der Rhön geborene, von Paris bis Berlin vielerorts studierte und promovierte Philosoph – „Mein Antrieb ist Erkenntnisinteresse“ einen vermeintlich sicheren Job: als Redakteur eines pädagogischen Fachblatts. Bis dieses 1990 abgewickelt wurde – es fehlten bis dahin belieferte Abnehmer aus der DDR. Ein Westler als Wendeopfer: Rügemer fiel ins Vakuum der Arbeitslosigkeit. Doch dann vermittelte ihm das Arbeitsamt eine ABM bei einem privaten Wasserunternehmen – dort hatte man ja keine Ahnung, was für einen hellen Kopf man sich ins Haus holte.
Denn Rügemer stellte schnell fest, dass die Geschäfte im Abwasser-Bereich alles andere als sauber waren. Korruption und falsche Statistiken, Scheinfirmen und Cliquenklüngel offenbarten sich ihm. Und er war nicht bereit zu schweigen. Die Müll-Branche analysierte er gleich mit – und schrieb 1993 in der „Kölner Stadtrevue“ als Erster übers Absahnen Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit in Sachen Abfallentsorgung. Der Skandal eskalierte bundesweit.
Beschreibt die Nebenwirkungen
Seither durchleuchtet Rügemer mit passionierter Akribie finanzpolitische Vorgänge: so unbestechlich und scheuklappenlos, dass er vielen als wandelnde Institution gilt. Seine Bücher haben Kultstatus: „Colonia Corrupta“ (über Köln), „Arm und Reich“ (über Kapitalfluss), „Cross Border Leasing“ (über kommunalen Ausverkauf), „Die Berater“ (über Kaputtsanierer). Zwischen all den Freaks und Fans vom „freien Markt“ nimmt er sich aus wie ein Exot: Er benennt in verständlicher Sprache die „Nebenwirkungen“ internationaler Geldgeschäfte; statt über jede hohe Rendite zu jubeln, recherchiert er die Hintergründe und Auswirkungen.
Ohne Rügemer wäre der Geldadel vor Kritik sicherer. Als Mitglied von Transparency International und Business Crime Control tauscht der Wahl-Kölner sich aus; als Dozent an der Uni Köln gibt er sein Wissen weiter. Als Aufklärer aber ist er einmalig. Vor allem ätzt er im linken Spektrum, in der „taz“, der „jungen Welt“, in Gewerkschaftsmedien sowie im „Deutschlandfunk“ und WDR. Der WDR lobte auch sein für ein Buch gedachtes Essay über den Bankier Oppenheim. Dem Verlag wurde die Sache jedoch zu brenzlig – dafür brachte ein Theater den Aufsatz als szenische Lesung auf die Bühne. Welchem Wirtschaftsautor widerfährt schon solche Ehre?
Nennt Ross und Reiter
Mit seinem profunden Wissen gehört Rügemer eigentlich in die Riege der regierungsberatenden „Wirtschaftsweisen“. Aber dort ist für so Unbestechliche womöglich kein Platz. Schließlich ist keine Bank, kein Unternehmen, keine Partei und auch kein Wissenschaftler vor seinem Fleiß sicher: Oft sammelt er jahrelang Informationen zu scheinbar normalen Vorgängen – bis er sie minutiös aufrollen und entlarven kann. So begann sein Buch über den Verkauf kommunaler Einrichtungen „Cross Border Leasing“ (CBL) mit einer Notiz: Köln verkaufte seine Tram an einen Trust in Delaware. Rügemer „roch“, dass „was dahinter sein musste“: „Ich wusste, dass Delaware das Liechtenstein der USA ist.“
Tatsächlich war was „dahinter“, nämlich risikoreiche Scheingeschäfte. Mittlerweile wird dank Rügemer zwar kein CBL-Vertrag hier zu Lande mehr abgeschlossen. Aber wenn sich zweimal jährlich die Preise für U-Bahn-Tickets erhöhen, hat das meist mit CBL-Nachwehen zu tun. Auch wenn die Verantwortlichen dazu schweigen. Umso wertvoller sind Rügemers Bücher: Nachschlagewerke der real existierenden Gier, wobei Ross und Reiter genannt werden. Vor Klageverfahren schützt Rügemer seine Sachlichkeit.
Nur er selbst musste Prozesse anstrengen: gegen den „Kölner Stadt-Anzeiger“, der einen Text von ihm verhunzte, und gegen einen Verband, der ihm einen Preis erst zu- und dann absprach (M 11/2004). Und: Auch die „Heuschrecken“-Debatte basiert auf einem Text von ihm. Rügemer erklärt darin, welche Folgen so genanntes Private Equity mit Aufkäufen und Börsengängen für den Arbeitsmarkt hat. Die Vokabel „Heuschrecken“ stammt indes nicht von ihm – er analysiert statt zu schimpfen.
Mit der gegenwärtigen Mediensituation ist einer wie er natürlich unzufrieden: „Ein Zustand der Vereinheitlichung ist eingetreten, und eigentlich ist eine neue Form der Selbstorganisation nötig.“